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26.10.2011

Umsetzung der Inklusion an Hessens Schulen - GEW und GRÜNE: Verordnungsentwurf aus dem Kultusministerium würde weniger statt mehr Inklusion bedeuten

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die  Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben vor einer erheblichen Verschlechterung der Rahmenbedingung für den gemeinsamen, inklusiven Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen gewarnt. Anlass ist ein Verordnungsentwurf aus dem Kultusministerium zur Umsetzung der Inklusion an Hessens Schulen (Verordnung über Unterricht, Erziehung und sonderpädagogische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen). „Der Entwurf muss dringend nachgebessert werden. In der momentanen Fassung würde er weniger statt mehr Inklusion bedeuten“, betont Johannes Batton, Landesvorstandsmitglied der GEW. „Schon jetzt sorgt dieser Entwurf für erhebliche Verunsicherung an den Schulen. Die Schulpraktiker wissen, dass die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention so wie derzeit geplant, nicht funktionieren kann“, ergänzt der bildungspolitische Sprecher der GRÜNEN Landtagsfraktion, Mathias Wagner.

In einer ausführlichen Stellungnahme hat die GEW die Probleme des Verordnungsentwurfs herausgearbeitet. So soll es künftig für den gemeinsamen, inklusiven Unterricht keine kleineren Klassen mehr geben, die Unterstützung durch Lehrerinnen und Lehrer mit sonderpädagogischer Qualifikation reduziert werden und zu Beginn der Grundschulzeit sogar fast vollständig auf zusätzliche Förderung verzichtet werden.

Keine kleineren Klassen mehr für den gemeinsamen, inklusiven Unterricht

In der derzeit noch gültigen Verordnung sind für den gemeinsamen, inklusiven Unterricht deutlich kleinere Klassen vorgesehen. In der Grundschule liegt die Höchstgrenze bei 20 und in der weiterführenden Schule bei 23 Schülerinnen und Schüler. „Im Entwurf der neuen Verordnung wurde diese Reduzierung der Klassengrößen gestrichen. Damit entfällt eine wesentliche Voraussetzung, um tatsächlich alle Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderungen individuell fördern zu können. Wer sich der pädagogischen Herausforderung der Inklusion stellt, braucht dafür auch die notwendigen Rahmenbedingungen“, erläutert Johannes Batton. „Man kann über eine Differenzierung der Klassengrößen je nach sonderpädagogischen Förderschwerpunkt nachdenken, aber komplett auf eine Senkung zu verzichten, wird nicht funktionieren“, meint auch Mathias Wagner.

Reduzierung der Unterstützung durch ausgebildete Förderschullehrerinnen und -lehrer

Auch bei der Einbeziehung von ausgebildeten Förderschullehrerinnen und –lehrern sehe der Verordnungsentwurf Einsparungen vor. „Bislang wurden die Regelschullehrkräfte je nach Bedarf vier bis zehn Wochenstunden pro Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf durch eine ausgebildete Förderlehrkraft unterstützt. Künftig soll es nur noch eine Lehrkraft pro sieben Schülerinnen und Schüler geben. Geht man wohlwollend von 28 Unterrichtstunden pro Lehrkraft aus, stehen also künftig nur noch vier Stunden zur Verfügung“. Dies bedeute, dass Kinder, für deren Beschulung mehr Stunden benötigt würden, damit rechnen müssen, an eine Förderschule verwiesen zu werden. Dies widerspricht aber klar dem Inklusionsgebot der UN-Konvention.

Künftig keine sonderpädagogische Förderung mehr mit Beginn der Klasse 1

Für den Schulbeginn in Klasse 1 sehe der Verordnungsentwurf sogar vor, völlig auf zusätzliche Unterstützung für den gemeinsamen, inklusiven Unterricht zu verzichten. „Bislang wurde vor Schulbeginn der sonderpädagogische Förderbedarf festgestellt und der Regelschule dem entsprechend zusätzliche Lehrkräfte zugewiesen. Künftig soll erst während des laufenden ersten Schuljahres festgestellt werden, ob es zusätzlicher Förderung bedarf. Das heißt die Grundschullehrerinnen und –lehrer sind auf sich allein gestellt ohne Unterstützung durch ausgebildete Förderschullehrkräfte. Ein systematisches Förderkonzept greift also frühestens ab Klasse 2. Lediglich beim Förderschwerpunkt ‚geistige Entwicklung‘ bleibt es beim bisherigen Verfahren“.

Inklusive Schulen brauchen inklusive Kollegien

GEW und GRÜNE kritisieren auch die Absicht des Verordnungsentwurfs, alle Förderschullehrkräfte an den Beratungs- und Förderzentren anzusiedeln und dann für begrenzte Zeiten und begrenzte Zeiträume in den Regelschulen einzusetzen. „Dies geht genau in die falsche Richtung“, so Johannes Batton. „Schulen, die sich auf den Weg zur Inklusion machen, brauchen multiprofessionelle Teams aus Regelschullehrerinnen und –lehrern, sozialpädagogischen Fachkräften und Lehrkräften mit besonderen Kenntnissen und Erfahrungen im Bereich der Förderdiagnostik und Förderpädagogik. Regelschulen brauchen deren Fachkompetenz für das Gesamtkollegium dauerhaft und verlässlich in ihrer Schule.

Entwurf darf so nicht bleiben

GEW und GRÜNE fordern das Kultusministerium auf, den Entwurf an den genannten Stellen noch zu verändern. „Noch ist es ja zum Glück nur ein Entwurf. Wir hoffen sehr, dass das Ministerium unsere Kritik und die vieler anderer Verbände aufnimmt. Das ist ja schließlich auch der Sinn, warum wir an der Erstellung von Verordnungen beteiligt werden“, so Johannes Batton. „Der derzeitige Entwurf darf nicht das letzte Wort sein. Mit ihm würde es zu erheblichen Verschlechterungen beim gemeinsamen, inklusiven Unterricht kommen. Das wäre das genaue Gegenteil von dem, wozu sich Deutschland und Hessen mit Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet haben“, so Mathias Wagner. Es würde zudem Lehrkräfte überfordern und vor unlösbare Aufgaben stellen und somit Kindern, die der besonderen Unterstützung bedürfen, eben diese individuelle Förderung in der Regelschule vorenthalten.


Pressestelle der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag
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