Während der Corona-Pandemie wurde der Begriff „systemrelevant“ für viele Bereiche unseres Alltags verwendet – von medizinischem Personal bis hin zu Lieferketten. Was oft vergessen wird: Auch unsere Infrastruktur ist systemrelevant. Straßen, Autobahnen und Brücken spielen eine zentrale Rolle für unsere Wirtschaft und für unsere Mobilität. Doch wie soll diese Infrastruktur in Zukunft aussehen? Nehmen wir bröselnde Brücken und damit zusammenhängende Vollsperrungen in Kauf, damit CDU, SPD und FDP-Minister*innen weiter Bänder an gigantischen Autobahnausbauprojekten durchschneiden können? Diesem Thema haben wir unsere Aktuelle Stunde im vergangenen Plenum gewidmet, denn genau darüber wird derzeit in Hessen und auf Bundesebene heftig gestritten.
Auslöser der Debatte ist der Ausbau der A5 auf zehn Streifen, eine der Hauptverkehrsadern Deutschlands. In einer kürzlich abgehaltenen Pressekonferenz haben wir 15 Argumente vorgelegt, warum diese Erweiterung nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich ist. Zwei Punkte stechen dabei besonders hervor: Erstens wächst der Verkehr weit weniger stark als ursprünglich angenommen. Zweitens sind die Kosten für den Ausbau auf mittlerweile Minimum 1,4 Milliarden Euro gestiegen. Und das ist der Wert ohne notwendige Einhausung, für die wir weder technische Standards haben noch wissen, wie teuer so etwas werden würde.
Kritiker des Megaprojekts argumentieren zurecht, dass dieses Geld dringend für die Sanierung der bestehenden Infrastruktur benötigt wird – insbesondere für marode Brücken. Seit 2021 sind die Baukosten rasant gestiegen und der Ansatz für die Instandhaltung wächst kontinuierlich weiter. Abgesehen davon, dass Planerinnen und Planer und Personal bei den Baufirmen fehlen. Laut ADAC, der sich sonst selten als Unterstützer grüner Verkehrspolitik positioniert, müssten die Prioritäten in der Verkehrsplanung dringend neu geordnet werden. Marode Brücken stellen eine akute Gefahr dar und könnten bei weiterer Vernachlässigung zu Vollsperrungen führen – ein Szenario, das enorme volkswirtschaftliche Schäden verursachen würde. „Ein überstürzter Ausbau der A5 ist nicht im Interesse der Autofahrer“, heißt es in einer Stellungnahme des Automobilclubs. Sanierung vor Neubau also – unser GRÜNER Grundsatz seit Jahren im Straßenbau.
Tatsächlich zeigt eine Analyse der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken, dass von den 100 sanierungsbedürftigsten Autobahnbrücken in Deutschland jede fünfte in Hessen steht. Der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir gründete bereits 2015 eine Taskforce, um diesen Sanierungsstau anzugehen, doch der Bedarf bleibt immens. Für die Jahre 2025 bis 2028 plant die Autobahn GmbH mit einem zusätzlichen Finanzbedarf von vier Milliarden Euro allein für die dringendsten Sanierungsmaßnahmen in ganz Deutschland. Die Hälfte dieser Summe könnte bereits durch den Verzicht auf den A5-Ausbau frei werden.
Auch auf Bundesebene gewinnt die Debatte an Fahrt. In einem offenen Brief fordern die IG Metall und die Umweltorganisation Germanwatch Bundeskanzler Olaf Scholz auf, Investitionsmittel für den Neu- und Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen umzulenken: Diese Gelder werden, so die Forderung, dringend für die Sanierung und Modernisierung des gesamten Verkehrsnetzes, einschließlich Schieneninfrastruktur, benötigt.
Der Streit um die A5 ist mehr als nur ein Landesthema. Er wirft grundsätzliche Fragen darüber auf, wie wir in Zeiten knapper Kassen und vor dem Hintergrund der verfehlten Pariser Klimaschutzziele künftig mit unserer Infrastruktur umgehen wollen. Werden wir weiterhin Milliarden in den Ausbau stecken, ohne einen Plan zu haben, wie wir diese danach erhalten, oder werden wir die längst überfällige Sanierung unserer Straßen und Brücken endlich angehen? Für uns liegt die Antwort auf der Hand: die Ausbauplanung muss zugunsten einer Erhaltungsplanung aufgegeben werden und der Bundesverkehrswegeplan zu einem Bundesmobilitätsplan werden, der sich an den Bedürfnissen der Menschen und der Wirtschaft orientiert.