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08.10.2009

Sigrid Erfurth zu: Durch Kursänderung in der Finanzpolitik die Verschuldungsorgie beenden

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Themenwechsel. Die dramatische Verschuldungssituation in unserem Land erfordert, dass wir uns auch in dieser Plenarrunde mit großem Ernst dieser Situation widmen und die Regierungsfraktionen auffordern, eine Alternativrechnung zum Finanzplan vorzulegen – eine Alternativrechnung zu dem bisher untauglichen Finanzplan, die uns aufzeigt, wie die Neuverschuldung schrittweise zurückgeführt werden kann und wie die steuerpolitischen Rahmenbedingungen dazu konkretisiert werden.

Ich möchte zuvor einen Blick auf die gesetzlichen Grundlagen der Finanzpolitik werfen. Der Blick zeigt, dass die Begrenzung der öffentlichen Verschuldung durch eine Vielzahl von Rechtsvorschriften gewährleistet werden soll – ich betone: gewährleistet werden soll. Da ist zunächst die Hessische Verfassung, die Sie als Abgeordnete des Hessischen Landtags alle sehr gut kennen. Unser Thema für heute ist Art. 141. Dort heißt es – ich zitiere –:

Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden.

Wir haben uns in der Vergangenheit schon öfter darüber gestritten, wie diese Regelung auszulegen ist. Der hessische Finanzminister hatte immer einmal wieder den Anspruch, diese Regelung weiter auszulegen und die Investitionen der Kommunen mit in die Verfassungsgrenze einzubeziehen, weil er dann die Chance hatte, ab und zu die Verschuldungsgrenze einzuhalten. Diese Frage stellt sich für die Haushalte 2009 und 2010 gar nicht mehr. Die geplante Nettoneuverschuldung 2009 überschreitet die hessische Verschuldungsgrenze um fast 100 % und die geplante Neuverschuldung für 2010 überschreitet die hessische Verfassungsgrenze um mehr als 100 %. Dazu die Zahlen: Die geplante Neuverschuldung liegt bei gut 3,3 Milliarden € und die hessische Verfassungsgrenze bei 1,5 Milliarden €. So sind die Zahlen in der aktuellen Situation, mit der Verfassung abgeglichen.

Unabhängig davon, wie wir den Investitionsbegriff definieren, hat sich gezeigt: Die Festschreibung der Verschuldungsgrenze in der Hessischen Verfassung war bisher nicht das Steuerungsinstrument, das dazu führen soll, dass die Verfassungsgrenze eingehalten wird. 1967 hat die damalige Große Koalition das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft eingeführt. Dieses Gesetz verpflichtet uns bis heute, eine mittelfristige Finanzplanung vorzunehmen. Dort heißt es:

Der Haushaltswirtschaft des Bundes ist eine fünfjährige Finanzplanung zugrunde zu legen. In ihr sind Umfang und Zusammensetzung der voraussichtlichen Ausgaben und die Deckungsmöglichkeiten in ihren Wechselbeziehungen zu der mutmaßlichen Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögens darzustellen.

Diese Verpflichtung gilt genauso für die Länder. Damals gab es den Optimismus, durch die fünfjährige Finanzplanung würde man Konjunkturschwankungen besser ausgleichen können und auch das Wirtschaftswachstum verstetigen.

Außerdem haben wir § 31 der Hessischen Landeshaushaltsordnung, der den Finanzminister dazu verpflichtet, im Zusammenhang mit der Vorlage des Entwurfs des Haushaltsplans sowie des Finanzplans dem Landtag über die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft zu unterrichten.

Dann haben wir noch § 50 des Haushaltsgrundsätzegesetzes. Dort heißt es in Abs. 3: „Die gesetzgebenden Körperschaften können die Vorlage von Alternativrechnungen verlangen.“ Eben diese Alternativrechnung ist es, meine Damen und Herren, die wir jetzt einfordern und die es unseres Wissens bisher so nicht gegeben hat. Wir denken, wir sollten versuchen, die vorhandenen Instrumente zu nutzen, um die Verschuldung der öffentlichen Hand einzudämmen.

Als neues Instrument kommt jetzt noch die Grundgesetzänderung hinzu, die im Frühjahr dieses Jahres beschlossen worden ist, die wir auch schon diskutiert haben. Danach sollen die Länder ab 2020 Haushalte ohne neue Schulden vorlegen.

Wenn wir also einen Strich darunter ziehen, stellen wir fest: Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen mit dem umfangreichen gesetzlichen Regelwerk, das ich Ihnen dargestellt habe, ist es nicht gelungen, öffentliche Verschuldungen einzudämmen. Daher ist unser Vorschlag, noch einmal zu versuchen, mit dieser Alternativrechnung einen Vorstoß zu machen, wie wir die Neuverschuldung künftig schrittweise zurückführen, und wie wir darstellen, wie sich die steuerpolitischen Rahmenbedingungen konkretisieren lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte daran erinnern: Wir haben einen amtierenden Finanzminister. Karlheinz Weimar ist zehn Jahre im Amt. Er hat es in keinem Jahr, in dem er einen Haushalt vorgelegt hat – ob er in der schwarz-gelben Regierung Finanzminister war oder in einer rein schwarzen Landesregierung –, einen Haushalt ohne neue Schulden vorgelegt. Auch in den vergleichsweise guten Jahren 2006 und 2007 gab es neue Schulden.

Ich möchte Ihnen noch einmal aus der Einbringungsrede des Finanzministers zum Haushalt 2007 zitieren. Dort erklärte der Finanzminister am 04.10.2006:

Trotz der deutlich verbesserten Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte darf dies über eines nicht hinwegtäuschen: Die Lage bleibt angespannt.

Etwas weiter in der gleichen Rede:

Eine echte Gesundung der Staatsfinanzen wird sich – das muss aufgrund dieser Zahlen jedem klar werden – selbst bei konsequentester Konsolidierung und weiterhin guten Steuereinnahmen erst mittelfristig einstellen.

Meine Damen und Herren, es war das gleiche Bild, Jahr für Jahr. Ein Haushalt ohne Schulden wurde immer auf die mittelfristige Sicht verschoben. Immer hieß es: Mittelfristig werden wir das Ziel der Begrenzung der Verschuldung schon erreichen – verschoben auf mittelfristige Sicht.

Genau so ist das wieder bei dem Antrag von CDU und FDP, der uns heute vorgelegt wird. Auch hier wird das Ziel der Sanierung der Haushalte wieder auf mittelfristige Sicht verschoben. Auf diese Weise werden wir das verfassungsrechtlich verankerte Ziel, bis 2020 ohne neue Schulden auszukommen, nie erreichen. Daher noch einmal unser Vorschlag, die Möglichkeiten des bisherigen gesetzlichen Instrumentariums zu nutzen und nach § 50 Abs. 3 Haushaltsgrundsätzegesetz eine Alternativrechnung vorzulegen.

Ich sage es noch einmal: Wir wollen die Neuverschuldung schrittweise zurückführen, und wir wollen die steuerpolitischen Rahmenbedingungen konkretisieren, die dafür sorgen, eine ausreichende Finanzierung der staatlichen Aufgaben darzustellen. Sie werden mir natürlich gleich vorhalten, ich hätte vergessen, dass wir uns in einer tiefen wirtschaftlichen Rezession befinden. Mitnichten, das habe ich nicht vergessen. Das müssen wir sehr genau im Auge behalten. Darum müssen wir auch genau planen, wie sich das Steuerwachstum in Zukunft entwickelt und wie wir die Einnahmen in diesem Land, in der Bundesrepublik und auch in Hessen, künftig konkretisieren.

Ich hatte es schon angesprochen: Wir haben Instrumente, die bisher nicht ausreichend genutzt wurden. Wir möchten eines, das bisher angestaubt war und in der Mottenkiste lag, zu neuem Leben erwecken und möchten Sie bitten, es anzuwenden und mit uns gemeinsam eine solche Alternativrechnung zu prüfen.

In ihrem Antrag stellen CDU und FDP wieder die alten Instrumente fest. Sie jammern uns wieder vor, der Länderfinanzausgleich sei so hoch wie lange nicht mehr, und er sei mit schuld an den hohen Verlusten in Hessen. Aber Sie sind auch gefordert, den Länderfinanzausgleich neu zu verhandeln. Davon lese ich überhaupt nichts in Ihrem Antrag. Da muss ein bisschen mehr dabei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Landesregierung hat eine Haushaltsstrukturkommission berufen. Diese Haushaltsstrukturkommission darf aber nicht zum reinen Streichorchester werden. Die Haushaltsstrukturkommission darf nicht dazu dienen, jetzt zu schauen, dass wir die öffentlichen Ausgaben auf das herunterfahren, was uns auf Bundesebene von Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer an Steuereinnahmen gerade noch übriggelassen werden soll. Die Haushaltsstrukturkommission muss auch die Aufgabe haben, zu definieren, was staatliche Aufgaben sind, die der Staat finanzieren will. Zumindest aus meiner Sicht ist es eine hohe Verpflichtung dieser Kommission, den Bedarf an Einnahmen zu definieren, die wir in Hessen brauchen, um einen Haushalt verantwortungsvoll zu gestalten. Hier erwarte ich von der Hessischen Landesregierung, dass sie sich an verantwortlicher Stelle einbringt, um die Einnahmen zu stabilisieren – ein Thema, das wir am heutigen Nachmittag noch diskutieren werden.

Ich komme zum Schluss. Unser Antrag zielt darauf ab, den Zielkonflikt zwischen Verschuldungsverbot, der Finanzierung staatlicher Aufgaben und der Steuerpolitik zu lösen. Aus diesen drei Aufgaben wollen wir einen tragfähigen Ausgleich finden. Wir möchten Sie bitten, mit uns in diesen Diskurs einzusteigen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth.