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19.05.2010
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Votum der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen, schwarz-gelbe Politik korrigieren, Politikwechsel einleiten

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vor ca. zehn Tagen im bevölkerungsreichsten Bundesland, nämlich Nordrhein-Westfalen, eine sehr eindrückliche Landtagswahl erleben dürfen. Es war so, dass die Bundesregierung, die jetzt seit sieben Monaten im Amt ist, seit ihrem ersten Amtstag nichts anderes gemacht hat, als auf das Wahldatum in Nordrhein-Westfalen zu starren. Teilweise hat sie fast schon Politikverweigerung betrieben, immer aus Angst, man könne in Nordrhein-Westfalen verlieren. Die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen haben ein sehr eindeutiges Votum abgegeben, nämlich, dass es ein Ende haben soll mit dieser schwarz-gelben Politik, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wir plädieren dafür, dass die Parteien CDU und FDP, aber auch die aus diesen Parteien gebildete Hessische Landesregierung, dieses Votum der Bürgerinnen und Bürger aus Nordrhein-Westfalen ernst nehmen, weil sie auch wissen, wenn heute in Hessen gewählt würde, wäre das Ergebnis nicht viel anders.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP) und des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

Herr Hahn, davon haben Sie vielleicht Albträume, dass hier Wahl wäre, ebenso wie die Hälfte Ihrer Fraktion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will zitieren, was Kurt Kister am 11. Mai in der „Süddeutschen Zeitung“ schrieb:

Wer kein Freund der Regierung Merkel/Westerwelle ist, kann nach dieser Wahl eigentlich nur Genugtuung empfinden. Die Kanzlerin hat, und das mehr volens als nolens, den Steuersenkungsplänen der FDP vorerst den Garaus gemacht. Steuersenkungen in einer Zeit der anwachsenden Schulden, der abnehmenden Staatseinnahmen, sowie der Großrisiken durch die Eurokrise sind Humbug und zwar nicht unmöglich, aber dennoch nicht unverantwortlich. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber bisher hat sich die schwarz-gelbe Regierung in einer zum Teil aggressiven Defensivhaltung vor den entsprechenden Konsequenzen gedrückt.

Ich bin froh darüber, dass die Bundeskanzlerin mehr getrieben als durch eigene Entscheidung, aber immerhin gesagt hat: Jetzt ist erst mal Essig mit weiterer Steuersenkung, angesichts von 100 Milliarden Neuverschuldung. Ich will noch einmal daran erinnern, Herr Hahn, dass es diese Landesregierung war, die im Dezember im Bundesrat diesem vermaledeiten Wachstumsbeschleunigungsgesetz zugestimmt hat und jetzt mit dafür gesorgt hat, dass wir hier die Finanzprobleme haben, die wir haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Aus meiner Sicht wäre auch angebracht, bestimmte Fehler der wenigen Sachen, die man seit Oktober letzten Jahres auf Bundesebene gemacht hat, auch wieder rückgängig zu machen. Ich warte immer noch darauf, dass Roland Koch einmal ein wirkliches Tabu bricht und z. B. sagt, die Steuersenkung für die Hoteliers war falsch, wir machen sie rückgängig. Das wäre ein richtiger Tabubruch.

(Beifall beim dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir erleben momentan ganz erstaunliche Sachen. Die „Tageszeitung“ hat es heute ein wenig satirisch aufgemacht und hat geschrieben: FDP will Steuern erhöhen. – Dazu hat sie Guido Westerwelle mit einem Attac-Blatt zur Finanztransaktionssteuer abgebildet. Ich will das gar nicht so hämisch machen. Ich sage aber sehr ausdrücklich: Sie haben die Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP, und zwar hier in diesem Land Hessen als Mehrheit in diesem Landtag, aber auch im Bundestag. Das bedeutet, es muss aus unserer Sicht jetzt ernst gemacht werden mit einer Regulierung der Finanzmärkte. Auch da will ich Ihnen die „taz“ von heute zitieren, die sich nicht nur lustig macht, sondern sagt: Dass die FDP ausgerechnet jetzt regiert, zeigt die Weisheit der Geschichte.

Spätestens seit Dienstag ist klar, dass auch die FDP ein Grundgesetz der Politik nicht außer Kraft setzten kann: Regieren bedeutet, notfalls die eigenen Glaubenssätze über Bord zu werfen. Ein Außenminister der GRÜNEN führte die Deutschen in ihrem ersten Kriegseinsatz  seit 1945, ein SPD-Kanzler räumte mit den Hartz-Reformen soziale Errungenschaften ab, eine CDU-Ministerin verbannte das konservative Familienbild in die politische Rumpelkammer. Dass die FDP ausgerechnet zu dem Zeitpunkt an die Regierung kam, zu dem der Glaube an die freien Märkte geschwunden war – das ist vor diesem Hintergrund keineswegs ein Irrtum der Geschichte, sondern deren ausgleichende Gerechtigkeit.

Recht hat die „taz“.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es eine Lehre gibt, die Sie aus dem, was am vorletzten Sonntag in Nordrhein-Westfalen passiert ist, ziehen sollten, dann die, dass die Mehrheit der Bevölkerung und ein relevanter Teil von denen, die sie am 27. September letzten Jahres gewählt haben, will, dass es eine Kurskorrektur der Politik gibt, die sie vor sieben Monaten eingeleitet haben.

Deswegen: Nehmen Sie das Votum der Bürgerinnen und Bürger ernst.

Es gab ein weiteres, ganz klares Votum, ebenfalls in Nordrhein-Westfalen und zwar schon am Wochenende davor. Wenn Sie sich die Menschenkette zwischen den Atomkraftwerken in Norddeutschland oder auch die Umzingelung von Biblis angeschaut haben, haben Sie gesehen, dass die Mehrheit der Bevölkerung will,

(Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

dass man am Atomausstieg festhält, dass man die Atomkraftwerke planmäßig abschaltet und die erneuerbaren Energien verstärkt ausbaut. Auch das sollten Sie ernst nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen wundere ich mich darüber, dass als Reaktion auf das, was in Nordrhein-Westfalen passiert ist, der hessischen Umweltministerin und dem Hessischen Ministerpräsidenten nichts anderes einfällt, als jetzt kraftvoll zu betonen, dass sie im Bundesrat bitte nichts mehr zu sagen haben wollen – das angesichts der Tatsache, dass derselbe Roland Koch im Jahr 2002 getobt hat, der Bundesrat müsse beteiligt werden.

Ich sage Ihnen: Wenn man ein solches Votum hat, wenn man ein solches Votum bekommt, wenn man sieht, was sich die Mehrheit der Bevölkerung wünscht, dann ist es völlig falsch, das EEG weiter zu kürzen, dann ist es völlig falsch, Marktanreizprogramme für erneuerbare Wärme auf null zu stellen und gleichzeitig mit juristischen Winkelzügen zu versuchen, die Laufzeiten von alten Atomkraftwerken zu verlängern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist keine Umkehr von Politik, sondern das führt am Ende dazu, dass sich der Niedergang der beiden Regierungsparteien noch beschleunigen wird. Ich als Oppositionspolitiker habe vielleicht ein Interesse daran. Aber an falschen Sachentscheidungen und daran, dass Sie immer weiter diesen falschen Weg fortsetzen, kann dieses Land kein Interesse haben.

Ich will einen letzten Punkt nennen, der in Nordrhein-Westfalen ebenfalls eine Rolle gespielt hat. Jürgen Rüttgers hat als einer der wenigen weiterhin durch stures Festhalten das dreigliedrige Schulsystem zum Wesen seiner Bildungskampagne gemacht. Das Ergebnis, das wir am vorletzten Sonntag an der Wahlurne gesehen haben, spricht eine sehr deutliche Sprache. Herr Irmer, auch da wollen die Leute, dass es einen neuen Aufbruch in der Bildungspolitik gibt und kein stures Festhalten an vermeintlichen Wahrheiten von vor 40 Jahren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Deswegen glaube ich, dass auch hier völlig klar ist, dass wir in der Bildungspolitik einen neuen Aufbruch brauchen, dass wir Bildungsreformen brauchen und dass wir auch eine Priorität für Bildung brauchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, da der Ministerpräsident in der letzten Woche eine völlig falsche Konsequenz aus der NRW-Wahl gezogen hat, haben wir Ihnen zusätzlich die Zitate von vier nicht unmaßgeblichen Politikern aus der Union und der FDP zur Abstimmung gestellt.

Wir wollen, dass der Landtag begrüßt, dass Bundesfamilienministerin Schröder – die ist Ihnen keine Unbekannte – zu den Sparvorschlägen von Herrn Koch gesagt hat: „Investitionen in Kinder sind Investitionen in die Zukunft. Wenn wir diese Zukunft nicht positiv gestalten wollen – wofür sollen wir dann überhaupt sparen?“ Wir glauben: Recht hat die Frau. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können uns nicht vorstellen, dass Sie das anders sehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen, dass der Landtag den stellvertretenden Ministerpräsidenten Jörg-Uwe Hahn unterstützt.

(Zuruf des Ministesr Jörg-Uwe Hahn)

Das haben wir als GRÜNE jetzt ausdrücklich beantragt: „In einem widerspreche ich Roland Koch ganz klar:“, hat Herr Hahn gesagt. „Die Bereiche Bildung und Kinderbetreuung bilden für uns Liberale weiter einen wichtigen Schwerpunkt. Daher halten wir in diesem Bereich auch nichts von Kürzungsideen und Sparvorschlägen.“ Herr Hahn, wir können uns nicht vorstellen, dass Sie sich in der Abstimmung gleich selbst widersprechen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen, dass auch die Bundesforschungsministerin in ihren Aussagen unterstützt wird. Sie hat nämlich gesagt: „Wer jetzt für die Kürzung des Bildungssystems plädiert, versündigt sich an der Zukunft.“

Wir haben noch ein viertes Zitat. Frau Haderthauer, die Sozialministerin aus Bayern, die der CSU angehört, hat gesagt: „Wer dies jetzt ins Gespräch bringt, handelt wie ein Brandstifter und outet sich als gedanklicher Dinosaurier.“ Ich sage Ihnen ausdrücklich: Meine Wortwahl wäre es nicht gewesen. Wenn Sie wollen, dass wir getrennt abstimmen und Sie Frau Haderthauer nicht zustimmen können, bitte sehr. Gegen die drei ersten können Sie kaum etwas haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Al-Wazir, Sie müssen zum Schluss kommen.

Tarek Al-Wazir:

Herr Präsident, letzter Satz. – Ich wünsche mir, dass wir eine Regierung haben, die den Willen der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt. Einen größeren Warnschuss als den von Nordrhein-Westfalen können Sie nicht bekommen. Nehmen Sie ihn wahr, nehmen Sie ihn ernst. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege Al-Wazir.

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