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17.06.2009

GRÜNE: Das Gedenken an den Volksaufstand am 17. Juni 1953 ist Teil der Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Auseinandersetzung mit der gesamtdeutschen Geschichte

Genau vor einem Jahr haben wir hier im Hessischen Landtag über den 17.Juni 1953 diskutiert. Und die Unkenntnis gerade bei vielen jüngeren Menschen zeigt, dass man solche Diskussionen nicht oft genug wiederholen kann. Es ist Aufgabe von Bildungsinstitutionen, Wissen zu vermitteln. Aber es ist die gerade breite gesellschaftliche Debatte, die Meinungsfreiheit und Demokratie erfahrbar macht. Es ist ein Grundkonsens unserer Gesellschaft die Aufarbeitung der deutschen Geschichte vorzunehmen und Grundlage unserer Demokratie“, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag, Kordula Schulz-Asche.

„In meiner Rede vor einem Jahr habe ich mich auf die Ereignisse, die zum Aufstand am 17. Juni führten, konzentriert: Die Abwanderung in den Westen, die zunehmende politische Repression und letztendlich die Normerhöhung in den staatseigenen Betrieben. Und in der Folge die menschenverachtende Zusammenarbeit zwischen Sowjetarmee und Polizei und Justiz der DDR. Es bedurfte erst des erneuten Aufstands der Bürgerinnen und Bürger, diesem Regime endlich den Boden zu entziehen.“

„Der vorliegende Antrag erwähnt auch die unrühmliche Rolle der Blockparteien. Seit der Gründung der DDR 1949 wurden die Blockparteien und ihre Mitglieder zu verlässlichen Mitläufern – und Mitläufer sind das Öl im Getriebe von Diktaturen. Erst in den späten 80er Jahren ging man vorsichtig auf Distanz. Aber nicht die so genannten ‚Blockflöten‘, sondern wie schon 1953 die Bürgerinnen und Bürger probten den Aufstand – und 1989 haben sie gewonnen! Und deshalb gehört auch dieses zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte.“

„Der 17. Juni 1953 ist von Anfang an von allen Seiten instrumentalisiert worden. Die DDR-Führung machte den Westen als fernsteuernden Drahtzieher verantwortlich, und in der damaligen Bundesrepublik diente er einer Selbstgerechtigkeit unter dem sehr geräumigen Schlagwort ‚Freiheit‘. Willy Brandt hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Aufständischen des 17. Juni mitnichten die Re-Privatisierung der Staatsbetriebe forderten. Keineswegs drückte sich in den Demonstrationen – sagte er weiter – ‚der Schrei nach dem Anschluss an Bonn aus, sondern der Anspruch auf die echte Mitgestaltung dieser arbeitenden Menschen bei der Schaffung einer gesamtdeutschen Ordnung.'“

„Und deshalb sollten wir auch in den Jahren nach der friedlichen Revolution von 1989 ehrlich und offen mit dem Umgang der DDR-Geschichte sein. Es gibt inzwischen glücklicherweise eine ganze Reihe von seriösen Institutionen, die sich sehr ernsthaft mit der Aufarbeitung befassen. Besonders zu nennen ist hier die so genannte ‚Birthler-Behörde‘. Es reicht aber nicht als Aufarbeitung, wenn die Partei Die Linke in ihrem Gründungsdokument erklärt: ‚Wir lehnen jede Form von Diktatur ab und verurteilen den Stalinismus als verbrecherischen Missbrauch des Sozialismus.‘ Es reicht auch nicht formale Beschlüsse zu fassen und Opfer des SED-Regimes zu rehabilitieren – wie es die Zentrale Schiedskommission der PDS 1990  beschloss. Und auch die vielen laschen Aussagen der Linkspartei zur so genannten Schlussstrichfrage zeigen, dass in dieser Partei bisher die Aufarbeitung der Vergangenheit zu wenig als Grundlage für eine demokratische Zukunft gesehen wird.“

„Die DDR war eben nicht nur eine politische Diktatur, sie war auch eine Diktatur der Normierung von Individuen, eine Diktatur im Alltag. In den Knästen und Lagern landeten Kritiker des Regimes, aber eben auch Flüchtlinge. Dort landeten junge Leute, die sich der 68er-Bewegung im Westen verbunden fühlten. Dort landeten junge Leute, die am falschen Ort die falsche Frisur und nicht die geforderte Arbeitsmoral hatten; dort landeten Jugendliche, die in Punk-Bands Musik machten. usw. Diesen Opfern Gerechtigkeit widerfahren zulassen, ist uns Verpflichtung zur Aufarbeitung des begangenen Unrechts. Und deshalb reicht es nicht, sich formal von einer Diktatur zu distanzieren: Dazu gehört die offene Diskussion der Strukturen und Mechanismen dieser Diktatur – und auch das dahinter stehende Menschenbild. Dazu gehört ebenfalls die Benennung der Täter – von denen ganz oben bis hin zu den kleinen Denunzianten von nebenan. Und deshalb werden wir die Linkspartei nicht aus der Verantwortung für diese Aufarbeitung der DDR-Geschichte entlassen.“

„Wenn es anderseits CDU und FDP ernst ist mit der Aufarbeitung deutscher Geschichte, dann müssten sie zumindest beim Thema DDR-Aufarbeitung ihre Praxis, keine gemeinsamen Anträge mit der Linksfraktion zu stellen, dringend überprüfen. Denn so haben sie dafür gesorgt, dass ein weiterer Antrag auf der heutigen Tagesordnung, bei dem es um eine Anhörung zur Unterstützung von SED-Opfern geht, kein gemeinsamer Antrag des Hauses werden konnte. Dass sie nun aber auch noch verhindert haben, dass die beiden Anträge gemeinsam aufgerufen werden, dient nicht der Glaubwürdigkeit ihrer Ausführungen. Die Aufarbeitung deutscher Geschichte des 20.Jahrhunderts und die Ernsthaftigkeit, mit der unsere Gesellschaft dies seit Generationen tut, haben sehr zum Ansehen Deutschlands in der Welt beigetragen. Wir dürfen diese Ernsthaftigkeit nicht leichtfertig verspielen“, unterstreicht Kordula Schulz-Asche.


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