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03.03.2010

Sigrid Erfurth zum Thema: Daten über Steuerstraftäter für mehr Steuergerechtigkeit nutzen

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen mit unserem Antrag heute Morgen den Fokus auf eine Straftat lenken, die immer gern verniedlicht wird. Steuerstraftäter werden immer gern als „Steuersünder“ bezeichnet. Damit wird ummantelt, dass Steuerhinterziehung eine schwere Straftat ist, die der Allgemeinheit großen Schaden zufügt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es gibt Schätzungen der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, dass der Bundesrepublik Deutschland durch Steuerhinterziehung rund 30 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren gehen. 30 Milliarden Euro, das ist mehr, als der hessische Haushalt an Volumen hat. Das muss man sich einmal vorstellen: Etwa das Volumen des hessischen Landeshaushalts wird dem Steueraufkommen durch kriminelle Energie entzogen.

Ich möchte noch einmal klarstellen: Ich halte es für kriminell, wenn jemand in der vollen Absicht, Einnahmen in seiner Steuererklärung nicht anzugeben, sein Vermögen ins Ausland verlagert, in ein Land, das ihm garantiert: Wir geben weder Namen noch Anlageformen, noch die erzielten Zinserträge an deine heimische Steuerbehörde, und damit hast du sozusagen den Schutz davor, dass du es versteuern musst. – Meine Damen und Herren, wer so handelt, begeht kein Kavaliersdelikt. Wer so handelt, begeht eine Straftat. Wer so handelt, stellt sich ganz bewusst gegen das geltende Recht der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deshalb bin ich auch dafür, eine Straftat mit klaren Worten eine Straftat zu nennen und nicht liebevoll zu umschreiben, so wie in dem berühmten Lied von Willy Millowitsch, dem weinseligen Thekenlied: „Wir sind alle kleine Sünderlein, es war immer so, es bleibt auch so“. Herr Finanzminister, da bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie offensichtlich mit uns einer Meinung sind: Es darf nicht so bleiben. Sie haben sich auch mit erfreulicher Klarheit dazu geäußert, dass es bei Steuerhinterziehung kein Pardon geben kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU, der FDP, der SPD und der LINKEN)

Richtig so, eine Aussage, die wir nur unterstreichen können. Sie haben auch in der letzten Woche im Haushaltsausschuss eine, wie ich finde, sehr richtige gesellschaftspolitische Betrachtung angestellt: dass  Menschen, die Leistungen der Allgemeinheit in Anspruch nehmen wollen wie Bildung, wie öffentliche Infrastruktur, die das Gemeinwohl und die Gesellschaft in Anspruch nehmen wollen, auch ihren angemessenen Beitrag zur Finanzierung leisten. Ich finde, das müssen wir festhalten, und das wollen wir tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist eine Erkenntnis, die wir jetzt auf dem Prüfstand stellen müssen. Denn nach dem, was Sie uns eben vorgetragen haben, Herr Finanzminister, wird sich den Regierungsfraktionen und auch den Kabinettsmitgliedern die Frage stellen: Was macht Hessen? Bleibt Hessen im Verbund dessen, was bisher auf Bundesebene verabredet war, oder übernimmt Hessen die Lösung Baden-Württembergs? – Ich hoffe, wir tun es nicht, sondern wir bleiben dabei, dass Steuerstraftaten verfolgt und angebotene Datensammlungen gekauft werden, wenn sie denn des Kaufens würdig sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Denn wer die konsequente Verfolgung von Steuerstraftaten will, der darf kein legales Mittel auslassen, Straftaten aufzudecken. Zur Aufdeckung von Straftaten gehört die Auslobung von Belohnungen, dazu gehört auch im Einzelfall der Ankauf von Informationen. Das ist übliche Praxis bei Strafverfolgungsbehörden, also im Prinzip nichts Besonderes, sollte man meinen. Besonders wurde es bisher immer nur bei verschiedenen Stimmen aus Union und FDP, wenn es um Steuerstraftaten ging.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren der CDU und meine Herren der FDP, dann wird auf einmal der Datenschutz entdeckt – der Datenschutz, der auf einmal zu einen so hohen Gut wird, dass er hier unüberwindliche Hürden aufbaut. Wenn Sie doch immer so wären, kann man im Hinblick auf das Verfassungsgerichtsurteil feststellen, das uns erst gestern beschäftigt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich bin für Güterabwägung an dieser Stelle, und wir müssen die Bedenken des Bundesdatenschutzbeauftragten sehr ernst nehmen. Hier müssen wir Güterabwägung betreiben: den Schutz der Intimsphäre und das informationelle Selbstbestimmungsrecht gegen den Strafverfolgungsanspruch des Staates.

Meine Damen und Herren, all diese Argumente wurden vor zwei Jahren beim Ankauf der Daten aus Liechtenstein geprüft.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Es wurde ein rechtsstaatlich angemessener Weg gefunden, diese Klippen zu umschiffen. Da wurde ein Weg gefunden, wie wir Strafverfolgung bei schweren Steuerstraftaten durchsetzen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vor diesem Hintergrund ist es mir nur sehr schwer verständlich, wie z. B. Innenminister Volker Bouffier noch Ende Januar warnte, man dürfe kein Diebesgut kaufen.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Mit diesem Begriff „Diebesgut“ meinte er die Steuerdaten-CD, also eine Datensammlung, die Steuerdiebe enthält. Das ist für mich eine sehr komische Umschreibung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Greilich (FDP): Wissen Sie nicht mehr, was Diebstahl ist? – Zurufe von der CDU)

– Herr Greilich, wir kommen dazu. – Herr Milde, für mich schützt diese Argumentation ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell: ein Geschäftsmodell, das darauf ausgerichtet ist, dem deutschen Staat, dem deutschen Fiskus Geld in Milliardenhöhe vorzuenthalten.

Meine Damen und Herren, diese Anlageformen in der Schweiz wählen die Menschen doch nicht deshalb, weil die Schweiz etwa so hohe Zinsen zahlt oder so gute Konditionen bietet. Nein, sie werden doch überwiegend deshalb gewählt, weil man zusätzlich zu den Zinsen das „kleine Extra“ hat, nämlich das kleine Extra der hinterzogenen Steuern. Darum wird es gemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Dieses kleine Extra, ich nenne es einmal das „illegale Aufgeld“, macht das ganze Modell doch erst interessant. Wenn der hessische Innenminister nach Möglichkeiten sucht, dieses Modell unter Schutz zu stellen, dann werde ich schon ein bisschen sauer. Da hatte ich mir eigentlich erhofft, dass der Innenminister nach Möglichkeiten sucht, die Schlagkraft und Durchsetzungsfähigkeit des deutschen Steuerrechts zu erhöhen, und sich nicht für den Schutz des Schweizer Bankgeheimnisses stark macht, das darauf abzielt, dem Fiskus Geld zu entziehen und letztlich auch seinem Haushalt, der dafür sorgt, dass Polizistinnen und Polizisten bezahlt werden können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

– Herr Milde, es ist leider so. – Ich finde es schon bedenklich, dass sich hessische Minister über die andere Seite der Medaille Gedanken machen. Ich finde, hessische Minister sollte sich Gedanken darüber machen, wie sie Steueransprüche durchsetzen und wie sie schwere Straftaten verhindern, die hier begangen werden, und sich nicht überlegen, wie man diese schweren Straftaten schützen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diese Linie gehört für mich auch Justizminister Jörg-Uwe Hahn. Jörg-Uwe Hahn hat noch im vergangenen Monat verkündet, der Staat mache sich der Hehlerei schuldig, wenn er sich am Kauf der Daten beteilige. Unabhängig von der Frage, ob der Kauf der Daten überhaupt unter Hehlerei fällt – darüber mögen sich Juristen streiten –, ist mir das Verhalten eines Justizministers an diesem Punkt nur schwer erklärlich. Auch er sollte sich der Durchsetzung des deutschen Rechts verpflichtet fühlen. Ich frage mich, was einen hessischen Justizminister bewegt, nach juristischen Winkelzügen zu suchen, die Steuerstraftäter weiterhin ungeschoren lassen. Mir erschließt sich das nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

– Herr Blum, vielleicht war wieder eine Mövenpickerei am Gange. Das weiß ich aber nicht. Diese Frage müssen Sie beantworten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Wolfgang Greilich (FDP) – Zuruf des Abg. Alexander Noll (FDP))

– Ich habe noch viele Schubladen. Die Redezeit reicht aber leider nicht aus, um sie alle zu öffnen, Herr Noll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Offenbar hat sich selbst die Koalition auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zusammengerauft. Sie haben uns gestern noch einen Dringlichen Antrag vorgelegt, in dem Sie deutliche Worte zur Steuerhinterziehung gefunden haben. Bei diesem Antrag bleiben Sie uns aber eine wesentliche Antwort schuldig: Was machen Sie, wenn es wirklich zum Kauf kommen sollte? Eine Antwort auf diese Frage haben Sie nicht gegeben.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Ich hoffe, dass sich der Finanzminister durchsetzen kann, sodass wir dazu kommen, diese Daten zu nutzen.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Vizepräsident Lothar Quanz:

Sie müssen zum Schluss kommen.

Sigrid Erfurth:

Ich komme zum Schluss und danke für den Hinweis, Herr Präsident.

Unser Antrag verhält sich sehr eindeutig dazu. Das ist die Linie, auf die wir uns verständigen sollten. Ich hoffe sehr, dass Sie hinter dem Finanzminister stehen und die gemeinsame Linie vertreten und sagen: Jawohl, die Hessen kaufen. – Außerdem hoffe ich, dass die unseligen Äußerungen hessischer Regierungsmitglieder über Diebesgut und Hehlerei der Vergangenheit angehören. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke, Frau Erfurth.