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29.09.2010
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Gesetz zu dem Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass wir mit diesem Rundfunkänderungsstaatsvertrag zum Jugendmedienschutz wieder einmal ein klassisches Beispiel vor uns haben, das man so beschreiben könnte: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

Natürlich ist es so, dass gerade angesichts der rasanten Entwicklung im Internet der Wunsch verständlich ist, dass man das auf das Internet übertragen möchte, was es bei den Druckerzeugnissen und im Fernsehen gibt, nämlich dass man Kinder und Jugendliche vor bestimmten Angeboten schützt. Liebe Frau Kollegin Wolff, die spannende Frage ist aber: Geht das überhaupt in einem globalen Medium?

Herr Kollege Wilken hat schon auf ein paar Probleme hingewiesen. Da geht es um die Frage, welche Auswirkungen das auf kleine Anbieter hat und wer bestimmte Auflagen in Zukunft wird erfüllen können und wer nicht. Herr Kollege Wilken, da sage ich: Da haben Sie ausdrücklich recht.

Ich glaube allerdings, dass Sie mit der Schlussfolgerung nicht richtig lagen. Sie meinten, dass daraus die chinesische oder die japanische Lösung folgen wird, nämlich dass man das Netz staatlich kontrolliert. Das wird hier nicht passieren. Vielmehr wird es eher so sein, dass sich der Staat mit seinen Anforderungen lächerlich macht.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Am Ende wird man zugeben müssen, dass man das wahrscheinlich nicht wird durchsetzen können.

Eines ist mir generell aufgefallen. Der erste Entwurf, der veröffentlicht worden ist, war deutlich – in Anführungszeichen – schärfer. Er hat gezeigt, dass in den Staatskanzleien offensichtlich immer noch das alte Rundfunkdenken vorherrscht. Da gibt es also eine – in Anführungszeichen – Sendeanstalt, und die macht ein Programm. Die ist gleichzeitig diejenige, die die Antennen betreibt, über die das Programm ausgesendet wird. Der Unterschied zwischen dem Anbieter von Speicherplatz, zwischen dem Anbieter von Inhalt, zwischen dem Anbieter von den Wegen dazu war offensichtlich noch gar nicht richtig wahrgenommen worden. Das sieht man immer noch daran, dass man ernsthaft beim Internet von Sendezeiten ausgeht, wo man weiß, dass der Tag 24 Stunden hat und es immer irgendwo auf der Erde gerade eine Stunde ist. „24 Stunden“ macht völlig klar, dass noch sehr altes Denken vorherrscht.

(Vizepräsidentin Sarah Sorge übernimmt den Vorsitz.)

Deswegen glaube ich, dass dieser Staatsvertrag, wie er in der Fassung vorliegt, die jetzt da ist, nicht nur Befürchtung Anlass gibt, dass in Zukunft die Zensur herrscht. Aber er gaukelt etwas vor, was er nicht wird einlösen können. Das ist das Problem des Staatsvertrages, der uns vorliegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen noch ein Beispiel nennen. Die beiden Hauptpunkte, die darin sind, sind einerseits Alterskennzeichnungen und andererseits Jugendschutzprogramme. Die erste Frage der Alterskennzeichnungen im Netz hat ein Problem. Das funktioniert nur dann, wenn es Eltern gibt, die im Zweifel Jugendschutzprogramme auf ihre Computer oder die Computer ihrer Kinder aufspielen.

Es gibt ein Beispiel aus der Musik. Ich weiß nicht, ob Sie die Ehefrau von Al Gore kennen, Tipper Gore. Tipper Gore hat vor 20 Jahren für ihre Nichte ein Album von Prince gekauft und ist dort auf einen ihrer Meinung nach anstößigen Inhalt gestoßen. Sie hat eine Bewegung in Gang gesetzt, die dazu geführt hat, dass auf vielen CDs inzwischen ein Stempel aufgebracht ist: Parental Advisory – Explicit Lyries. Ein Hinweis an die Eltern, deutliche Sprache, um es einmal vorsichtig auszudrücken.

Bis heute ist es immer noch so, dass die meisten Eltern diesen Stempel überhaupt nicht als solchen erkennen, aber die Jugendlichen inzwischen, wenn dieser Stempel nicht auf der CD steht, sagen: Das kaufe ich nicht, das ist mir nicht hart genug. – Wenn am Ende einer solchen Kennzeichnung genau das steht, dann hätten wir das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich die Initiatoren eines solchen Jugendmedienschutzstaatsvertrages erreichen wollten. Deswegen sage ich: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin der Fraktion der Sozialdemokraten für den Vorschlag ausdrücklich dankbar, eine Anhörung zu machen, die sich weniger mit diesem Jugendmedienschutzstaatsvertrag, sondern mit den eigentlichen Problemen beschäftigt. Es gab in den Achtzigerjahren zwei sehr populäre Bücher von Neil Postman. Das Erste ist „Wir amüsieren uns zu Tode“, und das Zweite ist „Das Verschwinden der Kindheit“. Ich denke mir manchmal, was würde eigentlich passieren, wenn Neil Postman das nicht über das Fernsehen, wie in den Achtzigerjahren, schreiben würde, sondern über das Internet im Jahre 2010. Er ist vor sieben Jahren gestorben.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Kollege Al-Wazir, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Tarek Al-Wazir:

Er kann es nicht mehr machen. Wir sollten uns aber generell einmal die Frage stellen, wie wir Sachen nicht nur gut meinen können, sondern auch gut machen. Am Ende bleibt der Schlüssel einzig und allein die Medienkompetenz. Als Land haben wir dabei eigene Kompetenzen, die wir nutzen müssen. – Vielen herzlichen Dank, Frau Präsidentin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herzlichen Dank auch an Sie, Herr Al-Wazir.

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