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21.05.2014

Ursula Hammann: Keine Übertragung der Atomausstiegskosten auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Gremmels, wir können vieles von dem nachvollziehen, was Sie hier vorgetragen haben. Auch uns wäre der erste Atomausstieg der liebere gewesen. Aber das ist verschüttete Milch. Wir müssen darauf achten, vorwärts zu diskutieren.

(Lachen bei der SPD)

Da nehme ich Ihren Antrag ernst. Darin haben Sie gesagt: keine Übertragung der Atomausstiegskosten auf die Steuerzahlerinnen und -zahler.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit müssen wir uns auseinandersetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Deshalb sage ich gleich zu Beginn: Ein Sich-aus-der-Verantwortung-Stehlen der Energiekonzerne wird es mit uns GRÜNEN nicht geben. Wir nehmen das Verursacherprinzip sehr ernst. Wir wissen wie auch Sie, wer die Verursacher sind. Sie haben das selbst hier vorgetragen. Das sind nicht die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen. Es sind die Energiekonzerne, die diese Verantwortung zu tragen haben. Sie sind Verursacher und verantwortlich für die Verwertung der radioaktiven Reststoffe, für die Beseitigung der radioaktiven Abfälle sowie für die Stilllegung der lange betriebenen Atomkraftwerke. Ich glaube, darüber sind wir uns vollkommen einig.

Damit ist aber auch klar: Die vier großen Energiekonzerne und Atomkraftwerksbetreiber – E.ON, EnBW, Vattenfall und auch RWE – haben die Verantwortung zu tragen und die Finanzierungspflicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der Abg. Timon Gremmels und Heike Hofmann (SPD))

Sie haben die Finanzierung vollständig zu tragen, nicht der Staat und auch nicht die Steuerzahlerinnen und -zahler.

Vor wenigen Tagen wurde bekannt – und darüber diskutieren wir jetzt –, dass die vier Energiekonzerne und Atomkraftwerksbetreiber RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall die Kostenrisiken, die sie für sich sehen, die natürlich mit der Beendigung der Atomkraftnutzung bis zum Jahr 2022 verbunden sind, gerne auf den Staat, auf die Allgemeinheit abladen würden.

Aus Konzernsicht ist das sehr nachvollziehbar. Offensichtlich haben die Energiekonzerne ein großes Interesse daran ein nicht mehr gewinnbringendes Geschäft – wie der Betrieb der Atomkraftwerke – an den Staat abzutreten. Das ist durchaus nachvollziehbar, aber das kann nicht unser Interesse sein. Wir haben das Interesse, Steuerzahlerinnen und -zahler zu schützen. Dabei greift das Verursacherprinzip.

Sie haben den Sturm der Entrüstung bemerkt. Alle Medien haben darüber berichtet. Die Bestrebungen machen schier sprachlos. Entsprechend empört reagieren die Menschen, und das auch zu Recht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Denn die Menschen, die sich damit beschäftigt haben, wissen ganz genau, wie viele Jahre die Atomindustrie vom Betrieb der Atomkraftwerke profitiert hat, mit allen Risiken, die damit verbunden waren. Offensichtlich glauben aber die Atomkraftwerksbetreiber an die Devise: Frechheit siegt. Ihr Geschäftsmodell heißt wohl: Gewinne werden privatisiert, Verluste werden sozialisiert. Meine sehr geehrten Damen und Herren: aber nicht mit uns.

Ich habe eben schon gesagt: Die Empörung, die dieses Anliegen hervorgerufen hat, haben die Konzerne offensichtlich nicht erwartet. In der Wirtschaftswoche konnte man eine sehr schöne Darstellung lesen. Am 19.05. wurde dort ein Kurzprotokoll einer Schaltkonferenz der vier großen Energiekonzerne wiedergegeben, die aufgrund der massiven öffentlichen Kritik stattfand. Darin heißt es, ich zitiere:

Es wird die Erwartung/Hoffnung geäußert, dass sich das Thema medial in den nächsten Tagen erledigt.

(Lachen der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Liebe Kollegen und Kolleginnen, das wird nicht der Fall sein. Die Menschen wissen, welche Gewinne in den letzten Jahren eingefahren wurden, und der Protest wird weiter anhalten. Deswegen wird die Hoffnung der Energieversorgungsunternehmen an dieser Stelle nicht erfüllt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜEN und bei Abgeordneten der CDU)

Daher möchte ich nochmals auf die wirklich lukrativen Gewinne der Atomkraftwerksbetreiber eingehen. Über ein halbes Jahrhundert haben sie ohne Probleme Milliardengewinne eingestrichen. Sie haben staatliche Subventionen in dreistelliger Milliardenhöhe erhalten. All das ist niedergelegt.

Es gibt eine Studie von Greenpeace Energy, die sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat. Es wurde überprüft, wie hoch diese Beträge waren. Diese Studie von Greenpeace Energy sagt: Der Staat hat die Atomkraft bis zum Jahr 2018 mit 201 Milliarden Euro bezuschusst. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist eine ganz gewaltige Summe.

Auch die Dividendenausschüttungen lassen Rückschlüsse auf die Gewinne der großen Konzerne zu. Ich greife hier auf Angaben der Wirtschaftswoche vom 19. Mai zurück. Danach haben die drei großen börsennotierten Stromriesen, E.ON, RWE und EnBW, in den Jahren 2000 bis 2013 Dividenden in Höhe von über 60 Milliarden Euro ausgeschüttet – eine sehr gute Einnahmequelle für die Anleger. Bei E.ON floss das Geld zu 60 Prozent an institutionelle Anleger in den USA, Kanada, Großbritannien und Frankreich.

Ich möchte daran erinnern – gerade weil die Energieversorgungsunternehmen jetzt diesen Verstoß unternommen haben –, dass noch vor wenigen Jahren die vier großen Energiekonzerne immer wieder beteuert haben, dass die Stilllegungs- und Entsorgungskosten überhaupt kein Problem seien, sie hätten die finanziellen Voraussetzungen dafür geschaffen. Auch das wurde überprüft. Auch hierzu hat Greenpeace eine Studie gemacht und untersucht, was Abriss und Entsorgung für die Konzerne an notwendigen Rückstellungen bedeuten. Die Studie hat ergeben, dass die vier Atomkraftwerksbetreiber im günstigsten Fall 25 Milliarden Euro und im schlimmsten Fall 43 Milliarden Euro für die Stilllegung, den Abriss und die Entsorgung zu zahlen hätten. Ich möchte die Kollegen, die an dem Kraftwerksgespräch mit RWE in Biblis teilgenommen haben, erinnern, dass auch damals die Frage gestellt wurde, ob RWE genügend Vorsorge für den Abriss und die Entsorgung der Abfälle getroffen hat. Damals wurde von RWE gesagt: Die Mittel für den Abriss und die Entsorgung der beiden Atomkraftwerksblöcke sind gesichert.

Doch nun haben wir mit den vier großen Energiekonzernen eine ganz andere Diskussion. Jetzt, da der Ausbau des Ökostroms die konventionellen Kraftwerke, wie man erkennen kann, immer unrentabler macht und die Gewinne der Energiekonzerne eingebrochen sind, würden sich diese jetzt möglicher Finanzrisiken gerne entledigen. Das können und dürfen wie aber nicht akzeptieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, über eines müssen wir wirklich nachdenken: Wie können die Rückstellungen wirklich insolvenzsicher gestaltet werden? Wir müssen über die Frage nachdenken: Wie und in welcher Weise können diese Rückstellungen langfristig gesichert werden? Für die Beantwortung dieser Fragen haben die Energieversorger selbst einen Aufschlag gemacht. Sie haben nämlich, um sich des Finanzrisikos zu entledigen, angeboten, die Rückstellungen in Höhe von ca. 30 Milliarden Euro in eine Stiftung einzubringen. Verwalten soll diese Stiftung die Bundesregierung. Die Summe könnte aber noch weitaus höher sein, denn es gibt Aussagen aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die lauten, bis Ende des vorigen Jahres sind die Rückstellungen auf 36 Milliarden Euro angewachsen.

Wir GRÜNE haben schon vor vielen, vielen Jahren mit Blick auf die Insolvenzproblematik gesagt: Die Rückstellungen müssen gesichert werden. – Wir haben deshalb seit vielen Jahren die Forderung erhoben, dass die Rückstellungen der Atomwirtschaft in einen öffentlich kontrollierten Fonds überführt werden, ein Fonds, der in der Organisationsform einer rechtsfähigen Stiftung des öffentlichen Rechts geführt werden sollte. Leider haben wir uns mit dieser Forderung bis jetzt nicht durchsetzen können. Man muss dazu wissen: Aus unserer Sicht war und ist die bisherige Praxis der Bildung von Rückstellungen mit Problemen behaftet; zum einen führen die steuerfreien Rückstellungen zu Wettbewerbsverzerrungen, zum anderen ist eben nicht sichergestellt, dass die Rückstellungen tatsächlich zur Verfügung stehen, und sie benötigt werden. Zu unserer Haltung gab es von vielen Seiten sehr kritische Stellungnahmen und Stimmen. Kritik an der bisherigen Praxis gab es aber auch vom Bundesrechnungshof, der unsere Haltung unterstützt hat. Der Bundesrechnungshof kritisierte insbesondere die Intransparenz der Rückstellungspraxis.

Man muss nur einmal über den Tellerrand blicken und sich die Praxis in anderen Ländern anschauen. Dann kann man schnell erkennen, dass es z. B. in einigen Nachbarländern entsprechende Fondslösungen bereits gibt. In der Schweiz gibt es einen öffentlich kontrollierten Stilllegungs- und Entsorgungsfonds. Ich verweise auch auf das Fondsmodell in Schweden, dass hier beispielhaft herangezogen werden kann. Den Bedenken, die Einrichtung eines Fonds sei nicht möglich, da die Energiekonzerne das Geld dafür nicht flüssig machen könnten, stehen Äußerungen gegenüber, die das Gegenteil besagen. Wolfgang Irrek, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Ruhr West in Bottrop, wird wie folgt zitiert:

Bei E.ON, RWE und Vattenfall steht den Atomrückstellungen mehr als das Doppelte an kurzfristigen Vermögenswerten und Forderungen gegenüber.

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Frau Kollegin Hammann, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ursula Hammann:

Dies bedeutet, dass die Energiekonzerne die Kosten für die Entsorgung sehr wohl aufbringen können. Die Einrichtung einer Stiftung ist daher möglich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir stimmen an vielen Punkten mit Ihnen überein. Schlicht falsch ist aber der Adressat Ihres Antrags. Nicht die Landesregierung ist für die Erstellung eines Konzepts zuständig. Das ist eben vom Herrn Ministerpräsidenten dargestellt worden.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels (SPD))

Ihr Ansprechpartner ist die Bundesregierung. Daher möchte ich Ihnen ganz zugewandt sagen: Sie sind mit in der Bundesregierung und daher auch mit in der Verantwortung. Das können Sie selber richten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD)

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Vielen Dank.