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02.03.2011
Portraitfoto von Tarek Al-Wazir vor grauem Hintergrund

Tarek Al-Wazir: Finanzausstattung der Kommunen durch grundlegende KFA-Reform

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wahrscheinlich hat dieser Hessische Landtag noch selten in der letzten Plenarwoche vor einer Kommunalwahl eine dermaßen ratlose Regierungsmehrheit erlebt. Das nämlich, was hier an Antrag und Rede vorgetragen wurde, zeigt eigentlich nur, wenn ich es einmal so sagen darf: Sie haben eigentlich schon aufgegeben, bevor der Wahlkampf in seine heiße Phase getreten ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich bin schon ein bisschen länger hier. Ich glaube, es ist jetzt das vierte Mal, dass ich hier eine Plenarwoche vor einer Kommunalwahl erlebe.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Immer gab es dann eine Auseinandersetzung darüber, welche unterschiedlichen Vorstellungen die Parteien zur Gestaltung der Kommunen haben: wie das Land den Kommunen helfen soll, welches die Schwerpunkte von Politik auf der kommunalen Ebene sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Antrag und diese Debatte bisher zeigen, dass CDU, FDP und diese Landesregierung offensichtlich keine Ahnung mehr haben, wie sie diese Kommunalwahl gewinnen wollen und worin die Aufgabe des Landes in Beziehung auf die Kommunen besteht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist schon ein Drama. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kommunen bilden doch das Fundament des Landes. Die Kommunen sind der Ort, an dem die Bürgerinnen und Bürger staatliches Handeln unmittelbar erleben, in eigener Anschauung, wo sie mitbekommen, was das Thema ist.

Wir haben dazu Vorstellungen. Aber mich würde es schon interessieren, wenn das hier zum Setzpunkt der CDU gemacht wird: Welche Vorstellungen hat die Union eigentlich davon, welche Rolle die Kommunen in der Bildungspolitik spielen sollen. Wie sollen sie ihre frühkindlichen Bildungseinrichtungen so ausstatten, dass diese ihre Aufgaben erfüllen können?

Wir könnten uns darüber auseinandersetzen, was mit den Schulgebäuden passieren soll oder nicht. Wir könnten uns darüber auseinandersetzen, wie die Energiewende stattfinden soll. Denn die Energiewende findet in den Kommunen statt, oder sie findet nicht statt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir könnten uns über lebendige Innenstädte oder irgendwelche Zentren auf der grünen Wiese auseinandersetzen. Auch das ist eine eminent kommunalpolitische Frage – bei der das Land übrigens ziemlich viel mitreden kann.

Bei alledem: Funkstille, Sendepause, keine Idee, keine Ahnung, weder bei CDU, noch bei FDP, noch bei dieser Regierung. Ich muss sagen: Das ist traurig, wirklich traurig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Frage des sozialen Zusammenhalts wird in der Kommune entschieden.

Jörg-Uwe Hahn denkt zwar immer, er sei der großartigste Integrationsminister auf der nördlichen Halbkugel,

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) – Beifall bei der CDU und der FDP)

aber Integration gelingt in der Kommune, oder sie gelingt nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deswegen sind das Einzige, was Jörg-Uwe Hahn in zwei Jahren hinbekommen hat, fünf Modellprojekte von Kommunen und nicht etwa von ihm. Insofern ist es schon eine Frage, über die wir uns auseinandersetzen könnten, wenn es denn eine Idee bei Ihnen gäbe. Aber man findet da nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur Frage der Kommunalfinanzen. Die Kommunalfinanzen sind ein unglaublich wichtiges Thema. Aber sie sind nur Mittel zum Zweck der Erfüllung der Aufgaben, über die ich hier gerade geredet habe. Wenn wir über Kommunalfinanzen reden wollen, dann ist es wirklich so, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP: Es hat selten eine Regierung gegeben, die eine so chaotische Finanzpolitik gegenüber den Kommunen betrieben hat. Weil es passt: Volker Bouffier hat zu Beginn der Debatte die Flucht ergriffen. Auch das hat es sicherlich noch nie gegeben, seitdem wir hier im Hessischen Landtag vor Kommunalwahlen über Kommunalpolitik reden.

Schauen wir ein Jahr zurück. Was ist denn passiert?

(Zuruf des Abg. Klaus Dietz (CDU))

Der erste Punkt ist: Diese Regierung und diese Mehrheit erklären vor einem Jahr, die Kommunen seien so reich im Vergleich zum Land, dass man ihnen 340 Millionen Euro entziehen müsse.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Dann haben wir Proteste der Kommunen, weil gleichzeitig kein Landkreis und fast keine Kommune mehr den Haushalt ausgleichen können. Mit dem Reichtum scheint es daher durchaus relativ zu sein.

Dann stellen Sie fest: Oje, wir haben eine Kommunalwahl. Sie streichen 340 Millionen Euro, aber geben einen Vorschuss von 150 Millionen Euro auf das Geld vom übernächsten Jahr und sagen dann: Hurra, es ist Geld in der Kasse.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Dieser Vorschuss von 150 Millionen Euro fehlt dann im Jahre 2012. Derselbe neu gewählte Ministerpräsident, der vorher Innen- und Kommunalminister war – übrigens, der Kommunalminister fehlt auch bei dieser Debatte – –

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Aber bitte sehr, das ist Ihr Problem, nicht unser Problem. Es ist Ihr Problem, dass Sie das nicht ernst nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Der Kommunalminister, der dann Ministerpräsident wird, der zu verantworten hat, dass 340 Millionen Euro gestrichen werden, stellt sich hin bei seiner ersten Regierungserklärung als Ministerpräsident und sagt: Wir wollen einen Rettungsschirm für die Kommunen ausbreiten. – Wir wissen bis heute nicht, was er beinhalten soll, wie er gefüllt werden soll, wie er aussehen soll. Aber nur einmal logisch: Im Februar erklären Sie, die Kommunen seien so reich, dass man ihnen 340 Millionen Euro streichen kann. Im September wird dann der Rettungsschirm für die Not leidenden Kommunen ausgebreitet. Bitte sehr, das ist Ihr Problem.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Dann haben wir Steuermehreinnahmen im Jahre 2010. Ist das dann der Anlass, wo man den Kommunen etwas zurückgibt von dem, was man ihnen gestrichen hat? Nein, damit bildet man eine Rücklage beim Land.

Dann passiert etwas Unglaubliches für Dezember: Es schneit.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Da denken Sie: Oje, am 27. März ist Kommunalwahl. Auweia, es hat geschneit, wir müssen jetzt ein Schlaglochprogramm auflegen.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Was machen Sie mit diesem Schlaglochprogramm? Sie nehmen wieder das Geld von 2012, geben den Kommunen 50 Millionen € ihres eigenen Geldes und wollen, dass die Kommunen Sie dann dafür feiern. – Eine so chaotische Finanzpolitik eines Landes gegenüber seinen Kommunen hat es noch nie gegeben, seitdem das Land Hessen existiert.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Da Sie jetzt mit dem Geld des Jahres 2012 die Schlaglöcher des Dezembers 2010 ausbessern wollen, stelle ich Ihnen die Frage: Was machen Sie, wenn es im Dezember 2011 wieder schneit?

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Was machen wir denn dann? Wäre es nicht sinnvoll – wir haben heute Mittag eine Anhörung –, schlicht einen Änderungsantrag zu Ihrem Gesetzentwurf anzunehmen, der sagt: „Wir geben den Kommunen das, was zu den 344 Millionen Euro noch fehlt, zur freien Verwendung“? Denn die sind schlau genug, das zu machen, was nötig ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Sie merken an Ihrem eigenen Setzpunkt und Ihrem eigenen Antrag, dass Sie keine Linie in Bezug auf die Kommunen haben. Deswegen sage ich von dieser Stelle aus noch einmal: Wir wollen und wir müssen eine Reform des Kommunalen Finanzausgleichs hinbekommen. Karlheinz Weimar hat das 2006 schon einmal angefangen und hat sofort wieder aufgehört. Wir müssen eine Reform hinbekommen, die sagt:

Wir brauchen eine Erhöhung der Ausgleichsgerechtigkeit zwischen Landesebene und kommunaler Ebene. Dazu müssen wirklich einmal alle Zahlen auf den Tisch.

Wir brauchen eine Erhöhung der horizontalen Ausgleichsgerechtigkeit. Denn das, was Sie machen – Stichwort: Schlaglochprogramm –, ist doch das Gegenteil von dem, was sinnvoll ist. Die eher ärmeren Kommunen haben doch die größeren Probleme mit ihrem Straßennetz. Die werden durch Ihr Programm aber unterm Strich weniger Geld zur Verfügung haben, während Eschborn – Herr Kollege Kaufmann hat es gestern schon gesagt – seine Schlaglöcher wohl mit Goldinlays füllen wird. Das ist doch völlig planlos, was hier passiert, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wir brauchen also eine Erhöhung der horizontalen Ausgleichsgerechtigkeit, und wir brauchen eine Erhöhung der Transparenz des Kommunalen Finanzausgleichs insgesamt, damit das verständlich ist.

Ich sage Ihnen sehr deutlich: Die Form von chaotischer Finanzpolitik, die Sie in den letzten zehn Monaten hier betrieben haben in Bezug auf das Verhältnis des Landes Hessen zu den Kommunen, sollte Ihnen zu denken geben: dass jetzt endlich die Zeit der Sprechblasen vorbei ist und dass man jetzt endlich einmal konkrete Politik gegenüber den Kommunen machen soll.

Ich muss Ihnen sagen: Ich bin fast schon entsetzt über die Planlosigkeit und Ideenlosigkeit dieser Mehrheit und dieser Regierung. Deswegen habe ich, was die Kommunalwahlen angeht, keine Sorge, was unser Ergebnis betrifft.

(Zurufe der Abg. Florian Rentsch (FDP) und Judith Lannert (CDU))

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Sorge, was die sachlich notwendigen Entscheidungen der Mehrheit dieses Landtags und dieser Regierung gegenüber den Kommunen angeht. Vielleicht denken Sie noch einmal darüber nach, ob Sie an diesem Punkt nicht dringend einen Neustart, spätestens nach der Kommunalwahl, machen müssen. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr, Herr Al-Wazir.

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