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21.03.2013
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Milliarden für Merkel-Bahnhof in Stuttgart fehlen für Bahnhöfe in Hessen

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute eine Auseinandersetzung über einen Bahnhof im Südwesten der Republik auf die Tagesordnung des Hessischen Landtags gesetzt. Jetzt kann man die Frage stellen, was den Hessischen Landtag ein Bahnhof in Stuttgart zu interessieren hat. Sehr viel, meine Damen und Herren, sehr viel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir GRÜNE sind schon sehr lange der Überzeugung, dass Stuttgart 21 oder – wie wir ihn nennen, seitdem die Bundeskanzlerin ihn zu ihrem Projekt gemacht hat – der Merkel-Bahnhof ein Wahnsinnsprojekt ist. Das ist uns schon länger klar. Aber ich finde, dass jetzt noch einmal eine Steigerung in der Debatte passiert ist, weil nämlich die Kosten für dieses Projekt, wie wir es seit Jahren prophezeit haben, ins Unermessliche gestiegen sind.

Die Bahn selbst geht jetzt von schwindelerregenden 6,5 Milliarden Euro aus, um einen Bahnhof zum Durchgangsbahnhof zu machen, bei dem nach unserer Kenntnis 80 Prozent der Leute sowieso aussteigen. Insofern ist es ein Wahnsinnsprojekt, mit dem wir es zu tun haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es zeichnet sich jetzt schon ab, dass es noch viel schlimmer kommt. Am letzten Montag war im Spiegel ein Streitgespräch zwischen dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten und dem Vorstandsvorsitzenden der Bahn AG zu lesen.

Die Spiegel-Redakteure haben die Frage gestellt: Herr Grube, vier Jahre später sind wir bei bis zu 6,5 Milliarden Euro angekommen. Ist Stuttgart 21 wenigstens jetzt das bestgeplante Projekt der Bahn? – Da sagt der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG: Ich bin sehr vorsichtig geworden mit solchen Formulierungen. Man sagt ja nicht umsonst, vor der Hacke ist es dunkel.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist angesichts der jetzt schon geplanten Kosten von 6,5 Milliarden Euro eigentlich eine Wahnsinnsaussage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Was hat das mit uns zu tun? – Das hat sehr viel mit uns zu tun. Denn diese 6,5 Milliarden Euro sind nicht nur Steuergelder oder Gelder eines zu 100 Prozent im Staatsbesitz befindlichen Unternehmens. Sie werden unserer Ansicht nach dort völlig sinnlos vergraben. Dieses Geld fehlt an anderen Stellen.

Schauen Sie sich einmal an, wie das Projekt Stuttgart 21 finanziert wird. Einen Teil tragen das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart bei. Aber den viel größeren Teil trägt der Bund aus Mitteln des Bundesverkehrswegeplans, aus Mitteln der Europäischen Union, aus bundeseigenen Mitteln und aus bahneigenen Mitteln zu diesem Projekt bei.

Dieses Geld kann man nur einmal ausgeben. Wenn man es in Stuttgart sinnlos vergräbt, kann man es zum Beispiel in Hessen nicht sinnvoll ausgeben. Genau das ist das Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drei Viertel des Personenfernverkehrs der Bahn geht durch Hessen. Die Hälfte des Güterfernverkehrs der Bahn geht durch Hessen. Trotzdem haben wir die Situation, dass weniger als 2 Prozent der Infrastrukturmittel für die Schienen, die die Bahn ausgibt, in Hessen investiert werden.

Da sehen Sie eine dramatische Diskrepanz. Unglaublich viel Verkehr der Bahn läuft durch Hessen. Das ist viel mehr, als jemals im Südwesten der Republik durch Stuttgart fahren wird. Trotzdem wird fast kein Geld in die Infrastruktur des Schienennetzes in Hessen gesteckt. Das ist ein Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Spätestens jetzt müsste eine verantwortungsbewusste Hessische Landesregierung intervenieren und sagen: Bundesregierung und Bahn AG, stoppt dieses irrsinnige Projekt Stuttgart 21, denn das ist ein Fass ohne Boden. Das Geld, das wir da hineinschütten müssen, wird am Ende genau da fehlen, wo es gebraucht wird, nämlich da, wo der Verkehr auf der Schiene stattfindet. Das ist in Hessen.

Eines kommt hinsichtlich des Ballungsraums Rhein-Main hinzu. Verkehrsminister Dieter Posch hatte damals die richtige Entscheidung getroffen. Damals kam jemand und hat gesagt: Wir machen Frankfurt 21. – Da hat er gesagt: um Gottes Willen nicht.

Es bleibt aber dabei, dass wir in dem wachsenden Ballungsraum Rhein-Main-Gebiet wahnsinnige Engpässe auf der Schiene haben. Ich nenne Ihnen die Nordmainische S-Bahn. Ich nenne Ihnen die Regionaltangente West. Ich nenne Ihnen das vierte Gleis nach Bad Vilbel. Ich nenne Ihnen im Fernverkehr die Strecke Frankfurt – Mannheim. Ich nenne Ihnen im Fernverkehr die Strecke Hanau – Fulda.

Das alles sind große Projekte, die in den letzten Jahren nicht nach vorne gekommen sind. Teilweise ist dies der Fall, weil nicht geplant wurde. Teilweise geschah das aber auch, weil das Geld gefehlt hat. Die Stichworte dazu lauten Nordmainische S-Bahn und, ein kleineres Projekt, S-Bahn nach Gateway Gardens. Genau damit wird das Projekt Stuttgart 21 zu einer zutiefst hessischen Frage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen, dass die Landesregierung in den letzten 14 Jahren ganz oft gesagt hat, sie wolle viel für die Verkehrsinfrastruktur tun. Unter dem Strich kann man sagen, dass viel über Flughäfen geredet wurde. Leider wurde auch viel, wie wir finden, sinnlos in Flughäfen investiert. Sie wollen sich in zwei Wochen für den Flughafen Kassel-Calden feiern lassen, obwohl von da aus keiner fliegen will.

Es wurde viel über die Straßen und die Autobahnen geredet. In die Schieneninfrastruktur wurde nicht investiert. Die Schieneninfrastruktur ist leider eines der Stiefkinder der Verkehrspolitik der Hessischen Landesregierung in den letzten 14 Jahren.

In diesem Zusammenhang will ich Folgendes sagen: Wenn Sie wirklich verantwortungsvolle Verkehrspolitik für Hessen machen wollen – bis zum 17. Januar 2014 können Sie das noch –, dann müssen Sie jetzt auf Ihre Parteifreunde in der Bundesregierung einwirken. Denn wenn man immer mehr Geld sinnlos in Stuttgart verballert, hat man es am Ende nicht mehr da, wo es hingehört, nämlich an den Orten, an denen die Not am größten ist und die Engpässe auf der Schiene am größten sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Völlig jenseits der Frage, ob sich das Land Baden-Württemberg mit einer zusätzlichen Summe beteiligen wird, wird es auf jeden Fall, wenn dieses irrsinnige Projekt weitergeführt wird, dazu kommen, dass eigene Mittel der Bahn in erheblichem Umfang in dieses Projekt fließen werden. Ich will Ihnen sagen: Auch das ist eine zutiefst hessische Frage, die nicht nur etwas mit dem Ballungsraum Rhein-Main zu tun hat. Sie sollten sich einmal anschauen, wie der Zustand der Bahnhöfe in Hessen ist. Uns fallen viele Stellen ein, an denen die Bahn AG sinnvoll investieren könnte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Heinz Lotz (SPD))

Ich will Ihnen etwas aus der „Offenbach Post“ vom 18. Oktober 2012 zitieren. Da geht es um den Offenbacher Bahnhof. Da steht:

Die Empfangshalle bietet Besuchern ein trostloses Bild. Leere Aushängekästen, mit Gittern abgesperrte Seitengänge, verwaiste Schalter. Das Glas der versperrten Schiebetüren ist gesprungen, der benachbarte Einkaufskiosk ist laut Notiz „wegen Umbauarbeiten geschlossen“ – offenbar nicht erst seit gestern. Bahn-Mitarbeiter gibt es schon lange nicht mehr, nur Automaten. …

Einzig ein Zeitschriftenhandel hält tapfer die Stellung und ist für die Reisenden die einzige Anlaufstelle.

Herr Präsident, Entschuldigung, ich zitiere. Die Mitarbeiterin wird dann so wiedergegeben:

„Ein Kunde hat mir gestern tatsächlich in den Laden gepinkelt, weil er’s nicht mehr halten konnte“, erzählt sie.

Das geschah, weil es dort keine Toiletten gibt. Dann überlegt man sich, dass die Bahn AG ernsthaft darüber nachdenkt, Hunderte Millionen € in Stuttgart zu vergraben, während die Bahnhöfe in Hessen verwahrlosen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das war jetzt ein Beispiel. Sie können da auch den Bahnhof Höchst nehmen.

Meine Fraktion hat deshalb heute ein Gewinnspiel ausgelobt. Wir bitten die Bürgerinnen und Bürger, uns für den Wettbewerb „Hessens verwahrlosester Bahnhof“ Vorschläge zu machen. Wir machen das nicht, weil wir uns darüber freuen, sondern weil wir glauben, dass es wirklich den Druck braucht, damit völlig klar wird, dass wir da große Probleme und großen Investitionsbedarf haben. Die Investitionen müssen dahin, wo der Bedarf am Größten ist. Die Mittel dürfen nicht für Prestigeprojekte ausgegeben werden, nur weil irgendjemand mit dem Kopf durch die Wand, oder eher, mit dem Kopf unter die Erde will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir glauben, dass es in den nächsten Jahren sicherlich so sein wird, dass der Nachholbedarf an Investitionen in die Schieneninfrastruktur groß sein wird. Wir setzen darauf, dass eine neue Bundesregierung zusätzliches Geld im Bundesverkehrswegeplan bereitstellen wird. Denn wir wollen, dass die baureifen Projekte, die in der Planung schon weit fortgeschritten sind, umgesetzt werden. Als Beispiele nenne ich einmal die Nordmainische S-Bahn und die S-Bahn bzw. den Haltepunkt Gateway Gardens. Das könnte sofort gemacht werden. Es darf also kein zusätzliches Geld in das Fass-ohne-Boden-Projekt Stuttgart 21 gepumpt werden.

Wenn ich mit meiner Rede ein bisschen für Nachdenklichkeit bei den Mitgliedern der Regierungsfraktionen, aber auch den Mitgliedern der SPD-Fraktion sorgen konnte, dann würde mich das freuen.

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege.

Tarek Al-Wazir:

Herr Präsident, das ist mein letzter Satz. – Ich glaube, im Interesse Hessens und im Interesse der Schieneninfrastruktur im Rhein-Main-Gebiet sollten wir alle gemeinsam dafür kämpfen, dass es hier besser wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Al-Wazir, schönen Dank.

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