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17.09.2009

Sigrid Erfurth zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bekenntnis zu Europa, zum europäischen Einigungsprozess hat jetzt zwei Wochen vor der Bundestagswahl dazu geführt, dass sich Regierungs- und Oppositionsparteien – mit Ausnahme der Linkspartei – in großer Einigkeit ein ungewöhnliches Arbeitspensum vorgenommen und die erforderlichen Gesetzentwürfe eingebracht und auch verabschiedet haben. Die letzte Runde – Frau Osterburg, Sie haben es gesagt – ist morgen, am Freitag, im Bundesrat. Dann wird Deutschland seiner Verantwortung als wichtiger strategischer Partner innerhalb der Europäischen Union gerecht geworden sein.

Es gab mit Ausnahme der Linkspartei den parteiübergreifenden Konsens, noch vor der Bundestagswahl und vor dem Referendum in Irland die gesetzlichen Grundlagen für den Vertrag von Lissabon zu legen. Das ist trotz der ablehnenden Haltung der Linkspartei und einiger kritischer Stimmen aus der CSU – auch das gehört dazu – gelungen. Ich kann für meine Fraktion sagen, dass wir das außerordentlich begrüßen.

Es gab auch gar keinen Dissens in Kernfragen, die der Bundestag in den verabschiedeten Gesetzen zu klären hatte. Diese Stichpunkte sind in dem Antrag von CDU und FDP enthalten. Ich brauche sie hier nicht erneut aufzuführen. Das sind alles Dinge, die in dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine Rolle gespielt haben und die sich Gott sei Dank als juristisch lösbar erwiesen haben. Ich möchte daher darauf verzichten, hier die Debatte aus dem Bundestag nachzuzeichnen sowie auf die verschiedenen Befindlichkeiten einzugehen.

Es zeichnet sich Gott sei Dank auch für die morgige Abstimmung eine große Einigkeit ab. Wenn wir denn morgen die Abstimmung hinter uns gebracht haben, dann haben wir viel geschafft. Wir haben ein gutes Fundament für die künftige Arbeit in Europa geschaffen. Und dann? – Dann wird es spannend, denn dann wird es darum gehen, was wir aus diesen gewonnenen Freiheiten machen, aus dem Haus Europa und aus dem hessischen Zimmer in diesem Haus Europa, welches wir uns dann erarbeitet haben.

(Zuruf des Abg. Aloys Lenz (CDU))

– Wohnzimmer, das ist ein schönes Stichwort, Herr Lenz. Herr Lenz, wir haben uns seit Beginn der Legislaturperiode vor gut sieben Monaten schon das dritte Mal mit dem Thema Europa beschäftigt. Das ist zunächst einmal schön, weil wir dadurch das Thema Europa mehr in den Fokus nehmen. Herr Lenz, der Blick in das hessische Wohnzimmer war mir bisher verwehrt. Bisher waren wir, glaube ich, immer nur im Treppenhaus, auf dem Flur oder vielleicht auch einmal an der Rezeption, aber so richtig im Kern der Dinge waren wir noch nicht. Dahin sind wir bisher noch nicht vorgedrungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Hessen betont das Subsidiaritätsprinzip. Wir setzen im Haus auf deutsche Sprache, und wir wollen ein Antragskompetenzzentrum eingerichtet wissen, damit keine Fördermittel verloren gehen, so habe ich das den bisherigen Reden des Europaministers entnommen. Das ist sicher richtig und wichtig. Es sind Dinge, die gemacht werden müssen, die aber keinesfalls ausreichen, um aus einem Zimmer ein bisschen mehr als nur einen Wirtschaftsraum zu machen, sondern einen richtigen Lebensraum.

Herr Blum, als Sie vorhin geredet haben, da hatte ich einen Moment lang die Hoffnung, Sie würden die Zimmertür ein bisschen aufmachen und uns einen Blick auf die Inhalte werfen lassen, die Sie sich für die Europapolitik vorgenommen haben, und darauf, wo Sie denn die neugewonnenen Kompetenzen einsetzen wollen und sollen.

Mir fehlt die Vision, wie Sie künftig mit dem Begleitgesetz umgehen, die Grundlagen nutzen und mit welcher Zielrichtung Sie künftig in Europa arbeiten wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage mich, ob Sie ein dunkles, verrußtes und überheiztes Zimmer haben wollen, in welchem die Folgen des Klimawandels ignoriert werden. Wollen Sie ein Zimmer, in dem Flüchtlinge und Migranten keinesfalls geordnet über den Flur eintreten können, ein Zimmer, das Menschen nur unter Lebensgefahr über das Dach erreichen können? – Bisher habe ich den Eindruck, dass Sie genau an einem solchen Zimmer arbeiten.

Es ist zu einem sehr großen Teil der restriktiven deutschen Einwanderungspolitik zu verdanken, dass die Einwanderung und Migration in der EU so schwer händlebar ist. Wir tragen einen Teil an Verantwortung dafür, dass illegale Einwanderung so ist, wie sie ist. Es wird höchste Zeit, dass wir es den Menschen in einem geordneten Verfahren ermöglichen, in die EU und damit auch nach Deutschland zu kommen, dass wir es den Menschen ermöglichen – um im Bild zu bleiben –, nach entsprechender Anmeldung über den Flur in das hessische Zimmer zu kommen, so wie man es unter zivilisierten Menschen macht, und dass wir es mit einem solch geordneten Verfahren schaffen, den Sumpf der Schlepperbanden endlich trockenzulegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Herren von der FDP, ich bin sehr gespannt, wie sich die hessische FDP für ein vernünftiges Einwanderungsrecht einsetzt. Bisher konnte ich davon noch nichts hören und sehen, aber wir sind noch am Anfang, und vielleicht erlauben Sie uns einen Blick hinter die Zimmertür.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

– „Was hat das mit Lissabon zu tun?“, höre ich den Europaminister fragen. – Genau darum geht es, wie sich Hessen dafür einsetzt, dass wir die neuen Freiheiten auch nutzen. Sie haben schon jetzt den dritten Antrag in den Landtag eingebracht, der sich mit Europa beschäftigt. Ich habe aber noch nicht einmal gehört, welche Zielrichtung Ihre Europapolitik nehmen will. Es wäre doch ein hervorragendes Anliegen, wenn sich die hessische FDP darum bemühen würde, hier an verantwortlicher Stelle mitzuarbeiten.

Ein Punkt, an dem Sie mitgearbeitet haben, hat heute Morgen, vor zwei Stunden, bei der Diskussion um Opel schon einmal eine Rolle gespielt. Da ging es um eine Pressemitteilung, die Sie, Herr Europaminister Jörg-Uwe Hahn, gemeinsam mit dem Wirtschaftsminister Dieter Posch herausgegeben haben. In dieser Pressemitteilung haben Sie sich gegen die Absicht der EU-Kommission gewandt, ab dem Jahr 2012 die Grenzwerte für leichte Nutzfahrzeuge herabzusetzen. Das sind im allgemeinen Sprachgebrauch die Sprinter, diese kleinen Dinger, die auf der Autobahn immer mit überhöhter Geschwindigkeit an einem vorbeipreschen und zunehmend genutzt werden, um LKW-Fahrverbote auszuhebeln.

Die EU-Kommission möchte, dass diese Sprinter künftig weniger CO2-Emissionen verbreiten. Ab 2012 soll die Emission auf 175 g pro Kilometer gesenkt werden, ab 2015 auf 160 g pro Kilometer. Das ist wahrhaft kein ehrgeiziges Projekt, aber aus meiner Sicht bitter nötig, um den Klimawandel zu bekämpfen und der Autoindustrie eine Richtung zu geben, ihr vorzugeben, wo wir denn künftig hinwollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte mir gewünscht, dass die beiden Herren Minister der FDP aus der Debatte von heute Morgen ein bisschen gelernt hätten. Wir brauchen eine vernünftige Richtung, wohin sich Autoindustrie entwickeln muss. Wir brauchen eine vernünftige Richtung, wohin sich der Wachstumsmarkt der Zukunft entwickeln soll. Wenn Sie jetzt erklären, der CO2-Ausstoß von Autos solle auf gar keinen Fall gesenkt werden, denn angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage sei dies jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, der Automobilbranche weitere Belastungen aufzubürden – so lautet Ihre Begründung –, ist festzustellen: Meine Herren von der FDP, wenn Sie so weitermachen, dann wird das hessische Zimmer in dem Haus Europa nicht nur vermieft und verqualmt sein, sondern es wird auch nicht die einfachsten Stellschrauben für den Klimawandel haben. – Nein, Sie machen es noch schlimmer: Sie nageln das Fenster zu für technologische Entwicklungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass der Wachstumsmarkt der Zukunft in der Umwelttechnologie liegt und dass wir in der Automobilindustrie technische Innovationen brauchen, um die Herausforderungen des Klimawandels zu regeln. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass die erneuerbaren Energien und die Einspartechnologien die Märkte der Zukunft sind.

All diese Chancen blenden Sie aus, wenn Sie dieses Fenster zunageln. Ich finde, das haben wir in Hessen nicht verdient. Wir sollten doch versuchen, diese Märkte zu nutzen. Das sind die Wachstumsmärkte der Zukunft, wo auch in Zukunft Arbeitsplätze erschaffen werden. Sie sollten die Chancen, die uns Europa bietet, nicht ausblenden. Wenn die Europäische Kommission schon einmal den Mut hat, zu sagen: „In diese Richtung wollen wir die technologische Entwicklung vorantreiben“, sich dann der Wirtschaftsminister und der Europaminister zusammen ins Bremserhäuschen setzen und sagen: „Da wollen wir auf keinen Fall hin“, dann sollten Sie noch einmal überlegen, wohin Sie mit der Europapolitik für Hessen wollen.

Aus unserer Sicht brauchen wir ein helles, ein frisches, ein für die Zukunft offenes Zimmer, ein für die Zukunfts- und Wachstumstechnologien offenes Zimmer. Wir brauchen nicht nur Rechtsklarheit und Subsidiarität im neuen Haus in Europa und im neuen hessischen Zimmer. Herr Minister Hahn, wenn Sie Ihre Vision darauf lenken könnten, dass wir uns für die Arbeitsplätze in Hessen einsetzen und für eine gerechte und gute Umweltpolitik, dann hätten wir etwas gewonnen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Frau Kollegin Erfurth.

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