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23.03.2010

Ursula Hammann zum Atomkonsens

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Stephan, auch wenn Sie heute Geburtstag haben: Dieses Geschenk können wir Ihnen nicht machen. Die Anträge bleiben wahrscheinlich so bestehen, wie wir sie heute begründen. Es wird keine Änderungen geben.

Ich möchte auf einige Punkte eingehen, die Sie angesprochen haben. Sie haben eben gesagt, dass Herr Röttgen auf Gorleben verweist, dass er betont, wir brauchen ein Endlager. Ich frage Sie aber allen Ernstes: Wo ist der Unterschied zwischen Asse und Gorleben? In beiden gibt es Wassereinbrüche, in beiden gibt es eben keine sichere Endlagerung. Deshalb ist es vernünftig, nach Alternativen zu suchen. Das ist die Sachlage, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein weiteres Argument: In vielen Plenardebatten bemühen Sie Aussagen von Herrn Obama. In vielen Punkten sind sie auch sehr richtig. Ich nenne Ihnen eine weitere richtige Aussage. Zu dem, worüber in Amerika gerade diskutiert wird, wurde auch Herrn Röttgen eine Frage gestellt. Herr Röttgen hat gesagt:

Die USA haben eine veraltete Energieversorgungsstruktur und werden die Vollumstellung auf Ökostrom nicht so schnell schaffen wie wir. Deutschland ist technologisch bei den erneuerbaren Energien führend, und hier liegen auch die Arbeitsplätze der Zukunft.

Das ist die Aussage von Herr Röttgen zu Amerika.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt heißt es in Hessen von CDU und FDP immer wieder, die Atomkraft sei eine Brücken-, eine Übergangstechnologie. Aber wir müssen feststellen, dass Sie die Nutzung der Atomkraft im Grunde genommen zementieren wollen.

Ich sage Ihnen, ich war erschrocken, als ich vorhin eine dpa-Meldung von heute gelesen habe, in der nicht von einer Laufzeit von 32 Jahren für die deutschen Atomkraftwerke die Rede war, sondern explizit davon, dass unsere Atomreaktoren im Extremfall 60 Jahre laufen können sollen. Das ist ein energiepolitischer Skandal erster Güte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Schmitt hat es schon angedeutet: Biblis ist nicht sicher. Herr Kollege Stephan, das ist kein sicheres Kraftwerk. Sie wissen doch, wie lange Biblis immer wieder vom Netz genommen wird. Es wird ständig für Revisionsarbeiten stillgelegt. Wir hatten eine unglaublich lange Stilllegungszeit, als es den Dübelskandal gab: 15.000 Dübel mussten ausgetauscht werden; das müssen Sie sich einmal vorstellen. Biblis ist eben ein Atomkraftwerk, keine Schokoladenfabrik. Es ist nicht auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik. Da nützen Ihnen – –

(Unruhe)

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Kollegin, einen Augenblick. Ich möchte Ihnen zu etwas mehr Ruhe verhelfen. – Der allgemeine Geräuschpegel ist hoch. Ich bitte Sie, die Gespräche einzustellen, auch hinter der Barriere. Haben Sie alle das gehört? – Danke schön.

Ursula Hammann:

Vielen Dank, Herr Landtagspräsident. – Mit falschen Behauptungen versuchen CDU und FDP immer wieder, den Bürgerinnen und Bürgern den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke schmackhaft zu machen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Da gibt es eine Hitliste, und auch heute haben wir von Herrn Stephan wieder etwas über Versorgungssicherheit und Strompreissenkungen gehört.

Doch wie sieht die Realität aus? Deutschland produziert nicht zu wenig Strom, sondern Deutschland ist seit Jahren Stromexporteur. Wir hatten im Jahr 2008 trotz des ganzjährigen Stillstands der Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel einen Exportüberschuss von 20,1 TWh. Seit 2006 stehen die beiden Blöcke in Biblis länger still, als dass sie Strom produzieren. Trotzdem ist in Hessen kein einziges Licht ausgegangen.

Wie sieht es mit der Strompreissenkung aus, die immer wieder suggeriert wird? Offen würde Frau Lautenschläger nie sagen, dass bei einer Laufzeitverlängerung der alten Atomkraftwerke eine verbindliche Verpflichtung zur Senkung der Strompreise sowohl unter rechtlichen als auch unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten nur schwer vorstellbar wäre. Aber genau das haben die Fachleute des hessischen Umweltministeriums wie auch die des baden-württembergischen Umweltministeriums zu Papier gebracht.

Ein Blick über die Grenze in das Nachbarland Frankreich zeigt Folgendes. Frankreich hat einen Atomstromanteil von 80 Prozent. Aber man stellt fest, dass das Strompreisniveau in den einzelnen Marktsegmenten sogar höher ist als in Deutschland. So sieht die Realität aus.

Es gibt ein Papier, das Herr Ministerpräsident Koch und der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger, der jetzt auf EU-Ebene für die Energiepolitik zuständig ist, verfasst haben. Dieses Papier liest sich wie eine Regieanweisung zur Aushebelung des gesetzlich verankerten Atomausstiegs. Es sind aber auch sehr aufschlussreiche Passagen darin enthalten. Ich bringe ein Zitat daraus:

… es einzelne sicherheitsrelevante Unterschiede dort gibt, wo durch die bestehende Anlagenkonzeption den Nachrüstungen Grenzen gesetzt waren. Solche Unterschiede bestehen beim baulichen Schutz (z. B. gegen den Aufprall eines schnell fliegenden Militärflugzeugs), bei der Materialwahl von Komponenten und Rohrleitungen des Primärkreislaufs und bei der technischen Realisierung einer der Störfallbeherrschung vorgelagerten Begrenzungsebene.

Genau diese Aussage bekräftigt die Ablehnung des Antrags von RWE auf eine Strommengenübertragung von 30 TWh vom Atomkraftwerk Emsland auf den Reaktor Biblis A aufgrund mangelnder Sicherheitsreserven. Dies wurde mit Bescheid vom 7. April 2008 durch das Bundesumweltministerium abgelehnt.

Einen katastrophenfreien Reaktortyp gibt es nicht. Das wird es auch niemals geben. Auch bei dem neuen Reaktortyp, der zurzeit in Finnland im Bau ist, wird eine Kernschmelze als schwerster denkbarer Unfall nicht ausgeschlossen.

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Ursula Hammann:

Ich komme zum Ende. – Wir brauchen eine andere Energiepolitik, eine Energiepolitik, die nicht auf Atomkraft und auf klimaschädliche Kohlekraftwerke setzt.

Wir bedauern, dass es der Hessischen Landesregierung immer noch nicht gelungen ist, ein wirkliches Energiekonzept vorzulegen. Meine Damen und Herren, Sie stehen in der Verpflichtung – nicht nur uns als Abgeordneten des Hessischen Landtags, sondern auch den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Norbert Kartmann:

Vielen Dank.