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28.03.2012

Andreas Jürgens: Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die UN-Behindertenrechtskonvention, die dieser Tage seit drei Jahren in Deutschland gilt, setzt weltweit neue Maßstäbe für ein menschenrechtliches Verständnis von Behinderung. Sie fordert an verschiedenen Stellen die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, auch für Menschen mit Behinderungen. Ihnen soll die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft ermöglicht werden. Grundlage ist dabei die Achtung der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit.

(Beifall des Abg. Tobias Utter (CDU))

So weit die generelle Regelung. Sie ist umzusetzen und Realität werden zu lassen. Wir wissen alle, das ist leichter gesagt als getan.

Menschen mit Behinderung erleben oft, dass andere ausschließlich ihre Behinderung wahrnehmen. Aber niemand ist ein Leben lang nur behindert, im Sinne von ausschließlich behindert. Menschen mit Behinderungen sind auch Schüler, Auszubildende, Arbeitnehmer oder sonstige Berufstätige. Sie sind Kinder, Geschwister, Eltern, vielleicht auch irgendwann einmal Großeltern. Sie sind Konsumenten, Verbraucher, Vertragspartner und Kunden. Sie interessieren sich vielleicht für Kultur, für Sport, haben Hobbys oder hätten vielleicht gerne welche, schauen Fernsehen, hören Radio, nutzen das Internet, oder auch nicht. Sie verreisen gerne, oder bleiben lieber zu Hause. Sie sind mobil mit dem Auto, dem ÖPNV, dem Rollstuhl oder zu Fuß, vielleicht aber auch gar nicht.

Sie haben aber, mit anderen Worten, wie alle anderen auch in ihrem Leben verschiedene Rollen und unterschiedliche Lebenssituationen. Sie müssen hierbei grundsätzlich so behandelt werden wie nicht behinderte Schüler, Arbeitnehmer, Konsumenten, Kunden, Zuschauer oder Reisende auch, unbeschadet der notwendigen Hilfe, die sie dabei gegebenenfalls brauchen. Nicht mehr, allerdings auch nicht weniger bedeutet Inklusion, wie sie die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Günter Rudolph (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir haben in Hessen in der gleichberechtigten Teilhabe gerade einen Rückschlag erlitten. Sie haben gestern die bisher geltende Verpflichtung, Gaststätten so weit wie möglich in barrierefreien Räumen zu betreiben, schlicht abgeschafft. Sie können im Landtag wohlfeile Anträge beschließen, wenn Sie aber gleichzeitig Teilhabechancen abbauen, ist das insgesamt natürlich nicht glaubwürdig.

Meine Damen und Herren, jeder von uns nimmt im Leben immer wieder neue Rollen ein, meistens mehrere gleichzeitig. Wir alle sind wechselnden Lebenssituationen ausgesetzt, die wir mal besser und mal weniger gut bewältigen. Niemand ist in allen seinen Rollen gleich zufrieden. Niemand von uns wird allen Anforderungen gleich gut gerecht. Niemand ist in allen Lebenslagen gleich gut aufgelegt. Niemand ist allen Wechselfällen des Lebens gleich gut gewachsen. Mit anderen Worten: Niemand kann alles.

Aber es gibt auch niemanden, der gar nichts kann, immer hilflos ist und nichts vom Leben will. Alle Menschen haben Ziele, Träume und bestimmte Vorstellungen von ihrem Leben. Manche können sie selbst formulieren und haben die Kraft und die Fähigkeit, sie umzusetzen. Andere können sie gar nicht oder nur schwer äußern und nur mit Hilfe anderer verwirklichen. Dies darf kein Grund sein, ihnen das Recht auf Selbstbestimmung abzusprechen und ihnen ein Leben in Sonderwelten vorzuschreiben. Das ist eine der Kernaussagen der Behindertenrechtskonvention.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Von diesem Ziel einer wirklichen Inklusion – da sind wir uns alle einig – sind wir noch ziemlich weit entfernt. Zu Recht weisen CDU und FDP in ihrem Antrag auf die große Bedeutung der Teilhabe am Arbeitsleben hin. Man könnte noch andere wichtige Bereiche ergänzen wie z. B. kulturelle Teilhabe, inklusive Sozialräume, diskriminierungsfreie Begegnung, eine effektive Gesundheitsversorgung und vieles mehr. Ich will mich nicht über die Hitliste streiten, das Arbeitsleben ist wichtig.

Das Risiko behinderter Kinder nach dem inklusiven Kindergarten auf eine Förderschule statt auf die Regelschule verwiesen zu werden – wir haben das vorhin diskutiert – ist in Hessen teilweise größer als anderswo. Daran ändert die Landesregierung nichts, wir haben vorhin darüber diskutiert.

Sind die Kinder erst einmal auf der Förderschule, ist der spätere Weg in die Werkstatt für behinderte Menschen – das lehrt die Erfahrung – leider vorgezeichnet. Diesen Automatismus zu durchbrechen, Herr Utter hat zu Recht darauf hingewiesen, ist ein berechtigtes Anliegen der Initiative Inklusion, die im Antrag von CDU und FDP zu Recht gelobt wird. Besser wäre es allerdings, den Weg in die Sackgasse erst gar nicht anzutreten und bereits in der Schule durch Inklusion den breiteren Fächer aller Möglichkeiten aufzumachen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ihrem Antrag können wir – deswegen bitte ich auch um getrennte Abstimmung – in den Ziffern 1 und 2 zustimmen. Das Programm zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in der Landesverwaltung wurde vor vielen, vielen Jahren von Rot-Grün gestartet und seitdem von jeder Landesregierung fortgesetzt. Das ist gut und richtig und im Übrigen auch erfolgreich. Das sollte so weitergehen.

Den Ziffern 2 und 3 können wir allerdings nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten. Ich habe es schon gesagt, die Initiative Inklusion ist in ihrer Zielrichtung ohne Weiteres zu begrüßen. Wenn Sie allerdings so tun, als handele es sich um eine Initiative der Landesregierung, dann ist das, wie Sie wissen, falsch.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Dr. Jürgens, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum Schluss. – Es ist eine Initiative des Bundes. Die Landesregierung leitet nur weiter, was aus Berlin kommt. Da schmücken Sie sich mit fremden Federn, deswegen werden wir uns enthalten.

Ablehnen werden wir Ziffer 5. Der Minister hat einmal angekündigt, der Aktionsplan aus Hessen werde besser als der aus Rheinland-Pfalz. Tatsächlich ist er schlechter geworden. Dem können wir also nicht zustimmen. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens.