Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es schon spannend, dass wir im Dezember 2009 hier stehen und einen Ministerpräsidenten haben, der seit April 1999 regiert, der in den letzten zehn Jahren den Menschen in der Region ständig ein absolutes Nachtflugverbot zwischen 23 Uhr und 5 Uhr versprochen hat, der am heutigen Tage aber nicht in der Lage ist, sich gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit zu erklären.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von der FDP – Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)
– Herr Ministerpräsident, ich finde es außerdem spannend, dass Sie jetzt anfangen, dazwischenzurufen. Herr Koch, erst sein Wort brechen und dann kneifen – in Hessen ist im Jahre 2009 nichts unmöglich.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Lachen bei der CDU sowie der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es nicht so traurig wäre, dann müsste man sich angesichts der Redebeiträge, die von den Vertretern der Mehrheit bisher hier abgeliefert wurden, vor Lachen eigentlich ständig sonst wohin fassen.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Ich bin dem Kollegen Wagner und dem Kollegen Greilich am Ende für Ihre Redebeiträge aber doch ausdrücklich dankbar. Sie haben, wahrscheinlich eher ungewollt, darauf hingewiesen, dass Sie ein absolutes Nachtflugverbot überhaupt nie wollten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Wenn Sie nämlich sagen, dass man die Debatte auf den „eigentlichen Kern zurückführen“ müsse, nämlich auf die wirtschaftliche Dimension der Folgen eines absolutes Nachtflugverbots – so hat es Christean Wagner formuliert –, dann haben Sie, wahrscheinlich aus Versehen, zugegeben, dass Sie in Wahrheit ein absolutes Nachtflugverbot niemals wirklich angestrebt haben. Herr Kollege Wagner, ich frage Sie: Wann ist Ihnen diese Erkenntnis eigentlich gekommen? Was haben Sie seit dem Jahre 2000 nicht alles gesagt. Das Nachtflugverbot und der Ausbau, so der Kollege Hahn, seien angeblich zwei Seiten derselben Medaille bzw. untrennbar miteinander verbunden. Ich habe hier ein Zitat des Ministerpräsidenten aus dem Jahre 2002. Damals hat er gesagt: „Die Anwohnerinnen und Anwohner des Flughafens erwarten zu Recht einen wirksamen Ausgleich für zunehmende Flugbewegungen am Tage, und deshalb bin ich in dieser Frage auch zu keinerlei Kompromissen bereit.“
Wenn Sie jetzt sagen, dass es bei Lufthansa Cargo Leute gibt, die fragen: „Was heißt das für uns?“, dann stelle ich Ihnen die Frage, wann Ihnen die Erkenntnis gekommen ist, dass ein absolutes Nachtflugverbot natürlich auch wirtschaftliche Auswirkungen hat. Ich stelle Ihnen die Gegenfrage: Wenn der Flughafenausbau, wie Sie immer behauptet haben, eine so tolle Jobmaschine ist, glauben Sie dann nicht, dass Sie auch am Tag für die, die in der Nacht wirtschaftliche Probleme bekommen, einen Ausgleich finden? Ich frage Sie, auch und gerade angesichts der Redebeiträge, die Sie hier gehalten haben: Warum haben Sie seit dem Jahre 2000 die Region belogen? Warum haben Sie das getan?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU und der FDP)
Herr Wagner und Herr Greilich sagen, das sei alles nur Oppositionsklamauk.
(Zuruf des abg. Leif Blum (FDP))
– Herr Blum sagt auch noch: „Das stimmt.“ Er will sich wohl in die Reihe der Bewerber um die Rollen von Waldorf und Statler einreihen. – Ich sage Ihnen: Das Problem liegt viel tiefer. Es geht nämlich um einen Konflikt, den wir in dieser Region schon einmal hatten, der am Ende sogar zwei Menschenleben gefordert hat, Herr Kollege Blum.
(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))
Es geht um die Frage – –
(Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP)
– Warum reagieren Sie so angestochen, wenn man Sie auf die Ernsthaftigkeit des Problems aufmerksam macht?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Leif Blum (FDP): Das lasse ich mir von Ihnen nicht gefallen! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)
Es geht um die Frage, wie man in einem solchen Konflikt, den wir in dieser Region schon einmal hatten, die Glaubwürdigkeit von Politik deutlich macht. Es geht um die Frage, inwieweit Sie die Glaubwürdigkeit von Politik aufs Spiel setzen. Herr Ministerpräsident, wer soll Ihnen denn irgendwann noch irgendetwas glauben?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Sie stellen sich die Frage, warum die Wahlbeteiligung sinkt. Sie stellen sich die Frage, warum wir Politikerinnen und Politiker im Ansehen irgendwo zwischen einem Versicherungsvertreter und einer Prostituierten stehen.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Schauen Sie sich einmal an, wie Sie sich verhalten. Dann bekommen Sie die Antwort auf die Frage, warum das so ist. Das Schlimme ist ja, es trifft auch uns, wenn Sie sich so verhalten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU)
Herr Ministerpräsident, ich fand das, was Sie am Samstag der „Frankfurter Neuen Presse“ in einem Interview gesagt haben, sehr spannend. Sie haben gesagt:
Mein Wunsch ist nicht, soundso viele Nachtflüge zu haben, sondern dass wir den Flughafen nach den Regeln des Rechts betreiben können. Da haben die Mitarbeiter von Lufthansa Cargo ihre Rechte genauso wie die Anwohner … Im Verhältnis zu dem, was das Ergebnis an Ruhe schafft, sind wir nicht weit entfernt von dem, was die Mediatoren wollten.
Herr Ministerpräsident, diese Aussage ist absolut falsch. Die Mediatoren wollten im Ergebnis eine Abwägung: Mehrbelastung am Tag, dafür Ruhe in der Nacht. – Wenn Sie für die Nacht eine zusätzliche, eine eigene Abwägung vornehmen, dann haben Sie genau das nicht erfüllt, was die Mediatoren wollten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Herr Hahn, Herr Koch, Sie geben damit nachträglich denen recht – nämlich uns –, die Ihnen von Anfang an nicht getraut haben. Wir haben nämlich gesagt: Am Ende steht der Ausbau, und das Nachtflugverbot kommt nicht. – Sie geben uns damit nachträglich recht und merken es noch nicht einmal, Herr Ministerpräsident.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn man daran denkt, wie viel sich zwei Mediatoren, nämlich Herr Oeser und Herr Niethammer – die inzwischen verstorben sind –, als Vertreter der Wirtschaft auf der einen Seite und der Ausbaugegner auf der anderen Seite von diesem Verfahren in den Jahren zwischen 1998 und 2000 versprochen haben, und sich anschaut, wie Sie mit dem Mediationsergebnis heute umgehen, dann muss man sich für Sie fremdschämen, Herr Ministerpräsident. Man muss sich wirklich schämen für das, was Sie hier tun.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU)
Ich sage Ihnen allen, die Sie als Vertreterinnen und Vertreter von CDU und FDP in diesem Landtag sitzen: Sie können heute Rückgrat zeigen – angesichts des Wortbruchs, den Ihre Landesregierung zu begehen in Begriff ist. Ich will Ihnen, um es Ihnen etwas leichter zu machen, weil Sie vielleicht Angst vor den Folgen haben, Worte des Ministerpräsidenten zitieren. Der Ministerpräsident sagte am 19. November 2008 in der Debatte über die Selbstauflösung des Hessischen Landtags Folgendes – an die SPD-Fraktion gewandt.
Wenn ich Sie, Ihre Partei und Ihre Geschichte sehe, bin ich jede Sekunde stolz, einen freien Abgeordneten, der von niemandem zu etwas gezwungen werden kann, als Kernprinzip unserer demokratischen Ordnung zu haben. Die gilt es zu verteidigen, an jeder Stelle … Das trifft durchaus alle Parteien … Nicht immer ist es so gegangen, wie es die Parteiführungen geplant hatten. Das ist aber im Zweifel der Fehler der Parteiführung, nicht der Fehler der Verfassung mit dem Institut des freien Abgeordneten.
Wir geben Ihnen heute die Gelegenheit, indem wir über den gemeinsamen Antrag von SPD und GRÜNEN in namentlicher Abstimmung abstimmen lassen – ich beantrage das für meine Fraktion –, Rückgrat gegen Wortbruch zu zeigen.
(Zuruf des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, Sie erinnern sich an die Worte des Ministerpräsidenten und daran, was das Mandat des freien Abgeordneten wert ist.
(Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU))
Im Interesse der Glaubwürdigkeit von Politik, im Interesse der Menschen in der Region würde ich mir wünschen, dass wenigstens einige hier sind, die noch Rückgrat haben.
(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Eine Besucherin auf der Zuhörertribüne hält ein Transparent hoch.)
Vizepräsident Heinrich Heidel:
Schönen Dank, Herr Al-Wazir.