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10.12.2009
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir zu der maßgeblich vom Ministerpräsidenten betriebenen Absetzung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Herrn Kollegen Hoff außerordentlich dankbar für seinen Redebeitrag.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Kollege Hoff hat – wahrscheinlich unfreiwillig – den Beweis dafür geliefert, wie dringend der Staatsvertrag des ZDF verändert werden muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Hoff, haben Sie ernsthaft gesagt, dass die Tatsache, dass die Landtage über die Gebührenempfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, also über die Gebührenhöhe abzustimmen haben, den Landtagen ein Mitspracherecht bei Personalentscheidungen in den Rundfunkanstalten einräumt? Herr Hoff, lesen Sie später einmal nach, was Sie hier gesagt haben. Dann haben Sie offensichtlich Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht verstanden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Herr Kollege Hoff, ich weiß gar nicht, ob Sie es wirklich ernst gemeint haben, was Sie über die Quoten und die Mitarbeiterführung gesagt haben. Sie haben gesagt, Brender müsse weg, weil er als Chefredakteur sinkende Quoten zu verantworten habe. Sie wissen doch fast besser als alle anderen, wie sich die Medienlandschaft in den vergangenen zehn Jahren verändert hat. Wenn man Ihr Argument jedoch gelten lässt, dann frage ich Sie als Mitglied der CDU-Landtagsfraktion und als Mitglied der hessischen CDU, weshalb Sie nicht nach zwei Landtagswahlen, bei denen Ihr Parteivorsitzender sinkende Stimmenzahlen für die CDU und somit eine sinkende Quote zu verantworten hat, dessen Ablösung gefordert haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Weshalb haben Sie eigentlich nicht Karlheinz Weimar entlassen, nachdem klar war, dass vier Steuerfahnder aufgrund eines vorsätzlich falschen Gutachtens in den Ruhestand versetzt worden sind? So viel zur despotischen Mitarbeiterführung. Es ist doch albern, was hier erzählt worden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich hätte die Frage gar nicht angesprochen, wer damals Vorsitzender des Rundfunkrates des Hessischen Rundfunks werden sollte. Da Sie es aber angesprochen haben, will ich Ihnen sagen, wie es damals war.

Die Vertreter der SPD, der CDU und der FDP hatten sich darauf geeinigt, dass Landtagspräsident Norbert Kartmann Vorsitzender des Rundfunkrats werden sollte, und sind – wie selbstverständlich – davon ausgegangen, dass alle anderen folgen.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn – Zuruf des Abg. Norbert Kartmann (CDU))

Ich bekenne mich in diesem Falle schuldig, und zwar schuldig im Sinne der Rundfunkfreiheit. Ich habe versucht, die Rundfunkratmitglieder, die parteiunabhängig sind, davon zu überzeugen,

(Lachen bei der CDU – Zuruf von der CDU)

– warum lachen Sie denn da? –, dass kein CDU-Abgeordneter, sondern ein Vertreter des Verbandes freier Berufe Vorsitzender des Rundfunkrats werden sollte. Was ist daran falsch?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Ich hätte das von meiner Seite gar nicht angesprochen, aber ich habe mich, seit ich in diesem Gremien bin, nicht wie ein Vertreter einer Partei verhalten,

(Lachen bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

– Sie verstehen es nicht –, sondern ich habe mich als Vertreter der Öffentlichkeit in diesem Gremium gesehen und dafür gesorgt, dass der Einfluss der Parteien, den viele, Sie vorneweg, durchzusetzen versuchen, eben nicht mit Erfolg geltend gemacht wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Ihr Problem ist doch – das hat man bei allen Ihren Redebeiträgen gemerkt –:

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie sind die Unschuld vom Lande! – Weitere Zurufe von der CDU)

35 Staatsrechtler haben in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ unter der Überschrift „Der Fall Brender“ einen offenen Brief verfassen, in dem es heißt:

Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert die Rundfunkfreiheit. Sie ist eine wichtige Säule unseres demokratischen Staatswesens. An dieser Säule wird gerade gesägt, und zwar von einigen Mitgliedern des Verwaltungsrats beim ZDF. Nikolaus Brender soll keine oder eine unüblich kurze Vertragsverlängerung als Chefredakteur erhalten, angeblich weil die Quoten im Informationssegment nicht stimmen.

Um diese Frage geht es aber in Wahrheit nicht. Es geht schlicht darum, wer das Sagen, wer die Macht hat beim ZDF. Es handelt sich um den offenkundigen Versuch, einen unabhängigen Journalisten zu verdrängen und den Einfluss der Parteipolitik zu stärken. Damit wird die Angelegenheit zum Verfassungsrechtsfall, und deshalb mischen wir uns ein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau darum geht es.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Ministerpräsident, es geht darum, dass Sie sich hier als Roland Berlusconi aufspielen. Darum geht es in Wahrheit.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Sie wollen sich den Rundfunk untertan machen. Deswegen debattieren wir heute auch im Hessischen Landtag über diese Frage.

(Zurufe von der CDU)

Man kann Herrn Brender viel vorwerfen, aber Sie, Herr Koch, werfen ihm in Wahrheit vor, dass er sich in kein Lager eingeordnet hat, dass ihm seine journalistische Unabhängigkeit über die Zugehörigkeit zu irgendeinem Lager ging. Das stört Sie, weil Sie offensichtlich nicht arbeiten können, wenn Sie die Leute nicht in irgendeine Schublade einordnen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben in den letzten Jahren immer wieder Versuche erlebt, auf die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzuwirken, und zwar von vielen Seiten. Aber so dreist, wie Sie, Herr Koch, das in den letzten Wochen versucht haben, hat es noch keiner vorher gemacht – seit Konrad Adenauer und dessen Versuch, die Gründung des ZDF als Gegensender zur ARD durchzusetzen.

Das Schlimme an der ganzen Geschichte ist, dass Sie das Ansehen des ZDF schon jetzt fast irreparabel geschädigt haben, egal was Sie heute Nachmittag drüben in Mainz im Verwaltungsrat tun. Ich zitiere wieder aus der „FAZ“:

Der nächste Chefredakteur des ZDF, den der Intendant noch in diesem Jahr durch den Verwaltungsrat bringen will, kann einem leidtun, denn bei ihm oder ihr sehen wir alle von Beginn an, wer die Strippen an der Marionette zieht.

Wenn solche Sätze in der Zeitung stehen, wenn man solche Überschriften in diversen Zeitungen findet, wenn da steht: „Wir wollen das Fernsehen zurück“, wenn die Mainzelmännchen sozusagen zum Aufstand aufgerufen werden, dann ist doch das Problem: Egal, welche Entscheidung Sie heute treffen, dem, der Chefredakteur des ZDF wird, haftet von Anfang an der Makel an, dass er von Roland Koch an der Strippe, als Marionette geführt wird. Das ist die Katastrophe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Sie angerichtet haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Herr Hoff, Sie haben – das entnehme ich Ihrem Redebeitrag – gar nicht gemerkt, welche Debatte in der Gesellschaft überhaupt geführt wird.

(Zuruf des Abg. Norbert Kartmann (CDU))

Sie haben gar kein Gefühl dafür, dass sich die Menschen fragen, wie unabhängig die Nachrichtensendungen sind, wer eigentlich bestimmt, was an Informationen gesendet wird – oder auch nicht. Zurzeit wird darüber diskutiert, warum z. B. in der „Hessenschau“ nicht über den Fall Brender berichtet wird, obwohl alle Welt über diesen Fall spricht. Vielleicht hat das mit den Änderungen am HR-Gesetz in den letzten zehneinhalb Jahren, mit den Änderungen in der Zusammensetzung des Rundfunkrates und Ähnlichem zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie merken überhaupt nicht, welchen Schaden Sie angerichtet haben, wenn es um das Vertrauen der Menschen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht. Deswegen merken Sie auch gar nicht, dass das, was in den letzten Wochen passiert ist, am Ende an den Grundfesten der Demokratie sägt. Wenn die Menschen nämlich kein Vertrauen mehr haben, dass sie eine unabhängige Berichterstattung bekommen, dann haben sie am Ende auch kein Vertrauen mehr in das politische System. Herr Koch, Sie haben offensichtlich überhaupt nicht verstanden, welch einen Schaden Sie in den letzten Monaten angerichtet haben.

Herr Koch, ich finde es interessant, dass jetzt auch Kurt Beck sagt, man müsse den ZDF-Staatsvertrag ändern. Ich finde das sehr interessant. Ich glaube nicht, dass er bei Verhandlungen ausgerechnet mit Ihnen zu einem Ergebnis kommt, denn in so kurzer Zeit hat man aus einem Bock noch keinen guten Gärtner gemacht. Deswegen glaube ich, dass wir wahrscheinlich vor das Bundesverfassungsgericht ziehen müssen, um dafür zu sorgen, dass am Ende nicht eine Mehrheit aus Vertretern der Exekutive im Verwaltungsrat des ZDF sitzt.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

– Herr Koch, wie viele Ministerpräsidenten sitzen im Verwaltungsrat? Es ist naturgemäß so, dass öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten kritisch vor allem über Regierungen berichten, und zwar unabhängig davon, welcher Partei der jeweilige Ministerpräsident angehört. Wenn sich am Ende die, die Objekt der Berichterstattung sind, für diese Berichterstattung rächen können, indem sie die Verträge derer, die die Berichterstattung zu verantworten haben, nicht verlängern, dann ist etwas faul in diesem Lande, dann ist etwas faul am ZDF-Staatsvertrag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Kollege Al-Wazir, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Tarek Al-Wazir:

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wir bewegen uns auf Weihnachten zu. Ich zitiere deshalb aus dem Lukas-Evangelium.

Also wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über 99 Gerechte, welche der Buße nicht bedürfen.

Herr Ministerpräsident, wenn Sie sich das zu Herzen nehmen würden, müssten Sie höchstpersönlich heute Nachmittag in Mainz den Vorschlag machen, den Vertrag von Nikolaus Brender um fünf Jahre zu verlängern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Kollege Al-Wazir.

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