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31.01.2013

Sigrid Erfurth: Reform des Länderfinanzausgleichs

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Greilich, nach Ihrer Rede wird mir angst und bange um den Erfolg unserer Klage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP)

– Genau so. – Ich mache eine Anleihe bei meinem Kollegen Mathias Wagner (Taunus): Klagen muss man nicht nur wollen, man muss es auch können. – Man muss es auch gut begründen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie mit dem tollen Argument nach Karlsruhe ziehen, die Rheinland-Pfälzer würden mit unserem Geld Kindergartenplätze schaffen, die wir nicht einrichten können, sage ich: Das ist doch keine Begründung für das Bundesverfassungsgericht.

Da müssen Sie schon ein bisschen mehr Substanz liefern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben offenbar völlig vergessen, dass jedes Bundesland einzeln und in eigener Verantwortung dafür zuständig ist, über seinen Haushalt zu bestimmen.

(Zuruf des Abg. Ulrich Caspar (CDU))

– Sie merken, es hat mich schon sehr aufgeregt, was Herr Kollege Greilich hier vorgetragen hat.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Jedes Bundesland muss über seinen Haushalt frei bestimmen können. Jedes Bundesland ist nur seinen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber für das verantwortlich, was es in seinem Haushalt hat, und nicht für das, was die FDP-Fraktion oder der Bundesfinanzminister oder der Landesfinanzminister eines Nachbarlandes möchte. Das ist gegen den Föderalismus. Das ist gegen unsere Grundordnung. Ich glaube, mit dieser Begründung werden Sie in Karlsruhe glorreich untergehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben hier vorgetragen, Sie hätten versucht, sich dem Thema LFA mit Gutachten zu nähern.

(Zurufe der Abg. Dr. Frank Blechschmidt und Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Es ist durchaus zu begrüßen, dass Sie ein Gutachten in Auftrag gegeben haben, um für die Zukunft ein Stück vorzusorgen. Herr Kollege Müller, das meine ich ganz ernst und nicht polemisch. Nein, das meine ich durchaus ernst. Denn ich glaube, man muss über jeden ernst gemeinten Vorschlag zur Änderung des Länderfinanzausgleichs reden. Man muss schauen, wo die Schnittmenge liegt.

Wenn ich in das Gutachten schaue, dann muss ich sagen: Bei der Analyse sind wir noch sehr nah beieinander. Das haben wir hier schon oft miteinander besprochen. Das System muss vereinfacht werden. Das ist nichts Neues. Der LFA hat eine stark nivellierende Wirkung. Auch das ist unbestritten. Es fehlen Anreize, Steuermehreinnahmen in den Bundesländern zu behalten.

(Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

In der Analyse sind wir sehr nah beieinander. Aber dann muss man schauen, was man daraus macht.

(Zuruf des Abg. Ulrich Caspar (CDU))

Wenn ich dazu in Ihr Gutachten schaue, stelle ich fest: Das finde ich in Teilen nicht umsetzbar. Sie schlagen als Teil der Lösung vor, der Bund soll auf 4 bis 5 Milliarden € verzichten, und ein Bundesland wie Thüringen soll seinen individuellen Spitzensteuersatz auf ungefähr 57 % anheben, damit es bei den jetzigen Einnahmen bleibt. Für Bremen wären es gar 70 %. Halten Sie das für ein umsetzbares Konzept? Halten Sie das für eine wirklich tragende Klagebegründung in Karlsruhe? Ich muss sagen: Mir wird angst und bange um den Erfolg unserer Klage.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe der Abg. Ulrich Caspar und Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Sie dürfen doch die Klage nicht als Ausrede für Ihre ganz miserable Haushaltspolitik benutzen. Das versuchen Sie zunehmend.

(Zurufe von der FDP)

Sie brauchen einen Sündenbock, weil Sie die Länderfinanzen nicht in den Griff bekommen. Wenn Sie mir nicht glauben, dann zitiere ich einmal aus der PwC-Studie vom September des letzten Jahres. Da stellt PwC zur Finanzsituation der Bundesländer fest, dass Hessen im Vergleich der Flächenländer West nur noch neben dem Saarland den mit Abstand höchsten Zuschussbedarf hat. Hessen und das Saarland haben in den Flächenländern West den mit Abstand höchsten Zuschussbedarf.

Die Studie stellt auch fest, dass die Geberländer wie Hessen nach dem LFA über eine deutlich höhere Finanzmasse verfügen als z. B. das Nehmerland, das Sie immer gern zitieren, Rheinland-Pfalz.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Diese Studie mahnt, dass steuerstarke Länder wie Hessen viel, viel stärker konsolidieren müssen als andere Flächenländer West, um die Schuldenbremse einzuhalten.

Ich fasse das zusammen: Ich kann mir schon vorstellen, dass Ihnen sehr angst und bange wird, wie Sie diese Ansprüche erfüllen sollen. Mir ist klar geworden, dass Sie die Klage gegen den Länderfinanzausgleich nur als Vernebelungsstrategie nutzen, um von Ihren Versäumnissen abzulenken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Herr Müller, wir stehen nach wie vor zu dem Beschluss, den wir hier mit großer Mehrheit gefasst haben, erst einmal gut zu verhandeln, und wenn das nichts bringt, zur Klage zu schreiten. Ich habe aber große Zweifel, ob Sie die Verhandlungen ernsthaft geführt haben, die wir angemahnt haben.

(Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU) – Zurufe der Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP) und Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Pentz, ich habe neulich von der Ministerpräsidentin des Landes Thüringen Lieberknecht gelesen, man habe sich in der Ministerpräsidentenrunde verständigt, bis zum Sommer des Jahres 2013 Gespräche über die Veränderung des Länderfinanzausgleichs zu führen. Den Sommer 2013 haben wir noch nicht, und Sie haben sich da schon ausgeklinkt. Bayern hat sich schon viel eher ausgeklinkt. So viel zur Verhandlungsbereitschaft des Landes Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Wie dem auch sei: Wir haben gesagt, wenn die Verhandlungen scheitern, sind wir dafür, nach Karlsruhe zu gehen. – Aber ich wiederhole: Klagen muss man nicht nur wollen, man muss es auch können. Die Klage braucht eine gute Begründung, damit wir am Ende obsiegen und nicht viel schlechter dastehen als zuvor.

Es ist kein Geheimnis, dass auch in der letzten Verhandlungsrunde die Einnahmen der Kommunen eine große Rolle gespielt haben. Vor der letzten Verhandlungsrunde wurde die Finanzkraft der Kommunen zu 50 % für den LFA angerechnet, nach der letzten Verhandlungsrunde, die als großer Erfolg verkauft wurde, waren es 64 Prozent. Es gibt durchaus ernst zu nehmende Stimmen, die sagen: Wir müssen die Finanzkraft der Kommunen mit 100 Prozent anrechnen. Wie wollen Sie verhindern, dass das Bundesverfassungsgericht erkennt: „Die Finanzkraft der Kommunen muss viel stärker in den Länderfinanzausgleich einbezogen werden“? Wenn das passiert, dann gehören wir in Hessen zu den Verlierern der Klage. Denn wir haben – ich sage ausdrücklich: zum Glück – steuerstarke Kommunen in Hessen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Das sage ich Ihnen. Ich dachte, es sei einfach. Aber offenbar konnten Sie dem nicht folgen. Die Schlussfolgerung wäre, dass wir in Hessen dann am Ende schlechter dastehen als jetzt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Dr. Wagner, deshalb muss unsere Klagebegründung gut abgefasst sein, damit wir nicht in diese Falle laufen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Bisher höre ich nur Bekundungen, die anderen geben unser Geld aus, und wir wollen dafür sorgen, dass die Länder ein eigenes Steuerheberecht haben. Ich glaube nicht, dass das in der Klage zielführend ist. Deshalb ist es wichtig, dass uns hier vorgestellt wird, mit welcher Begründung das Land Hessen in die Klage zieht. Ich nehme an, dass nach mir oder am Ende dieser Debatte der Finanzminister reden wird und dass er uns möglicherweise ein Stück dazu erklären wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Wenn nicht, kündigen wir an, dass wir das sehr, sehr eng begleiten wollen. Denn wir wollen nicht in diese Falle laufen. Wir wollen, dass wir mit der Klage nicht nur Zeit verlieren und nur Zeit schinden, wie Sie es offenbar vorhaben.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Sie wollen Zeit schinden, bis Sie über die Bundestags- und Landtagswahl gehoben werden. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine Lösung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Wir wollen ein vernünftiges Konzept, das trägt.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Dr. Wagner, wir brauchen eine Lösung und keine Sprechblasen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte Sie zum Schluss daran erinnern, wie wir zum derzeit gültigen Kompromiss gekommen sind. Der derzeit gültige Kompromiss ist seinerzeit von dem damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch und vom damaligen Finanzminister Karlheinz Weimar verhandelt worden.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

In der FAZ vom 25.06.2001 rühmte sich Roland Koch noch, eine Lex Hessen durchgesetzt zu haben.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Am Tag vorher hatte er noch verkündet:

Das neue Modell ist ein sehr weitgehender Erfolg für das Land Hessen und eröffnet neue Gestaltungsspielräume in der Landespolitik. Neu sei es, dass künftig Anreize für erfolgreiches Wirtschaften gesetzt werden und damit ein größerer Teil des Zuwachses auch in Hessen bleibt.

(Zuruf der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Norbert Schmitt (SPD))

Das war damals das Lob für den ausgehandelten Kompromiss. Aber die Erfolgsmeldungen, die damals verkündet wurden, hatten leider keine lange Halbwertzeit. Denn dieses Erfolgsmodell ist sehr, sehr rasch in sich zusammengebrochen.

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Sigrid Erfurth:

Es wurde dann sehr, sehr schnell unter den Teppich gekehrt. Es wurde so getan, als habe man damit überhaupt nichts mehr zu tun. – Meine Damen und Herren, so sieht solide Finanzpolitik nicht aus.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Ich hoffe, wir sind viel solider bei der Vorbereitung der Klagebegründung. Ich bin gespannt auf die Erläuterungen dazu. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth.