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18.11.2010

Ursula Hammann: RWE nutzt schmutzigen Atomdeal als doppeltes Steuersparmodell

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In den Medien konnte man vor kurzem im Wirtschaftsteil lesen: RWE verdient gut. RWE hat in den ersten drei Quartalen dieses Jahres das betriebliche Ergebnis des Konzerns noch einmal um 11 Prozent auf 6,1 Milliarden Euro steigern können. Der Nettogewinn stieg ebenfalls um 11 Prozent auf 3,2 Milliarden Euro.

Bemerkung am Rande: Trotz dieser Milliardengewinne beabsichtigt RWE, zum Anfang des Jahres 2011 die Strompreise wieder deutlich zu erhöhen. – Die Gewinnvermehrung wird weitergehen; denn RWE ist einer der vier Atomkraftwerksbetreiber, die unter der schützenden Hand der Bundesregierung stehen. Ich sage auch: Es ist unglaublich, instinktlos und ignoriert die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung in Deutschland, wenn dieses Geschäftsziel von RWE höher bewertet wird als das Sicherheitsinteresse der Menschen in Deutschland.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Erst der schmutzige Deal der Laufzeitverlängerung der risikoreichen Atomkraftwerke macht es doch möglich, dass den Atomkraftwerksbetreibern noch für mindestens 14 Jahre pro Tag über 1 Million Euro in die Kassen gespült werden.

Dazu kommt jetzt auch – das haben wir auch schon im Ausschuss diskutiert –, dass RWE diesen Deal auch noch benutzt, um ein Steuermodell umzusetzen, ein persönliches Steuermodell durch die Umgehung der Brennstoffsteuer.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 92 unverbrauchte Brennelemente werden noch in diesem Jahr ausgetauscht. Damit will RWE die Erhebung der Brennstoffsteuer ab Januar umgehen. Das heißt für RWE: Mindestens 280 Millionen Euro sind von RWE nicht zu zahlen. Das ist nicht physikalisch zu begründen; das ist einzig und allein fiskalisch zu begründen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Selbst das kann man im „Handelsblatt“ nachlesen. Dort hat nämlich eine Sprecherin von RWE sehr deutlich gesagt: „Selbstverständlich werden aber auch ökonomische Kriterien berücksichtigt.“ Da hilft auch das Gegrummel von Herrn Ministerpräsidenten Bouffier nichts, wenn er sagt, das Vorhaben sei ihm „wenig sympathisch“, dieser Vorgang sei „nicht vertrauensbildend“ oder auch die Aussage von Frau Atomministerin Puttrich, die sagte, dies hätte „zu Irritationen in ihrem Haus“ geführt.

(Vizepräsident Heinrich Heidel übernimmt den Vorsitz.)

Lieber Herr Kollege Stephan, da hilft auch die Aussage: „Ich würde gern einen anderen an der Spitze des Konzerns sehen“, die Sie im Umweltausschuss getätigt haben, nicht weiter. Herr Kollege Stephan, denn ich sage Ihnen: Nicht die Konzernspitze ist das Problem, sondern die Spitze der Bundesregierung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Nur mit Frau Merkel an der Spitze der Bundesregierung ist so ein Geschäft mit der Atomindustrie doch erst möglich gewesen. Frau Merkel hat dieses Schlupfloch doch erst ermöglicht, und ich stelle immer wieder fest, und auch hier erneut: Frau Merkel geriert sich als Schutzpatronin der Atomwirtschaft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn Frau Merkel den Willen und die Durchsetzungsfähigkeit gehabt hätte, wäre es ihr ein Leichtes gewesen, dieses Schlupfloch im Gesetz zur Erhebung der Brennelementesteuer zu schließen.

Werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Sie müssen sich schon fragen lassen, warum bei der Erhebung der Brennelementesteuer eben keine Bremse für Vorzieheffekte eingebaut wurde. Bei der Besteuerung von Flugtickets wurde dies berücksichtigt, aber in diesem Fall nicht. Warum also nicht auch bei der Brennelementesteuer?

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Offensichtlich haben Sie bereits damals daran gedacht, RWE zu schonen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

– Das ist richtig, Herr Kollege. – Hieran ist aber doch erkennbar, wer die Fäden gezogen hat. Wenn selbst die Hessische Landesregierung nicht darüber informiert wurde – das bestätigt die Aussage, es gebe im Atomministerium „Irritationen“ –, belegt das einmal mehr, meine Damen und Herren, dass viele Details dieser schmutzigen Atomdeals geheim gehalten wurden. Wir fragen uns: Was kommt denn dann noch, was wir alle nicht wissen? Ich glaube, es wird noch einiges auf uns zukommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Aufkündigung des Atomausstiegsvertrags führt doch dazu, dass sich unglaublich viele Menschen in dieser Republik verschaukelt sehen. Ohne Not wurde eine gesellschaftlich befriedete Lösung wieder aufgebrochen. Allein diese Laufzeitverlängerung der alten Atomkraftwerke wird dazu führen, dass wir über 4.000 t strahlenden Atommüll mehr haben werden, wobei wir heute alle noch nicht wissen, wo dieser Müll sicher gelagert werden kann.

Es ist doch auch kein Wunder, wenn dann die Menschen im Wendland auf die Straßen gehen und dagegen protestieren. Nicht nur dort, überall gehen die Menschen auf die Straßen, egal in welchem Alter. Sie demonstrieren gegen diese unmögliche Politik, die auf Bundesebene betrieben wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Wir hatten heute Morgen die Diskussion um die Castor-Transporte, und auch die Diskussion über das fehlende Endlager ist wieder neu entbrannt. Gerade wenn man sich die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zu Gorleben anschaut, erkennt man doch, dass diese Endlagerdiskussion um Gorleben eine politisch besetzte Diskussion ist. Man hat das Endlager Gorleben nicht aus Sicherheitsgründen gewählt, sondern aus einer politischen Entscheidung heraus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Auch Umweltminister Sander in Niedersachsen, übrigens ein großer Befürworter der Atomkraft, will nun keine weiteren Castor-Transporte in dem Land. Er will es verhindern. Das Ansinnen, andere Länder müssten jetzt eben auch einmal Lagerplätze für Castoren bereitstellen, haben Bayern und Baden-Württemberg gleich abgelehnt. Am heißesten fand ich die Aussagen von Herrn Max Straubinger, dem stellvertretenden Chef der CDU-Landesgruppe im Bundestag – darüber wurde in zahlreichen Medien berichtet –, der nämlich sagte: „Keine Diskussion über alternative Standorte, sonst zünden wir die ganze Republik an.“ Wenn wir GRÜNEN diese Aussage getroffen hätten, dann wäre es im Deutschen Bundestag zu Krawallen gekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie sieht die Landesregierung die Diskussion um alternative Standorte? – Hier ist nur ein einziger Wirrwarr erkennbar. Zuerst kam dazu von Frau Atomministerin Puttrich ein ganz klares Nein. Dann sagte Ministerpräsident Bouffier, dass sich kein Land einer Diskussion um ein Castor-Zwischenlager entziehen könne. Vorher war einmal von einem Endlager die Rede. Man wusste offensichtlich so gar nicht, über was man überhaupt redet.

Viele haben es auch gewertet, dass es von Herrn Ministerpräsidenten Bouffier offensichtlich ein Zugeständnis gibt. Aber ist es denn das wirklich? – Wenn man sich dann eine wörtlich Aussage anschaut, die er am 12.11. im „Echo“ getätigt hat, wo er sagte, das könnten wir nicht ändern, das sei Bundesrecht, und er habe auch nicht die Absicht, das zu ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann stelle ich fest: Das Stankt-Florian-Prinzip kann nicht deutlicher dargestellt werden, und eine verantwortungslose Politik kann sich nicht besser präsentieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Eine Umfrage von Emnid ergab, dass rund – das wurde heute Morgen auch schon angesprochen – zwei Drittel der Deutschen, also 67 Prozent, es begrüßen würden, wenn der deutsche Atommüll aus der Wiederaufarbeitung an die AKW-Standorte gebracht würde. Und über 80 Prozent zeigten Verständnis für die Castor-Proteste in Gorleben.

Wir fordern die Landesregierung daher auf, den Vermittlungsausschuss anzurufen, denn es ist auch ganz klar, dass sowohl die Novelle des Atomgesetzes als auch die Gestaltung des Brennelementesteuergesetzes nicht mit den Interessen der Menschen in Hessen zu vereinbaren sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Nur der Vermittlungsausschuss, und das ist auch ganz klar, kann verhindern, dass RWE diese mindestens 280 Millionen € durch das Schlupfloch des Brennelementesteuergesetzes spart. Die Laufzeitverlängerung der AKWs sowie die Steuer auf Brennelemente – beide Gesetze – wurden mit einer unerträglichen Schnelligkeit durch den Bundestag gepeitscht.

Daher muss man sich einfach einmal anschauen, wer dies Ganze kommentiert hat. Es waren nicht nur GRÜNE, die das kritisiert haben, Bundestagspräsident Lammert war in seiner Aussage sehr klar. Er hat ganz klar gesagt: „Das war kein Glanzstück der Parlamentsarbeit.“ Und er sagte auch: „Es war der Druck der Bundesregierung, der dazu geführt hat, dass bei diesem Vorhaben zu wenig Zeit genommen wurde und dass das Parlament damit auch seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden ist.“ Was für mich auch besonders wichtig ist, ist, dass er diese Vorgehensweise nicht nur kritisiert, sondern es auch inhaltlich kritisiert hat. Er betonte, dass die neuen Laufzeiten nicht sachlich begründet, sondern schlichtweg ausgehandelt worden sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn das aber aus einem CDU-Mund kommt, dann wird noch einmal ganz deutlich, dass für eine Laufzeitverlängerung überhaupt keine Begründung vorliegt. Es liegt keine Not vor, risikoreiche Atomkraftwerke länger am Netz zu halten, als das, was damals unter der rot-grünen Bundesregierung beschlossen wurde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Bundesregierung sucht nicht das Konsensprinzip, sondern setzt auf Brachialgewalt, indem der Bundesrat umgangen werden soll. Ich sage Ihnen: Auch dieses Vorgehen belegt doch erneut, dass die Bundesregierung hier von den vier großen Stromkonzernen am Nasenring durch die politische Arena gezogen wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Wir werden uns weiter gegen diese einseitige Interessensvertretung der vier großen Stromkonzerne wenden und die Möglichkeit einer Normenkontrollklage nutzen. Auch von Hessens Umweltministerin erwarten wir mehr Einsatz für die Sicherheitsinteressen der hessischen Bevölkerung, indem der Irrweg der Atomkraft schnellstens verlassen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Die Redezeit ist abgelaufen.

Ursula Hammann:

Ich danke Ihnen, noch ein Satz: Herr Ministerpräsident Bouffier, wir fordern Sie auf, in der Bundesratsitzung am 26.11. den Vermittlungsausschuss sowohl für die Novelle des Atomgesetzes als auch für das Kernbrennstoffgesetz anzurufen, denn dann wird erkennbar sein, ob die Länder in ihrer Mehrheit die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke unterstützen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Frau Kollegin Hammann.