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28.06.2012

Sigrid Erfurth: Europäischer Stabilitätsmechanismus und Fiskalpakt nach Verhandlungen zustimmungsreif

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Fiskalpakt ist ein wichtiges europäisches Thema. Es ist wichtig und richtig, dass wir im Hessischen Landtag darüber reden.

Auch wir GRÜNE sind der Meinung, dass man allein mit Sparen nicht aus der tiefen Krise der EU herauskommt. Wir haben der Bundeskanzlerin immer wieder vorgeworfen, dass sie ihren Teil daran trägt, dass sie zu spät handelt, und wenn sie handelt, sie immer zu kleine Schritte geht. Dieser Vorwurf bleibt nach wie vor richtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Deshalb war es uns auch so wichtig, die Rahmenbedingungen zu verhandeln, unter denen der Fiskalpakt ratifiziert werden kann. Wir haben, gemeinsam mit den Sozialdemokraten, eine sehr klar Verhandlungsagenda gehabt, und aus unserer Sicht waren wir auch erfolgreich.

Verhandeln heißt immer, aufeinander zuzugehen. Verhandeln kann leider nicht heißen – auch wenn wir uns mehr gewünscht hätten –, dass man 100 Prozent oder vielleicht auch 150 Prozent erreicht.

Thema Finanztransaktionssteuer. Seit Langem bohren wir GRÜNE an diesem dicken Brett. Nicht nur wir, auch andere, z. B. Attac hat sich das sehr früh auf die Fahnen geschrieben.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

– Attac hat es sogar im Namen, dass sie die Finanztransaktionsteuer umsetzten wollen.

Gegen alle Vernunft hat sich bisher die schwarz-gelbe Regierung im Bund wie auch hier in Hessen immer wieder dagegen ausgesprochen. Immer wieder hieß es, das kann so nicht funktionieren.

Auch die Vorschläge der EU-Kommission, die darauf abzielten, die Verlagerung von Umsätzen auf andere Handelsplätze möglichst auszuschließen, haben die schwarz-gelben Koalitionen im Bund und auch hier in Hessen sehr strikt abgelehnt.

Und jetzt? Jetzt haben wir im Rahmen der Verhandlungen des Fiskalpakts einen Durchbruch erzielt. Einen Durchbruch, den ich mir noch vor zwei Monaten gar nicht hätte vorstellen können. Die Vereinbarungen zwischen den Regierungsfraktionen sowie den GRÜNEN und den Sozialdemokraten sehen vor, eine Finanzmarkttransaktionssteuer – so heißt es richtig – nach einem zeitlich festen Fahrplan einzuführen, und zwar auch dann, wenn nicht alle EU-Mitgliedstaaten mitmachen. Eine Einführung kann also nicht mehr an dem Veto von Großbritannien scheitern.

Jetzt frage ich in Richtung der Kollegen von der Linkspartei: Was ist daran falsch?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Mit der Finanztransaktionssteuer haben wir es endlich auch erreicht, dass sich jener Sektor an den Kosten dieser Krise beteiligen soll, der sie ausgelöst hat, nämlich der Finanzmarktsektor. Ich frage: Was ist falsch, sich für ein solches Verhandlungsergebnis einzusetzen und dafür zu sorgen, dass mehr Steuern eingenommen werden? Was ist daran falsch?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Aus grüner Sicht glaube ich – und ich glaube auch, das ist auch aus Sicht der Sozialdemokraten so –: Das ist ein großer Erfolg für mehr Gerechtigkeit und Solidarität, der die Mühen der Verhandlungen gelohnt hat. Da unterscheiden wir uns möglicherweise von Ihnen: Wir wollen nämlich Ziele umsetzen und dafür streiten. Wir wollen sie beschreiben und Verantwortung übernehmen – und nicht immer nur die Probleme aufwerfen, ohne zu ihrer Lösung beizutragen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Thema nachhaltige Investitionen und Wachstum. Ja, es ist eine bittere Wahrheit, dass besonders notleidende Länder wie Griechenland und Spanien durch den verschärften Spardruck nicht mehr in der Lage waren, an sich sinnvolle Infrastrukturprojekte gegenzufinanzieren und sie umzusetzen. Damit hat sich dort besonders die Lage für junge Menschen weiter verschärft.

Es ist richtig und wichtig, den EU-Haushalt neu auszurichten und auf Wachstumsinvestitionen Wert zu legen, auf nachhaltige Investitionen, um hier gegenzusteuern.

Ich frage in Richtung Linkspartei: Was ist daran falsch? Was ist falsch daran, sich für einen solchen nachhaltigen Wachstums- und Beschäftigungspakt einzusetzen?

In den Verhandlungen zum Fiskalpakt konnte erreicht werden, dass die Mittel aus dem EU-Programm Connecting Europe Facility umgelenkt werden in Netzinfrastruktur: in Energienetze, Bahninfrastruktur und Breitband, also in nachhaltige Investitionen, die auch dafür sorgen können, dass wir nachhaltige Strukturen aufbauen können. Ohne diese Verhandlung zum Fiskalpakt wäre diese Bereitschaft zum Umsteuern nicht erreicht worden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was also war falsch daran, Verhandlungen zu nutzen, das Verhandlungsgewicht in die Waagschale zu werfen, um diese Ziele umzusetzen, die uns wichtig sind?

Den GRÜNEN und den Sozialdemokraten war es wichtig, für mehr nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung zu sorgen. Es hat sich auch gelohnt, denn wir konnten etwas herausholen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

– Natürlich streiten wir intensiv in der GRÜNEN Partei. Das ist ein ganz normaler Vorgang.

(Zuruf des Ministers Florian Rentsch, Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung)

Das stimmt. Das ist ein ganz normaler Vorgang, dass man sich intensiv auseinandersetzt, und das haben wir getan.

Frau Kollegin Wissler, ich verhehle es auch nicht, dass es uns lieber gewesen wäre, der Verhandlungserfolg wäre noch größer gewesen. Das ist völlig klar. Es wäre schön gewesen, wir hätten noch mehr erreicht. Es wäre schön gewesen, wir hätten auch noch einen Altschuldentilgungsfonds durchsetzen können. Das wäre sehr gut gewesen und hätte nach meiner festen Überzeugung auch der Europäischen Union sehr gut getan. Leider – das müssen wir uns eingestehen – war da unser Verhandlungsglück zu Ende. Die Bundeskanzlerin und die Regierungsfraktionen waren nicht bereit, auf diesen wichtigen Punkt einzugehen.

Das heißt aber nicht, dass unsere Arbeit damit zu Ende ist. Natürlich werden wir an diesem Ziel weiterarbeiten. Das ist doch völlig klar. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass all das, was immer von der grünen Seite in die Diskussion gebracht worden ist, ganz lange verteufelt wurde – Stichwort Finanztransaktionssteuer –, und am Ende hat man dann gesehen: Vielleicht geht es doch nicht ohne! Ich setze deshalb auf diesen Effekt und darauf, dass wir auch in Sachen Altschuldentilgungsfonds am langen Ende noch erfolgreich sein werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre besser gewesen, wir hätten ihn jetzt schon erreicht, aber – auch das gehört zur Wahrheit dazu – er war in dieser Verhandlungsrunde nicht umsetzbar.

Nun kann man natürlich sagen: Wir verhandeln gar nicht, weil uns die Ziele des Fiskalpakts insgesamt völlig suspekt sind. Das tun die Kollegen von der Links-Partei.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Daher stelle ich die Frage: Was ist schlecht daran, wenn sich Staaten dazu verpflichten, ihre Haushalte auszugleichen? Was ist schlecht an dem Prinzip, möglichst nicht über die eigenen Verhältnisse zu leben?

Wir GRÜNE bekennen uns ausdrücklich dazu, dass Einnahmen und Ausgaben in staatlichen Haushalten möglichst in der Balance sein sollen. Das bedeutet nicht immer undifferenziertes Sparen, wie Sie, Herr van Ooyen, das hier dargestellt haben, sondern das bedeutet die Verpflichtung, für Einnahmen zu sorgen. Beides muss stimmen. Es muss stimmen, dass man die Einnahmen und Ausgaben ins Gleichgewicht bringt, und dann muss man auch dafür sorgen, dass die Einnahmen stimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Für mich gehört auch dazu, dass Staaten wie beispielsweise Griechenland in der Pflicht sind, für ein funktionierendes Steuersystem zu sorgen und danach handeln, dass auch vermögende Menschen in Griechenland ihren Teil dazu beitragen, dass die Staatskrise abgebaut wird. Auch das gehört dazu. Das muss passieren. Wir brauchen ein funktionierendes Steuersystem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr van Ooyen, von daher kann ich Ihre Schwarzmalerei, es werde nur gespart und wir würden uns dem Weltuntergang entgegensparen, so nicht teilen. Wir haben auch die Pflicht, dafür zu sorgen, durch den Ausgleich der Haushalte mehr Einnahmen zu erbringen. Genau an dem Punkt setzen die Verhandlungen für die Finanztransaktionssteuer an. Wir wollen, dass mehr Geld im System ist. Wir haben so verhandelt, weil wir verantwortlich handeln wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insgesamt kann ich am Tag vor der Entscheidung im Bundestag und im Bundesrat für meine Fraktion sagen: Sowohl der ESM als auch der Fiskalpakt sind nach den Verhandlungen zustimmungsfähig. Wir fordern die Landesregierung auf, im Bundesrat dieser Ratifizierung zuzustimmen.

Damit ist die Arbeit nicht zu Ende. Ich habe es bereits ausgeführt. Es ist ein erster Schritt, weil wir in Sachen Altschulden und Tilgungsfonds weiterarbeiten müssen. Wir brauchen aber ein Signal für die Sicherheit und den Fortbestand des Euro in Europa. Ich hoffe, dass dieses Signal durch eine breite Zustimmung sowohl im Bundestag, Bundesrat als auch heute im Hessischen Landtag gegeben werden kann. Die Eurozone hat es bitter nötig. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth.