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06.03.2012
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Fluglärmschutz verbessern und dauerhaft rechtlich absichern

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Erstens. Es ist 16:44 Uhr. Ich möchte Ihnen einmal die Kurzintervention des Kollegen Rentsch erklären, die Herr Wagner nicht beantwortet hat. Um 16:45 Uhr beendet der hr die Übertragung. Herr Rentsch hat offensichtlich Angst, dass ein Grüner noch drei Minuten lang etwas im Fernsehen sagen darf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Zweitens. Herr Kollege Rentsch, die übliche Reihenfolge bei Regierungserklärungen ist: Wenn der Ministerpräsident oder ein CDU-Minister redet, kommen anschließend erst die SPD und danach die FDP an die Reihe. Sie mussten dem Kollegen Wagner den Vortritt lassen. Das ist wahrscheinlich die Strafe für die Froschvergleiche Ihres Bundesvorsitzenden.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Aber wenn Sie Angst haben, dass Sie nicht mehr ins Fernsehen kommen, sollten Sie sich nicht mit Kurzinterventionen behelfen. Jeder macht sich halt so klein, wie er ist, Herr Kollege Rentsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zur Sache. Herr Ministerpräsident, Sie haben heute hier ein Maßnahmenpaket gegen den Fluglärm vorgestellt, das die meisten der vom Fluglärm Betroffenen nicht wesentlich entlastet: Es enthält keine Ausweisungen von Betriebsbeschränkungen, keine Ausweisung eines Nachtflugverbots und noch nicht einmal ein Zurückziehen der Klage der Landesregierung gegen das Nachtflugverbot in der zu kurzen Mediationsnacht.

Faktisch bedeutet der Kern Ihrer Maßnahmen keine Reduzierung des Lärms, sondern eine Ausweitung von Entschädigungsprogrammen für die Schwerstbetroffenen. Umzugsbeihilfen und – auf dem letzten Teil der Endanflugroute – die Vertreibung der Menschen gegen Entschädigung sind allerdings das Gegenteil des Schutz der Menschen vor Lärm. Es ist vielmehr der Schutz des Lärms vor den Menschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Lärm soll weitergehen; aber die Menschen sollen weg oder ihre gedämmten Häuser nicht mehr verlassen und auch keine Fenster und Türen mehr öffnen. Sagen Sie das doch bitte ehrlich, wenn das das Ziel Ihrer Politik ist.

Der Sinn des Ausbaus war die Kapazitätserweiterung, und das bedeutet mehr Lärm. Deshalb ist Ihre Aussage, dass es leiser werden wird, schlicht die Unwahrheit. Es wird lauter werden. Das ist der Sinn des Ausbaus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Ministerpräsident, der Sinn des Baus der Nordwestlandebahn war nicht die Verteilung des Lärms, nicht die Entlastung von Mühlheim, des Offenbacher Südens, von Neu-Isenburg oder von Raunheim. Die Entlastung, die momentan in diesem Raum eingetreten ist, soll spätestens im Jahr 2020 durch mehr als 200.000 zusätzliche Flugbewegungen – zusätzlich zu den jetzt schon knapp 500.000 – aufgefressen werden. Sagen Sie bitte niemandem, dass es leiser werden wird. Es soll lauter werden; das ist das Ziel Ihrer Politik.

(Befall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Solange die Regierung und Sie, Herr Ministerpräsident, nicht bereit sind, über eine Ausweitung des Nachtflugverbots, über zusätzliche Betriebsbeschränkungen und über eine absolute Obergrenze beim Lärm und eine absolute Obergrenze bei den Flugbewegungen zu reden, so lange bleiben alle Fluglärmgipfel von Schwarz-Gelb letztlich der Versuch, irgendwie über den Termin für die Frankfurter Oberbürgermeisterwahl zu kommen, ohne an der Substanz etwas Entscheidendes zu verändern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Sie haben die All-inclusive-Demonstration von Fraport und Lufthansa erwähnt. Dazu muss ich als demonstrationserprobter GRÜNER sagen: So eine Demo hätte ich auch gern einmal gehabt: Fahrkarte, Shuttlebus, ganzseitige Anzeigen, Radiospots, vom Arbeitgeber ausgegebene Winkelemente – das war wirklich eine All-inclusive-Demonstration. Aber nicht erwähnt haben Sie, dass Ende Oktober in Mainz und auch am 4. Februar am Flughafen mehr als 8.000 – so viele waren es auf dem Römerberg – demonstriert haben. Die haben Sie einfach unter den Tisch fallen lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, deswegen haben Sie, wahrscheinlich ungewollt, wieder einmal gezeigt, dass Sie nicht der Ministerpräsident aller Hessinnen und Hessen, sondern der Ministerpräsident der Luftverkehrswirtschaft sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Ministerpräsident, insofern sind Ihre hektisch einberufenen Fluglärmgipfel, Ihre erneuten Versprechungen und die von Ihnen vorgesehene Ausweitung der Entschädigungsprogramme das Eingeständnis, dass es eine riesige Fehlentscheidung gegeben hat. Der Bau der Nordwestbahn war schlichtweg falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Roland Koch und der Landesvorstand der CDU haben im Sommer 2000 die falsche Entscheidung getroffen. Die Landtagsabgeordneten der CDU, der FDP und der SPD – bei der SPD-Fraktion gab es leider nur vier Ausnahmen – haben einen Fehler gemacht, als sie dieser falschen Entscheidung folgten.

Wenn die Kosten der Verlagerung der Ticona, des ersten Immobilienankaufprogramms, der Ausweitung der Aufkaufprogramme, für die Sie sich jetzt feiern lassen, und  die Ausweitung der Programme für passiven Schallschutz zusammengerechnet werden, kommen wir auf mehr als 1 Milliarde Euro. Das wird nur für Entschädigungsprogramme oder passiven Schallschutz aufgewendet.

Die Nordwestbahn ist nicht raumverträglich, und jetzt wird nachträglich versucht, sie raumverträglich zu machen. Ich bin gespannt, wie das Bundesverwaltungsgericht Ihren jetzt plötzlich an den Tag gelegten Aktionismus bewerten wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Niemand, noch nicht einmal Willi van Ooyen, will den Frankfurter Flughafen schließen.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE) – und des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Wir wissen um die wirtschaftliche Bedeutung des Flughafens. Wir haben aber schon jetzt einen Anteil von über 50 % Umsteigern, also von Menschen, die den Flughafen nicht verlassen, sondern nur das Flugzeug wechseln. Man kann mitten in einer der am dichtesten besiedelten Regionen Europas nicht den größten Flughafen Europas betreiben. Das geht jedenfalls nicht ohne dramatische Folgen. Sie wollen mit dem Flughafen in Dubai konkurrieren. Sie haben aber dabei übersehen, dass das Rhein-Main-Gebiet keine Wüste ist. Wir wollen auch nicht, dass es eine Wüste wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Wissen Sie, das sagt der Richtige. Der Flughafen London Heathrow ist bisher der größte Europas. Es ist das erklärte Ziel der Fraport, den Flughafen London Heathrow zu überholen.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Arnold, beim Flughafen London Heathrow gab es auch eine Debatte über den Bau einer dritten Bahn. Da hat die konservative Regierung gesagt: Nein, das tun wir nicht, er ist zu innenstadtnah, wegen des Standorts können wir ihn nicht ausbauen. – Genau darin liegt der Unterschied.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Ich möchte angesichts der Äußerungen des Ministerpräsidenten klarstellen. Sie sprechen immer von dem Flughafenkonzept der Bundesregierung aus dem Jahr 2000. Herr Ministerpräsident, ich war am 21. Oktober letzten Jahres zu Hause und habe mir im Fernsehprogramm des Hessischen Rundfunks die Liveübertragung der ersten Landung auf der Nordwestbahn, die Landung der Bundeskanzlerin, angeschaut. Da waren Volker Bouffier und auch Herr Hahn dabei. Volker Bouffier hat dort mit Stolz geschwellter Brust erklärt, das sei die beste, tollste und schönste Landebahn der Welt. Mit ihr würden Hunderttausende Arbeitsplätze geschaffen. Sie sei nur der Standhaftigkeit der schwarzen Landesregierung und den schwarz-gelben Landesregierungen seit 1999 zu verdanken.

Jetzt stellen Sie sich hin und sagen: Wir waren es gar nicht, der Joschka war es.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So etwas Bescheuertes habe ich nicht mehr gehört, seitdem Roland Koch erklärt hat, dass mit der Buchhaltung bei der CDU alles in Ordnung sei. So ein Unsinn.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Florian Rentsch hat die Kopie auch. Ich zitiere das einmal:

Anlage 2 zur Kabinettsache des BMVBW

Das war damals die Abkürzung für das Bundesministerium für Verkehr. An dessen Spitze wechselten sich viele Sozialdemokraten ab. Das waren Müntefering, Bodewig, Tiefensee, Klimmt und noch ein paar mehr. Ich weiß gar nicht mehr, wer damals im Amt war. Aber in der Anlage zur Kabinettsache vom 22. August 2000 steht, dass es um den Entwurf eines Flughafenkonzeptes der Bundesregierung geht. Dazu wurde beschlossen:

Das Flughafenkonzept wird den Ländern zur Erörterung in der Verkehrsministerkonferenz zugeleitet. Das Flughafenkonzept der Bundesregierung wird den betroffenen Wirtschafts- und Umweltverbänden zur Anhörung zugeleitet. Das Ergebnis der Anhörungen und der Erörterungen wird in das Flughafenkonzept einbezogen.

Herr Bouffier, Sie sind jetzt zwölf Jahre im Kabinett. Sie waren auch in den Achtzigerjahren schon einmal vier Jahre im Kabinett. Das nennt man eine erste Lesung.

Die zweite Lesung hat nicht stattgefunden. Ich weiß auch warum. Sie können sich nicht hinstellen und sagen, dass rot-grün ein Flughafenkonzept beschlossen habe. Das stimmt nämlich einfach nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte jetzt auf Ihre einzelnen Maßnahmen zu sprechen kommen. Herr Ministerpräsident, die Maßnahmen zum aktiven Schallschutz sind nichts Neues, sondern eine Mischung aus bereits mehrfach versprochenen Maßnahmen. Ich stelle fest: Die meisten dieser Maßnahmen wurden bereits im Jahr 2000 im Rahmen des Mediationsverfahrens und im Jahr 2007 vor dem Planfeststellungsbeschluss versprochen. Der Schönheitsfehler der erneut heute gegebenen Versprechen liegt darin, dass weder im Jahr 2000 noch im Jahr 2007 irgendetwas Relevantes erfolgt ist.

(Der Redner hält ein Papier noch.)

Das ist das, wofür Sie sich im Jahr 2012 feiern lassen.

(Der Redner hält ein weiteres Papier hoch.)

Das ist das, was im Jahr 2007, also eine Woche vor dem Planfeststellungsbeschluss von exakt den gleichen Beteiligten versprochen wurde. Das Einzige, worin sich das unterscheidet, ist, dass hier die Logos untereinander angeordnet sind und dass das Forum Flughafen und Region damals Regionales Dialogforum hieß.

Das ist der Punkt, weshalb Sie sich einmal überlegen müssten, warum Ihnen eigentlich niemand mehr glaubt. Denn seit dem Jahr 2000 und auch im Jahr 2007 wurde exakt immer dasselbe versprochen. Jetzt, im Jahr 2012, wird es wiederholt. Das ist nicht unser Problem. Herr Ministerpräsident, das ist Ihr Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen jetzt die Finanzprogramme für den passiven Schallschutz aufstocken. Das hilft den Menschen allerdings nur, wenn sie die Gebäude niemals verlassen. Sie kündigen weitere Maßnahmen zur Lärmverlagerung an. Das ist aber keine Lärmreduzierung.

Der Kern der Maßnahmen besteht vor allem aus Finanzhilfen, die in letzter Konsequenz die Vertreibung der Schwerstbetroffenen beschleunigen soll. Den anderen Schwerbetroffenen bieten Sie Schallschutz innerhalb der Gebäude bei geschlossenen Türen und Fenstern an. Den meisten anderen – das ist die überwiegende Mehrheit – bieten Sie nichts an.

Ihre Pakete werden in Frankfurt-Sachsenhausen, in Frankfurt-Oberrad und in der Stadt Offenbach kaum etwas bis nichts bewirken. Wer außerhalb der sogenannten Schutzzonen wohnt, der hat bisher keinen Anspruch. Er wird auch in Zukunft keinen Anspruch auf Lärmschutz haben, auch wenn es trotzdem unerträglich laut ist.

Ganz offensichtlich ist die Triebfeder der Landesregierung nicht die Sorge um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger im Rhein-Main-Gebiet, sondern die Panik vor dem Ausgang der Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt. Diese Panik führt zu immer hektischerem Aktionismus. Das führt sogar zur Ankündigung sich teilweise widersprechender Maßnahmen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben sich wieder einmal nur mit der Luftverkehrswirtschaft abgesprochen. Sie haben weder den Sachverstand bemüht, den es in den betroffenen Kommunen gibt, noch haben Sie die Mitglieder der Fluglärmkommission und erst recht nicht die betroffenen Bürgerinnen und Bürger beteiligt. Während Sie davon reden, die Bürgerinnen und Bürger entlasten zu wollen, klagt Ihre Regierung vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen das Nachtflugverbot. Da brauchen Sie sich wirklich nicht wundern, dass der Schuss wieder einmal nach hinten losgeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

„Die Fluglärmkommission war beteiligt“, wird hier dazwischengerufen. Vergleichen Sie doch einmal den Beschluss der Fluglärmkommission mit dem, was der Ministerpräsident vorgestellt hat. Herr Kollege, da werden Sie relevante Unterschiede feststellen.

(Zuruf von der CDU)

Ich sage das ausdrücklich, obwohl ich der Auffassung bin, dass die Fluglärmkommission da nicht weit genug gegangen ist. Man hätte deutlich sagen müssen, dass man ein Nachtflugverbot in der gesetzlichen Nacht braucht – Punkt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Herr Arnold, in der gesetzlichen Nacht. – Die angekündigten Ausweitung des Casa-Programms ist kein Beitrag zur Reduzierung des Fluglärms, sondern eine Vertreibung der betroffenen Menschen.

(Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich verstehe den Wunsch der am schwersten Betroffenen, ihre Häuser an die Fraport verkaufen zu können. Aber faktisch ist das kein Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor dem Fluglärm, sondern ein Schutz des Lärms vor den Bürgerinnen und Bürgern, indem man diese zum Wegzug bewegt. Es ist auch das Eingeständnis der Regierung, dass diese Bahn nicht raumverträglich ist.

19 In der Finanzierung der Maßnahmen des passiven Schallschutzes ist außerdem ein deutliches Ungleichgewicht bei der Verteilung der Lasten zu sehen. Herr Wagner, da habe ich mich gefragt, was Sie eigentlich mit den öffentlichen Mitteln gemeint haben. Wenn ich einmal alles zusammenzähle: Das Land Hessen stellt 100 Millionen € zur Verfügung, die landeseigene Förderbank Kredite von 150 Millionen €, die allerdings von den Betroffenen zurückgezahlt werden müssen; die Fraport, also der Verursacher des Lärms, beteiligt sich mit weniger als 100 Millionen €, wenn man die Ausweitung der Casa-Programme und die Beteiligung des Regionalfonds selbst im bestmöglichen Fall zusammenrechnet.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Herr Dr. Arnold, wir als GRÜNE sind schon immer Anhänger des Verursacherprinzips gewesen. Wenn die Fraport den Krach macht, dann soll sie auch für die Folgekosten einstehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das kann auch bedeuten – damit das klar ist –, dass alle Anteilseigner jahrelang eine geringere oder im Zweifel gar keine Dividende bekommen. Wenn aber nur die öffentlichen Anteilseigner für den Lärmschutz bezahlen, während die privaten Anteilseigner munter weiter die Gewinne einstreichen, dann ist dies ein weiteres Beispiel für die Privatisierung von Gewinnen und die Sozialisierung von Verlusten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Sie lassen sich hier feiern für immer größere Programme zum Lärmschutz, faktisch zum Aufkaufen von Immobilien. Aber unter dem Strich ist das doch eine so dramatische Subventionierung des Flugverkehrs, wie es kaum eine weitere Subvention gibt. Zur Steuerfreiheit des Kerosins kommt jetzt auch noch der Steuerzahler, der dafür sorgen muss, dass die Gebäude aufgekauft werden, weil man da nicht mehr leben kann. Herr Ministerpräsident, das ist keine ordentliche Politik, sondern faktisch eine grandiose Subventionierung des Flughafens Frankfurt Main.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die angekündigte Gebührenstaffelung für lautere Flugzeuge ist richtig, uns aber deutlich zu vage formuliert. Herr Ministerpräsident, Sie waren in den letzten Jahren willfähriger Helfershelfer der Interessen der Luftverkehrswirtschaft. Wir trauen Ihnen schlicht nicht zu, den Lobbyisten auch nur ein einziges Mal deutlich zu widersprechen und den Interessen der Bevölkerung eindeutig den Vorrang zu geben. Solche Maßnahmen wirken nur, wenn sie so deutliche Verteuerungen beinhalten, dass es einen zusätzlichen ökonomischen Druck zur schnelleren Modernisierung der Flugzeugflotten gibt. Hier brauchen wir klare Vorgaben und keine Ankündigungen gemeinsam mit der Luftverkehrswirtschaft, die genau daran verständlicherweise kein Interesse hat.

Es wäre übrigens auch interessant, zu erfahren, ob die angekündigte Modernisierung der Flugzeugflotte der Lufthansa im Kern nicht schon längst geplant war und jetzt als zusätzlicher Beitrag zum Lärmschutz verkauft wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Willi van Ooyen und Hermann Schaus (DIE LINKE))

Herr Ministerpräsident, ich als aufmerksamer Leser des „Politikbriefs“ der Lufthansa habe schon in der Dezember-Ausgabe eine Ankündigung gelesen, dass die Flugzeugflotte jetzt ganz schnell modernisiert werden soll. Vielleicht hat auch die Verdreifachung des Kerosinpreises dazu beigetragen, dass es vorgezogen wird; und Sie sind der Einzige, der glaubt, dass es an Ihnen liegt, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Volker Bouffier)

– Herr Ministerpräsident, ich beschäftige mich schon etwas länger mit dem Fluglärm und dem Frankfurter Flughafen als Sie.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Ich weiß, dass man, wenn man denen die Hand reicht, nachher die Finger nachzählen muss. Das unterscheidet uns halt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, gleichzeitig widersprechen Ihre Ankündigungen Ihren realen Taten. Wenn Sie ankündigen, die Bahnen zwischen 5 und 6 Uhr abwechselnd zu nutzen – das sind die berühmten „DROps early morning“ in Ihrem Maßnahmenpaket –, dann hört sich das nach Lärmpausen und Einschränkungen an. Allerdings: Die gleiche Regierung, die in Leipzig gegen das Nachtflugverbot klagt, spricht sich jetzt für zusätzliche Lärmpausen in der Zeit danach aus. Da ist die spannende Frage: Wer soll das glauben?

Ich gebe Ihnen ehrlich zu, als ich das letzten Mittwoch gehört habe – „DROps early morning“ –, habe ich gedacht: Mensch, da haben sie wirklich etwas erreicht. – Dann habe ich mir einmal angeschaut, was da verteilt wurde. Da ist mir aufgefallen, dass bei den Dedicated Runway Operations, also den sogenannten DROps, sowohl in der Westrichtung wie auch in der Ostbetriebsrichtung immer nur die Starts aufgezeichnet sind. Als ich ein bisschen nachgefragt habe, wurde mir gesagt, Herr Riedle von der DFS habe immer nur von Starts geredet.

Wer sich am Frankfurter Flughafen ein bisschen auskennt,

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

der weiß, dass zwischen 5 und 6 Uhr fast keine Starts stattfinden. Um das einmal konkret zu machen: Letzten Sonntag, also vor zwei Tagen, gab es in der Zeit zwischen 5 und 6 Uhr sechs Starts, aber 34 Landungen. Heute hat es in der Zeit zwischen 5 und 6 Uhr zwei Starts und 35 Landungen gegeben. Sie wollen sich dafür feiern lassen, dass Sie diese zwei Starts jetzt auf eine Bahn konzentrieren. Großartig, Herr Ministerpräsident, eine großartige Geschichte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie versuchen schon wieder, die Leute für dumm zu verkaufen. Sie tricksen schon wieder. Man könnte fast meinen, Dirk Metz ist zurück.

(Zuruf des Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Und siehe da, er ist wieder da.

Es bleibt dabei: Eine verbindliche Ausweitung des Nachtflugverbots auf die gesetzliche Nacht von 22 bis 6 Uhr gehört auf die Tagesordnung. Es gibt ein Ruhebedürfnis, das länger ist als im besten Fall sechs Stunden.

Die Erhöhung der Gegenanflugstrecken und andere entlastende Maßnahmen der DFS sind nichts Großartiges, sondern längst überfällige Maßnahmen, die ausdrücklich zu begrüßen sind, die aber schon im Jahr 2000 oder im Jahr 2007 auf der Tagesordnung hätten stehen können – übrigens damals auch schon einmal versprochen wurden.

Herr Ministerpräsident, offensichtlich haben Sie auch weiterhin keine Vorstellung davon, dass das, was Lufthansa, Fraport und DFS Ihnen da einflüstern, nicht immer ein guter Vorschlag ist.

Der Ahnungsloseste von allen ist übrigens Boris Rhein. Boris Rhein rannte die letzten Wochen durch Frankfurt und erklärte, er werde dafür sorgen, dass eine Abflugroute verändert wird. Ergebnis ist die Ankündigung in Ihrem Maßnahmenpaket, die Flugroute N 07 (kurz) weniger und dafür die Flugroute N 07 (lang) öfter zu benutzen. Das ist übrigens ein erneutes Beispiel nur mit dem Frankfurter OB-Wahlkampf zu erklärender Panik.

(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg)

Von keinerlei Sachkenntnis getrübt, versucht die Landesregierung, die Menschen für dumm zu verkaufen. Wenn die gleiche Zahl der Flugbewegungen von einer Route auf die andere verlagert wird, dann ist dies keine Lärmreduzierung, sondern einfach nur eine Umverteilung des Lärms.

(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg)

– Sagen Sie einmal, Herr Boddenberg, Sie wohnen doch in Sachsenhausen. Wissen Sie, wo die N 07 (lang) eigentlich langgeht? Die geht über Sachsenhausen, die geht über Oberrad, die geht über Offenbach und über Bergen-Enkheim. Dass noch nicht einmal Sie in der Lage waren, dem Kollegen Boris Rhein zu erklären, dass eine zusätzliche Belastung von Sachsenhausen, Oberrad und Bergen-Enkheim ihm in seinem OB-Wahlkampf sicherlich nichts nützen wird, das ist Ihr Problem. Dass Boris Rhein keine Ahnung hat, dafür kann ich nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass offensichtlich Panik herrscht und Sie sich jetzt in irgendeiner Form glauben, davon verabschieden zu müssen, wofür Sie immer stehen. Ich sage noch einmal: Das Ziel dieses Ausbaus war nicht die Verteilung des Lärms. Das Ziel dieses Ausbaus sind mehr Flugbewegungen und damit mehr Lärm. Darum kommen Sie nicht herum, wenn Sie nicht irgendwann zu dem Punkt kommen, dass Sie sagen: Es gibt eine Obergrenze von Flugbewegungen, eine Obergrenze von Lärm. – Genau das ist der Punkt, vor dem Sie sich herumdrücken. Da hilft auch kein Aufkaufprogramm.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Al-Wazir, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Boddenberg?

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte sehr, Herr Boddenberg!)

Michael Boddenberg (CDU):

Herr Al-Wazir, Sie haben die N 07 (lang) und (kurz) angesprochen. Haben Sie sich in dem Zusammenhang auch einmal die Überflughöhen angeschaut, wenn es um mögliche Verlagerungen auf die lange Version geht? Ich habe eben von der anderen Seite zwischengerufen, was ich nicht darf: Ich kenne jeden Meter dort. – Dann schauen Sie bitte einmal in das Papier. Dort gibt es keine Festlegung, sondern eine Prüfungszusage, die ich nicht nur sehr ernst nehme, sondern von der ich auch erwarte, dass es am Ende weniger Betroffenheiten in Summe gibt.

Tarek Al-Wazir:

Ich kenne die N 07 (kurz). Die N 07 (kurz) biegt bei Ostwind – nur bei Ostwind, er ist in ungefähr einem Drittel der Fälle –

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU): Über den reden wir ja!)

sehr steil nach links ab. In Niederrad sind die Überflughöhen verdammt niedrig.

(Michael Boddenberg (CDU): Wie denn? Sie wissen doch alles!)

– Ich glaube, sie sind bei ungefähr 300 m. – Sie geht dann weiter über die Frankfurter Kernstadt und wird am Ende wahrscheinlich über Bad Homburg auf die alte Route führen. Die N 07 (lang) geht über Teile von Sachsenhausen, über Oberrad, über Offenbach, am Ende über Fechenheim und Bergen-Enkheim und macht dann die Kurve.

20 Herr Boddenberg, die N 07 (ultralang), die dort genannt wurde, gibt es eben bisher nicht. Ich finde, die Tatsache, dass wir beide das wissen, der Ministerpräsident und Boris Rhein es aber nicht wissen, ist ein echtes Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Michael Boddenberg (CDU): Nicht wir beide, ich weiß das!)

Herr Boddenberg, ich finde es aber spannend, dass die Regierung, der Sie angehören, eine Woche vor der mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts Karten veröffentlicht, aus denen klar wird, dass weitere Veränderungen und damit auch andere Betroffenheiten geplant sind. Ich bin sehr gespannt darauf, wie das Bundesverwaltungsgericht bewertet, dass die Landesregierung schon jetzt weitere Veränderungen vorhat, die offensichtlich nicht Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses gewesen sind

(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg (CDU))

und die ein weiteres Indiz dafür sind, dass im Planfeststellungsverfahren offensichtlich keine ordentliche Abwägung stattgefunden hat. Ich bin immer gespannter auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen Antrag, über den Sie gleich abstimmen werden. Das ist der Antrag meiner Fraktion. Der sagt erstens: Wir sehen uns nach den jüngsten Äußerungen von Regierungsmitgliedern – zuletzt der Ministerpräsident, gerade eben – deutlich darin bestätigt, dass die bestehenden Fluglärmbelastungen verringert werden müssen. Der allererste Schritt dafür ist – das können Sie meinetwegen noch zu Beginn der mündlichen Verhandlung machen –, dass Sie endlich Ihre Klage gegen das Nachtflugverbot zurückziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD) – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Das ist der erste Punkt. Wenn Sie das nicht tun, können Sie sich alles andere sparen.

Zweiter Punkt. Wir glauben, dass Sie auf lange Sicht die Menschen nur dann nicht immer weiter zusätzlich belasten, wenn wir die Zahl der Flugbewegungen und damit die Höhe der Lärmbelastungen deckeln. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen eine absolute Obergrenze und nicht immer weiteres grenzenloses Wachstum.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir glauben im Übrigen, dass Sie sich einmal zu Gemüte führen sollen, was Herr Bundesverkehrsminister Ramsauer in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 29. Januar gesagt hat. Das ist ein schöner Satz:

Ebenso wahr ist aber, dass die betroffene Bevölkerung in Süddeutschland mit über 100.000 Flugbewegungen eine schwere und nicht hinnehmbare Belastung zu erdulden hat. Ich muss diese Belastung reduzieren.

Er redet über Zürich-Kloten. Da kann man über einen Staatsvertrag eingreifen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Die spannende Frage ist, was der Bevölkerung im Rhein-Main-Gebiet zusätzlich zugemutet werden soll, was der Bevölkerung in Süddeutschland angeblich nicht zuzumuten ist. Genau an diesem Punkt werden wir die spannende Debatte führen, ob wir einen Flughafen haben, der an der völlig falschen Stelle liegt.

Der Kollege Wagner, der vorhin gesagt hat, ich solle nicht hinausgehen, wenn er redet und der jetzt draußen ist, hat die Startbahn West angesprochen und dass wir immer dagegen gewesen seien. Ich sage Ihnen sehr deutlich: In München hat es in den Sechzigerjahren eine Entscheidung gegeben, von Riem nach Erding zu gehen. Wir haben in Berlin jetzt die Situation, dass zwei Innenstadtflughäfen geschlossen werden und dafür ein anderer Flughafen ausgebaut wird, mit zusätzlichen Betroffenen – das ist wahr –, aber unter dem Strich werden sehr viele Menschen keinen Fluglärm mehr haben.

In Frankfurt wurde in den Sechzigerjahren entschieden, das Terminal 1 nach Abriss des alten Gebäudes an genau der Stelle zu bauen, wo es jetzt steht. Dann hat man gesagt: Jetzt bauen wir eine Startbahn West. – Das ist die einzige Bahn eines Interkontinentalflughafens, die nur in eine Richtung genutzt wird. Normalerweise nutzt man Bahnen in vier Richtungen, nämlich zum Landen und zum Starten und je nach Windrichtung in unterschiedlichen Richtungen. Nur die Startbahn West nutzt man nur in eine Richtung. – Jetzt hat man die nächste Bahn gebaut, die nur in zwei Richtungen genutzt werden kann, nämlich nur zum Landen, weil dieser Flughafen an der falschen Stelle liegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministers Michael Boddenberg (CDU))

– Herr Boddenberg, ich kann ihn nach diesen ganzen Fehlentscheidungen nicht mehr verlegen.

(Wortmeldung des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Aber wer diesen Flughafen an dieser falschen Stelle immer weiter ausgebaut hat, der muss damit leben, dass er Betriebsbeschränkungen hat, weil er da liegt, wo er liegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Solange Sie dazu nicht bereit sind, können Sie sich jede Ankündigung von möglichen Entlastungen sparen. – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Al-Wazir.

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