Die Landtagsfraktion von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Hessen kritisieren die Notfallpläne des Atomkraftwerks Biblis im Fall eines katastrophalen Reaktorunfalls als „absolut unzureichend und unrealistisch“. „Umweltministerin Puttrich (CDU) muss endlich anerkennen, dass der Katastrophenschutzplan von Biblis die Bevölkerung nicht ausreichend vor Strahlenbelastungen schützen wird. Es geht an jeder Realität vorbei anzunehmen, dass sich eine radioaktive Wolke im Fall eines Unfalls lediglich zehn Kilometer ausbreitet. Je nach Windrichtung können Gebiete bis zu 600 Kilometer entfernt betroffen sein. Dafür gibt es zurzeit keinerlei Evakuierungsszenarien. Angesichts dieser fatalen Katastrophenschutzpläne wollen wir von Frau Puttrich wissen, ob Sicherheit für sie wirklich nicht verhandelbar ist“, so die energiepolitische Sprecherin der GRÜNEN, Ursula Hammann.
Bei der letzten Überarbeitung der Notfallpläne 2008 durch RWE und Behörden wie u.a. dem Hessischen Innenministerium wurden die neuen Erkenntnisse einer Studie des Öko-Instituts nicht berücksichtigt. „Wird hier der mögliche Radius einer Katastrophe bewusst klein gehalten, um die anliegenden Großstädte wie Frankfurt oder Mannheim nicht in die Evakuierungsszenarien einbeziehen zu müssen? Dies würde nämlich einen erheblichen finanziellen Mehraufwand für RWE bedeuten.“
Diese Vermutung war Anlass für die GRÜNEN, die Landesregierung zu fragen, wie die Notfallpläne erarbeitet wurden, wer die Verantwortlichen dafür sind und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse den Plänen zugrunde gelegt wurden. (Kleine Anfragen KA 1 und KA 2)
Bereits 2007 hat eine Studie des Öko-Instituts ermittelt, dass die gemäß Strahlenschutzvorschriften zu evakuierenden Bereiche sich bis zu 600 Kilometer und damit je nach Windrichtung beispielsweise bis nach Berlin erstrecken können (s. Abbildung 1). Die von RWE, dem Betreiber des Atomkraftwerks Biblis, erarbeiteten Notfallpläne basieren jedoch darauf, dass sich die freigesetzte Strahlung bei einem Reaktorunfall auf einen Radius von 10 Kilometern beschränkt. Deswegen gibt es auch nur für diesen kleinen Umkreis Maßnahmenpläne für Evakuierungen, um die Menschen in Sicherheit zu bringen (s. Abbildung 2). Auch die Auffanggebiete für die Evakuierten sind nur etwas mehr als 25 Kilometer von Biblis entfernt. Teilweise liegt das Auffanggebiet genau in den Gebieten, die die radioaktive Wolke nach einer gewissen Zeit ebenfalls erreicht.
Der BUND Hessen hat aktuell die Notfallpläne des Atomkraftwerks Biblis untersucht. Dr. Werner Neumann, Energiesprecher des BUND, verweist auf weitere unrealistische Annahmen der Katastrophenschutzpläne: „Nach den Untersuchungen des BUND ist klar, dass die Versorgung mit Jodtabletten unzureichend ist. Es ist völlig ungewiss, ob die betroffenen Gebiete rechtzeitig und flächendeckend versorgt werden können.“ Die Einnahme von Jodtabletten soll im Ernstfall die Einlagerung von radioaktiv verseuchtem Jod blockieren und dadurch Schilddrüsenkrebs verhindern. Ein Großteil der radioaktiven Belastung wird durch Jodisotope verursacht, die entweder eingeatmet oder über Lebensmittel eingenommen werden können, auf denen sich radioaktives Jod niedergelassen hat. (Ernstfallanalyse-AKW-Biblis-BUND-Hessen)
„Auch die medizinische Betreuung, insbesondere die Aufnahmebereitschaft von Strahlenopfern durch hessische Krankenhäuser, ist laut der Pläne nicht gewährleistet“, so Neumann. Eine Umfrage der Universität Würzburg ergab, dass nur 4 von 7 befragten Krankenhäusern in Hessen bereit wären, Strahlenpatienten aufzunehmen. Bundesweit sind nur 14 Kliniken mit einer radiobiologischen Abteilung ausgestattet.
„Unzureichende Evakuierungspläne und unrealistische Notfallszenarien dürfen nicht länger die Bevölkerung verdummen. Die Sicherheit und Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung sind im Falle eines Atomunfalls derzeit nicht gegeben. Wirkliche Sicherheit garantiert nur eins: die sofortige Abschaltung des Atomkraftwerks Biblis“, so Hammann und Neumann.
Abbildung 1: Zu evakuierendes Gebiet bei neutraler bis leicht stabiler Luftturbulenz und Wind aus Südwest (große Freisetzung) nach Ausbreitungsberechnung des Ökoinstituts.
Abbildung 2: Aus der Notfallbroschüre von RWE: Ein Beispiel mit Wind aus Südwest für das zu evakuierende Gebiet (blauer Fächer). Der Fächer hat den Radius von 10 km.
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