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09.09.2010

Sigrid Erfurth zu: Gesetz zur Schuldenbremse

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn Ihrer Rede, Herr Dr. Wagner, habe ich mich manchmal gefragt, an welchen Orten die CDU – und zum Teil auch die FDP – die letzten elf Jahre verbracht hat. Denn Sie haben so getan, als hätten Sie mit der Haushalts- und Finanzpolitik in Hessen nicht so richtig etwas zu tun gehabt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Das haben Sie nachher relativiert, aber am Anfang klang es durchaus so.

Auch ich möchte einen Blick auf die Zahlen werfen. Wir haben gestern den Finanzplan besprochen, und danach werden es bis zum Jahre 2014 mehr als 47 Milliarden Euro Schulden sein. Und die Zinszahlungen, die, wie Sie richtig ausgeführt haben, den Handlungsspielraum der künftigen Generationen erheblich einschränken werden, werden aller Voraussicht nach bis 2014 mehr als 1,8 Millionen Euro betragen – und das bei prognostizierten Einnahmen von rund 20,6 Milliarden Euro. Ich glaube, diese wenigen Zahlen machen eines deutlich: Die Verschuldungsspirale der öffentlichen Haushalte muss wirksam durchbrochen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass wir Grüne uns schon sehr früh dazu bekannt haben, auch im hessischen Landeshaushalt spätestens ab dem Jahre 2020 in wirtschaftlichen Normalzeiten ohne Kredite auskommen zu müssen. In dieser Überzeugung, dass sich die Schuldenproblematik nicht einfach durch Erklärungen oder einen Federstrich lösen lässt, haben wir uns im letzten Jahr sehr intensiv mit der Schuldenbremse beschäftigt. Wir haben Ihnen im Januar dieses Jahres unser Konzeptpapier „Hessens Weg aus der Schuldenfalle“ vorgelegt, und wir haben darin einen Weg beschrieben – einen Weg, wie aus unserer Sicht das Ziel eines schuldenfreien Haushalts erreicht wird.

Unser Konzept ist auf Dialog angelegt. Denn wir sind der Meinung, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, zu erfahren, in welchen Bereichen der Staat künftig mehr investieren will, in welchen Bereichen er nicht mehr Geld ausgeben will und in welchen Bereichen – das ist für Bürgerinnen und Bürger ganz wichtig – eingespart werden soll. Das müssen Bürgerinnen und Bürger wissen, bevor sie in eine Volksabstimmung über die Schuldenbremse eintreten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen unsere Bürgerinnen und Bürger nämlich ernst nehmen.

Wir haben im Moment eine gültige Verfassung. Wir haben, Herr Dr. Wagner, den Artikel 141 in der Verfassung des Landes Hessens. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie der ehemalige Hessische Finanzminister Weimar gesagt hat: Die enge hessische Schuldengrenze können wir jetzt wieder nicht einhalten. – Da ist Vertrauen verspielt worden.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Wie war das denn unter Rot-Grün und Eichel? Da war es auch nicht besser!)

– Wir haben unter Eichel Schulden abgebaut, Herr Dr. Wagner.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Wir waren bei 20 Milliarden Euro Verschuldung. Nun sind wir bei 47 Milliarden Euro.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Unter Eichel hat Rot-Grün 12 Milliarden Euro zusätzlich aufgebaut!)

– Herr Dr. Wagner, wir sollten doch versuchen, das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Dr. Wagner, wir müssen den Menschen zeigen, dass wir es mit der Verfassungsänderung ernst meinen,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

und deshalb können wir nicht einfach so sagen: Wir schreiben jetzt einfach einen neuen Artikel in die Verfassung, und dann ist alles gut. – Nein, wir müssen in einen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürger einsteigen.

Sie haben sich nach der Sommerpause entschlossen, das Gesetz noch bis zur Kommunalwahl durchzubringen, damit die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Kommunalwahl auch über die Verfassungsänderung entscheiden können. Dieser Zeitraum ist relativ kurz. In der Zeit wird der von uns angestrebte Dialog nicht so zu leisten sein, wie wir uns das vorgestellt haben.

Wir halten es auch nicht für zwingend, das Gesetz bis zur Kommunalwahl zu verabschieden,

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

aber, Herr Dr. Wagner, wir haben sehr genau gehört, dass der Ministerpräsident gestern gesagt hat, dass wir hier neue Dialogformen prägen wollen. Wir haben ihrem Änderungsantrag zugestimmt und sagen: Jawohl, auch wir wollen uns in dieses Zeitraster hineinbegeben. Wir wollen versuchen, über den Entschließungsantrag, den wir Ihnen vorgelegt haben, diesen Dialog in einer groß angelegten Anhörung zu organisieren, in der gesellschaftliche Gruppen, Gewerkschaften, Unternehmen, die Kirchen, die Wissenschaft und Verbände gehört werden. Im Verlaufe dieser Anhörung sollen diese gesellschaftlichen Gruppen auch kritische Fragen im Zusammenhang mit der Schuldenbremse stellen können.

Es soll beispielsweise die Frage – diese haben Sie schon angesprochen – geklärt werden, wer regelt denn, was Notsituationen sind. Wer regelt denn, wie wir mit Konjunkturfragen umgehen? Wie sind die Mechanismen zu gestalten, damit sie funktionieren und wir sie im Griff haben? – Auch das müssen wir hinterfragen, und insofern hoffe ich, dass wir in der Anhörung, die wir mit unserem Entschließungsantrag beantragt haben, Antworten auf diese Fragen finden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Punkt ist uns besonders wichtig: der Schutzwall für die Kommunen. Die Schuldenbremse darf unserer Überzeugung nach nicht zur Schuldenfalle für die Kommunen werden. Schließlich haben auch die Präsidenten der Rechnungshöfe in ihrer Erklärung im Mai darauf hingewiesen, dass sie die ganz reale Gefahr sähen, dass Kosten und Aufgaben auf die Kommunen verlagert würden, ohne dass diese die dafür adäquaten Mittel bekämen. Wir spinnen also nicht, sondern befinden uns in unserer Ansicht dahin gehend, dass wir sichere Regeln für die Kommunen brauchen, in guter Gesellschaft. Diese Gefahr darf nicht real werden, und auch in dieser Frage soll uns die Anhörung weiterbringen, damit wir gemeinsam Regelungen erarbeiten, die verfassungsfest sind, damit diese Ängste der Kommunen nicht geschürt werden und damit wir das Gesetz an dem Punkt noch weiter verbessern können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Erklärung der kommunalen Spitzenverbände, die in dieser Woche veröffentlicht wurde, haben Sie möglicherweise auch bekommen. Die kommunalen Spitzenverbände befanden sich diese Woche in einem Wechselbad der Gefühle: Auf der einen Seite erfolgte die Kürzung im kommunalen Finanzausgleich, auf der anderen Seite kam das Hilfsangebot in Form des Rettungsschirms. Nun geht es um die Schuldenbremse. Diese Bedenken sollten wir ernst nehmen und schauen, wie wir entsprechende Regelungen in den Gesetzentwurf hineinbekommen. Wir haben erfreut gehört, dass es Bewegungen in diese Richtung gibt, und wir werden sehen, wie wir an diesem Punkt weiterarbeiten können.

Ein Weiteres erwarten wir von der Anhörung: Wir erwarten klare Antworten auf die Frage, wie wir den Weg bis zum Jahr 2020 beschreiben. Nach unserer festen Überzeugung wird man die Schuldenbremse nur dann wirksam umsetzen können, wenn man die drei finanzpolitischen E klärt.

Das erste finanzpolitische E steht bei uns für „Effizienzsteigerungen“. Die Bürgerinnen und Bürger werden wissen wollen, wo sich die Landesregierung Effizienzsteigerungen im Haushalt vorstellt, und sie werden wissen wollen, wo die Landesregierung mit Einsparungen ansetzen will. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für das Zusammenleben in diesem Land, und hier erwarten wir Antworten.

Die entscheidenden Antworten wird es in Bezug auf das dritte E geben müssen. Was ist mit dem Punkt „Einnahmeerhöhungen“? – Wir alle wissen, dass die staatlichen Haushalte unterfinanziert sind. Es wird spannend, von der Landesregierung eine Antwort auf die Frage zu hören, wie diese beabsichtigt, mit der dringend nötigen Einnahmeerhöhung für den Hessischen Landeshaushalt umzugehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind gespannt, wie uns die angekündigte neue Offenheit hier weiter durch das Verfahren trägt.

Zum Abschluss möchte ich auf zwei Punkte eingehen, die in der bisherigen Debatte keine Rolle gespielt haben. – Wir denken, dass es – ähnlich wie für den Schutzschirm oder den Schuldenfonds für die Kommunen – auch eine Lösung für die Landesschulden geben muss.

Bisher ist das in der Debatte nicht vorgekommen. Ich glaube, das wird ein wichtiger Punkt sein, um den Ländern überhaupt eine Möglichkeit zu eröffnen, von ihren Schulden herunterzukommen. Auch das wird eine wichtige Debatte werden: Bekommen wir es hin, einen Altschuldenfonds einzurichten, der die Schulden der Bundesländer poolt und es ermöglicht, sie besser zu verwalten? Können wir die Zinszahlungen optimieren, und bleiben sie letztlich bei den Ländern?

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Auch dieser Punkt ist uns wichtig. Er muss in dieser Debatte erörtert werden.

Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, den die Präsidenten der Rechnungshöfe in ihrer gemeinsamen Erklärung ebenfalls angemahnt haben. Es muss sichergestellt werden, dass keine Schattenhaushalte aufgebaut werden. Weder aus guten noch aus weniger guten Gründen dürfen Schattenhaushalte aufgebaut werden, die die Transparenz und die Haushaltswahrheit untergraben. Auch das fehlt uns bisher noch in diesem Gesetzentwurf.

Wenn wir darauf noch eine befriedigende Antwort erhalten, werden wir am Ende möglicherweise gemeinsam unter einem Gesetzentwurf stehen. Aber es hängt noch alles an diesem Prozess. – Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Kollegin Erfurth, vielen Dank.