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01.02.2012
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Zweiter Minister der Landesregierung gibt fehlerhafte Abwägung bei Genehmigung des Flughafenausbaus zu

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich finde, was wir hier erleben, ist erstaunlich. Herr Kollege Dr. Arnold, ich könnte eigentlich als jemand, der diesen Ausbau immer für falsch gehalten hat, ganz ruhig zuschauen, wenn ein Ausbaubefürworter dem anderen Ausbaubefürworter vorwirft, nicht mehr zum Ausbau zu stehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Lieber Herr Kollege Dr. Arnold, vielen Dank für den Hinweis, dass die SPD immer für den Ausbau war. Aber dann müssen Sie sich von der SPD, von Herrn Grumbach, zu Recht anhören, dass die SPD auch immer für das Nachtflugverbot war und Sie genau das nicht durchgesetzt haben.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es ist schon sehr erstaunlich, dass bei einem Setzpunkt einer Oppositionsfraktion der Minister als Erster das Wort ergreift. Da liegen die Nerven offensichtlich sehr blank.

(Lachen der Abg. Florian Rentsch (FDP) und Judith Lannert (CDU) – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Deswegen frage ich Sie: Wovor haben Sie eigentlich Angst, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ich habe gedacht, wenn er schon als Erster das Wort ergreift, dass er das tun wird, um zu sagen, was die Regierung jetzt angesichts der realen Situation machen wird. Dass er am Ende ein Spielchen beginnt: „Regierung fragt, Opposition soll antworten“, wird der Sache nicht ganz gerecht, Herr Kollege Posch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die spannende Frage ist: Die Menschen wollen von Ihnen eine Antwort haben auf die Frage: Was tut die Regierung jetzt für sie?

(Zurufe von der SPD)

Wenn Sie in Ihren 13 Minuten – ich glaube es waren sogar mehr als 13 Minuten – nur über die Opposition reden, Herr Minister, und nicht darüber, was Sie machen wollen, dann kann ich Ihnen sagen: Man muss nicht regieren, man kann auch zurücktreten, wenn man nichts mehr zu sagen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold und Holger Bellino (CDU))

Herr Kollege Dr. Arnold, natürlich ist am Ende die wirtschaftliche Bedeutung das, worüber Sie am meisten geredet haben. Das finde ich spannend. Niemand in diesem Parlament, noch nicht einmal die Linksfraktion, würde die wirtschaftliche Bedeutung des Frankfurter Flughafens negieren.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Kollege Dr. Arnold, ich sage Ihnen: Der Frankfurter Flughafen hat diese wirtschaftliche Bedeutung ganz ohne eine Nordwestbahn erreicht.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Ihr Problem ist doch, dass bei Ihnen noch die alte Platte aufliegt. Da läuft noch die alte Betonmischmaschine, und Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Ich sage Ihnen Folgendes: Herr Dr. Arnold, Sie haben hier gesagt, dass das Ziel ist, die Zahl der Passagiere im Jahr 2020 auf 88 Millionen zu steigern. Im nächsten Satz sagen Sie, dass Sie alles dafür tun wollen, die Anwohner vor steigendem Lärm zu stützen. Herr Kollege Dr. Arnold, beides zusammen geht nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Kollege Al-Wazir, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Arnold?

Tarek Al-Wazir:

Ich erlaube keine Zwischenfrage. – Ich will Herrn Dr. Arnold etwas über die neue Platte des Ministerpräsidenten sagen. Der Ministerpräsident hat in der „FAZ“ am 11. Januar auf die Frage: „Die Zahl der Flugbewegungen in Frankfurt soll von derzeit rund 85 in der Stunde langfristig auf 126 steigen. Ist dies das Ziel, das die Landesregierung mit der Genehmigung des Ausbaus anstrebt?“ geantwortet: „Nein. Es gibt Grenzen, die werden nicht nach dem technisch und betriebswirtschaftlich Machbaren definiert.“

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Das ist eine sehr spannende Aussage, Herr Dr. Arnold, die offensichtlich bei Ihnen noch nicht angekommen war. Das heißt, wir werden jetzt über die Frage reden – nachher werden Sie über unseren Antrag abstimmen –: Gibt es eine Obergrenze für die Flugbewegungen am Frankfurter Flughafen, ja oder nein?

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Da werden Sie sich am Ende verhalten müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie hier sagen, der Kollege Schäfer-Gümbel sei ein Heuchler – das war Ihre Wortwahl und nicht meine –

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– oder Sie haben ihn gefragt, ob er ein Heuchler sei; das ist netter –, weil er sich einer unrealistischen Forderung nach einem Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr anschließt, da war offenbar die neue Platte auch noch nicht angekommen.

Stefan Grüttner wird am Montag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zitiert:

Nicht nur das Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr müsse bestätigt werden, auch in den sogenannten Randzeiten zwischen 22 und 23 Uhr sowie zwischen 5 und 6 Uhr müsse der Fluglärm verringert werden.

Das sagt der Sozial- und Gesundheitsminister. Fragen Sie den jetzt auch, ob er ein Heuchler ist, Herr Kollege Dr. Arnold?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Wir leben wirklich in sehr bewegten Zeiten. Die Verwirrung bei Ihnen ist auf dem Höhepunkt angekommen. Exakt vor drei Monaten haben wir hier in diesem Parlament auf einer Sondersitzung über die Konsequenzen des Flughafenausbaus geredet. Damals mussten wir uns noch vom Ministerpräsidenten und vom CDU-Fraktionsvorsitzenden anhören, das sei eine überflüssige Veranstaltung.

(Judith Lannert (CDU): Genau!)

Das war die Wortwahl: eine überflüssige Veranstaltung. Inzwischen wollen die Flughafenausbauer, die sich noch am 21. Oktober auf dem Gelände des Flughafens für den Ausbau haben feiern lassen, am liebsten so tun, als hätten sie mit dieser Nordwestbahn nichts zu tun. Das funktioniert nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg und Judith Lannert (CDU))

Der FDP-Fraktionsvorsitzende erklärt, sie hätten gerne ein absolutes Nachtflugverbot. Der Verkehrsminister erklärt in der „Frankfurter Neuen Presse“, er sei nicht der Erfinder der Nachtflüge, und gleichzeitig klagen Sie vor dem Bundesverwaltungsgericht auf Zulassung von 17 zusätzlichen Flügen zwischen 23 und 5 Uhr.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Das ist ihr Problem. Ihr Reden und Ihr Handeln passen nicht zusammen, und die Menschen merken das. Sie haben es gemerkt, und davor haben Sie Angst. Deswegen ist die Verwirrung auch so groß.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Der Innenminister ist plötzlich für ein Nachtflugverbot ohne Wenn und Aber. Am nächsten Tag sagt er hier in diesem Parlament: Die Revision in Leipzig muss bleiben, die genau für dieses Wenn und Aber eingelegt worden sei. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon sehr erstaunlich, was wir hier erleben.

Der Sozial- und Gesundheitsminister – ich habe ihn schon zitiert – hat zwar im Kabinett die Hand für die Klage in Leipzig gehoben, erklärt aber am letzten Sonntag, dass die Klage, für die er war, in Leipzig scheitert und dass man darüber hinaus noch das Nachtflugverbot ausweiten muss, wozu Sie gesagt haben, das sei eine unrealistische, heuchlerische Forderung.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Die Verwirrung in Ihren Reihen ist wirklich sehr groß.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es kommt hinzu: Wir haben als grüne Landtagsfraktion am 13. Dezember letzten Jahres – das ist sieben Wochen her – exakt das beantragt, was der Sozialminister gefordert hat. Er hat allerdings als Abg. Stefan Grüttner gegen jeden einzelnen Punkt dieser Forderungen gestimmt.

Die Verwirrung ist groß, aber nicht nur bei Ihnen. Die „FAZ“ hat jahrelang jeden, der den Ausbau kritisch gesehen hat, als fortschrittsfeindlichen Gartenzwerg hingestellt. Heute habe ich einen Kommentar von Herrn Lückemeier gelesen, in dem er die Fraport kritisiert. Sie würde nicht genug Verständnis für die fluglärmbelastete Bevölkerung zeigen.

Meine Fraktion hat im letzten Jahr vor der Eröffnung der Bahn in diesem Parlament beantragt, auf eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes hinzuwirken, damit die Flugsicherung nicht nur Sicherheit und Flüssigkeit, sondern als oberste Ziele Sicherheit und Lärmschutz bekommt.

Da hat der Kollege Müller in einem denkwürdigen Beitrag erklärt, wir GRÜNE würden das nur machen, weil es uns auf ein paar Flugzeugabstürze mehr oder weniger nicht ankommen würde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war noch im Mai Ihre Haltung. Jetzt sagen Sie, bei der DFS muss der Lärmschutz dringend ins Gesetz aufgenommen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer ist denn hier eigentlich mit der heuchlerischen Politik unterwegs?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Der DFS-Chef Kaden erklärt, heute in der „FAZ“ nachzulesen, nicht die DFS habe die Bahn gebaut, das sei die Fraport gewesen. Vor drei Stunden erreicht mich die Meldung, dass exakt dieser DFS-Geschäftsführer und seine beiden Kollegen von der Bundesregierung ihre Verträge nicht verlängert bekommen haben; umgangssprachlich würde man sagen: Sie sind rausgeschmissen worden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir leben wirklich in erstaunlichen Zeiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben recht: Natürlich ist es auch erstaunlich, dass mein Kollege Thorsten Schäfer-Gümbel, der immer für den Bau der Nordwestbahn geworben hat, jetzt öfter in der Einflugschneise frühstückt.

(Heiterkeit der Abg. Judith Lannert (CDU))

Aber immerhin traut er sich noch hin und sagt, im Gegensatz zu Volker Bouffier, die Termine in Flörsheim nicht ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich stelle also fest: Die Verwirrung bei den Ausbaubefürwortern ist sehr groß. Der Grund dafür ist relativ einfach: Die Belastung der Bevölkerung ist dramatisch. Leider ist sie genauso eingetreten, wie es diejenigen, die gegen diesen Ausbau waren, immer prophezeit haben.

Nach ihrer Serie von Wortbrüchen traut die Bevölkerung der schwarz-gelben Landesregierung nicht mehr. Die Bevölkerung traut auch der DFS und der Fraport und deren Versprechen nicht mehr – weil alles das, was jetzt versprochen wird, im Mediationsverfahren, nach der Veröffentlichung des Mediationsergebnisses und vor dem Planfeststellungsbeschluss im Jahr 2000 und im Jahr 2007 exakt so schon einmal versprochen und nichts, aber auch gar nichts davon umgesetzt wurde. Deswegen verstehe ich, warum die Menschen dem nicht mehr vertrauen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Posch, ab jetzt zählen nur noch Taten, keine Ankündigungen mehr.

Deshalb stelle ich fest, der Bau der Nordwestbahn war ein Fehler. Es wäre besser gewesen, wenn diese Bahn nie gebaut worden wäre.

Der Fehler ist allerdings mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP gemacht worden. Leider.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Ich hoffe weiterhin – und vieles von dem, was hier in den letzten Wochen an verwirrenden Äußerungen von der Regierung getan wurde, wird uns bei dieser Hoffnung helfen – auf das Bundesverwaltungsgericht, mit Blick auf diese Äußerungen, die jetzt erklären, dass sie von der Intensität des Lärms überrascht worden sind – das sagt der Verkehrsminister – oder dass es lauter geworden ist, als jede Berechnung erwarten ließ – das sagt der Gesundheitsminister. Ich hoffe, das Bundesverwaltungsgericht erkennt, dass hier offensichtlich eine fehlerhafte Abwägung erfolgt ist und damit eine fehlerhafte Genehmigung vorliegt.

Es bleibt aber auch dabei, dass wir nicht wissen, ob das, was wir GRÜNE uns vom Bundesverwaltungsgericht erhoffen, auch sicher kommen wird. – Übrigens ist das auch gut so: dass man als erste Gewalt nicht weiß, was die dritte Gewalt entscheiden wird.

Deshalb sind wir schon jetzt im Gespräch mit spezialisierten Verwaltungsjuristen, um nach Leipzig – je nachdem, was Leipzig entschieden hat –  die Frage zu klären, was rechtlich und politisch möglich ist, um die Bevölkerung zu entlasten; und zwar alle Bewohnerinnen und Bewohner im Rhein-Main-Gebiet.

Wir werden nichts versprechen, von dem wir nicht hundertprozentig sicher sind, dass wir es auch halten können. Aber die Menschen können darauf vertrauen, dass wir im Gegensatz zur schwarz-gelben Landesregierung an diesem Thema dran bleiben werden, weil wir den Anwohnern helfen wollen und im Gegensatz zu Ihnen kein taktisches Verhältnis zur Wahrheit haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind an diesem Thema seit 12 Jahren dran, und Sie können sicher sein: Wir werden auch nach der OB-Wahl an diesem Thema dran sein.

Genau das ist doch Ihr Problem: Sie sind bei dieser Frage genau deshalb so verwirrt, weil Ihnen eine OB-Wahl dazwischen gekommen ist und weil die Menschen spüren, dass es Sie nach dieser OB-Wahl wieder nicht mehr interessieren wird. Genau das ist das Problem des Vertrauensverlustes in Politik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Al-Wazir, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Tarek Al-Wazir:

Frau Präsidentin, mein letzter Satz.

Wenn Ihnen die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger so wichtig sind, dann müssen Sie bei den Petitionen jetzt auch gegen die Beschlussempfehlung stimmen, weil wir dort nichts anderes verlangt haben, als dass die Regierung alle sechs Monate berichtet, was sie getan hat.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg(CDU))

Wenn Sie sich noch nicht einmal das zutrauen, dann haben Sie ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit. Sie wollen nicht den Menschen helfen, Sie wollen irgendwie über einen Wahltermin kommen. Aber das merken die Menschen, und das ist Ihr Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

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