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19.11.2009

Sigrid Erfurth zu: Antrag der Fraktion CDU - Keine Neidkultur in Hessen: Vermögensteuer ablehnen

Herr Präsident, meine sehr geehrte Damen und Herren! „Keine Neidkultur in Hessen: Vermögensteuer ablehnen – Solidarfinanzierung der Leistungsträger endlich anerkennen“ – diese Überschrift muss man sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Herr Dr. Arnold, Sie haben hier in einer bewussten Vermischung von Vermögensteuer und Einkommensteuer das Bild malen wollen, man wolle Menschen, die ganz normal für ihren Lebensunterhalt arbeiten, fürchterlich abzocken. Aber darum geht es doch gar nicht.

Herr Dr. Arnold, Sie haben hier eine innerparteiliche Debatte in der SPD nutzen wollen, den politischen Gegner zu treffen, und Sie sind ganz weit in Ihre eigenen Reihen hinein vorgedrungen.

Lesen Sie nach, was Jürgen Rüttgers beim 7. Zukunftskongress der CDU in NRW gesagt hat. Er hat nämlich gesagt: „Der Markt schafft keine Solidarität, und deshalb brauchen wir sozialen Ausgleich. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Gesellschaft nicht auseinanderbricht.“

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU)

Ich finde, dass da der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der Ihrer Partei angehört, ausdrücklich recht hat. Sie stellen hier einen Antrag, der auf die Spaltung der Gesellschaft abzielt. Wer sind denn für Sie die Leistungsträger, Herr Dr. Arnold? Wer sind die Leistungsträger in der Gesellschaft? Ist es die Krankenschwester, die für weniger als 2.000 € netto Schichtdienst leistet?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Sind es alleinerziehende Eltern, die ihre Kinder trotz bescheidener Mittel zu anständigen Menschen erziehen? Sind es die zahllosen Menschen, die jeden Morgen – manchmal auch mitten in der Nacht – aufstehen und ganz normaler Berufstätigkeit nachgehen? Sind das für Sie Leistungsträger, oder sind sie es nicht? Oder fängt der Leistungsträger für Sie erst dann an, wenn jemand Vermögen von rund 500 Millionen Euro sein eigen nennen kann?

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– 500.000 Euro. – Das ist ungefähr der Betrag, den z. B. ver.di einmal in die Diskussion gebracht hat, als es um die Frage ging, ab wann Vermögensteuer mit einem persönlichen Freibetrag versehen, angesiedelt werden sollte. Ein Vermögen von mehr als 500.000 Euro war die Größenordnung.

(Zuruf des Ministers für Bundesangelegenheiten, Michael Boddenberg)

Da geht es nicht um das Einkommen, sondern um das Vermögen, das sie auf der hohen Kante liegen haben. Da haben Sie, Herr Dr. Arnold, auch ganz bewusst das Bundesverfassungsgericht in einer Weise zitiert, die nicht in Ordnung ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vermögensteuer ausgesetzt, weil die Bewertung von Grundvermögen nicht in Ordnung war. Warum war sie nicht in Ordnung? – Sie war zu niedrig. Die Bewertung von Grundvermögen war zu niedrig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Leif Blum (FDP): Stimmt doch gar nicht!)

Da hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass das nicht in Ordnung ist. Genauso war es. Lesen Sie die Entscheidung nach. Dann ist das abgeschafft worden, weil die Erhebungskosten zu hoch waren für den Ertrag, der damals zu erzielen war und weil man sich die Neuberechnung der Einheitsbewertung sparen wollte. Das war der Zusammenhang. Den müssen Sie dann auch schon richtig darstellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer ist also für Sie Leistungsträger? – Diese Frage muss die CDU beantworten. Sie haben sie nicht richtig beantwortet.

Was heißt für Sie eigentlich Solidarität? Ist Ihnen eigentlich noch im Bewusstsein, dass es Konrad Adenauer war, der die Aufbauleistung in der Bundesrepublik mit einer Vermögensabgabe finanzieren ließ?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Konrad Adenauer hat damals genau das getan, was heute auch gut wäre, nämlich die schwere Krise, die wir jetzt haben, mit starken Schultern besser zu meistern und z. B. durch eine beschränkte Vermögensabgabe Menschen, die mehr Vermögen haben als andere, zu Leistungen heranzuziehen, um die Folgen der Krise abzumildern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ist Ihnen denn das Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit völlig abhanden gekommen? – Ich fürchte: Ja.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der SPD: Ja! Die Frage ist beantwortet!)

Der Hort der Neidkultur müsste nach der Logik der CDU in Luxemburg liegen. 1965 hatten Deutschland und Luxemburg ungefähr den gleichen Anteil vermögensbezogener Steuern am Bruttosozialprodukt, nämlich 1,8 bzw. 1,7 Prozent. Heute, mehr als 40 Jahre später, hat Luxemburg einen Anteil von 3,3 Prozent vermögensbezogener Steuern am BIP, während Deutschland den anderen Weg gegangen ist. Wir haben nur noch 0,9 Prozent des BIP an vermögensbezogenen Steuern. Irgendetwas, meine Damen und Herren von der CDU, kann doch an Ihrer Logik nicht stimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin Erfurth, Sie müssen dann zum Schluss kommen.

Sigrid Erfurth:

Sogar die OECD, bestimmt kein Hort grüner Programmatik, hat an die Adresse Deutschland die Bitte gerichtet, Vermögensbezogene Steuern ausweiten. Meine Damen und Herren von der CDU, wenn Sie den Begriff der Volkspartei für sich noch in Anspruch nehmen wollen, dann dürfte das Stichwort soziale Gerechtigkeit für Sie kein Schimpfwort werden. Sonst hat Heiner Geißler vielleicht doch recht, wenn er sagt: Die CDU hat ihr ethisches Fundament aufgegeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth.