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18.05.2016

Sigrid Erfurth: Deutschland-Rente – demografischer Wandel verlangt alternative Vorsorgemodelle

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zur Kollegin Beer halte ich die Initiative für die Deutschland-Rente für ein ausgesprochen kluges Projekt der schwarz-grünen Landesregierung.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Das finden nicht nur Mitglieder der Regierungsfraktionen, auch andere gesellschaftliche Gruppen haben den Vorstoß der Minister Dr. Thomas Schäfer, Tarek Al-Wazir und Stefan Grüttner als wichtigen Debattenbeitrag gewürdigt. So haben z. B. die Verbraucherzentralen in Hessen erklärt, dass sie den Aufschlag der drei hessischen Minister als wichtigen Beitrag für eine gesamtgesellschaftlich erforderliche Debatte begrüßen und diesen Prozess auch mit Online-Umfragen zu unterstützen.
Aus den Kreisen der SPD weiß ich, dass auch dort darüber nachgedacht wird, wie man altersfeste und armutsfeste Vorsorge betreiben kann. Daher bin ich dem Kollegen Decker auch durchaus dankbar für seinen abgewogenen Beitrag; denn ich glaube, wir müssen gemeinsam in diese Debatte einsteigen
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
und schauen, wie wir die Altersversorgung demografiefest hinbekommen und die Generationengerechtigkeit im Blick halten, auf die Frau Arnoldt hingewiesen hat.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In der Bundesrepublik haben wir drei Säulen der Altersversorgung: Zum einen die Rente aus der gesetzlichen Altersversicherung, zum zweiten die betriebliche Altersversorgung und zum dritten die private Altersvorsorge. Insgesamt führen aber diese drei Säulen, auf denen das gesamte System ruht, nicht dazu, dass unser Altersversorgungssystem demografiefest ist. Diese Frage bewegt viele Menschen. Es gab schon in der Vergangenheit mehrfach Versuche, die private Säule zu stärken und auf der einen Seite eine Altersversorgung zu erhalten, die vor Altersarmut schützt und die auf der anderen Seite dafür sorgt, dass nicht immer weniger erwerbsfähige Menschen immer mehr Rentnerinnen und Rentner versorgen müssen.
Ich persönlich gehöre zu den geburtenstarken Jahrgängen, von denen Lena Arnoldt eingangs gesprochen hat. Schon zu Zeiten meiner Berufstätigkeit in der niedersächsischen Finanzverwaltung habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, wie meine Altersversorgung einmal aussehen würde, wenn ganze Alterskohorten gemeinsam mit mir in den Ruhestand träten. Wie viele meiner Altersgenossinnen und -genossen habe ich mit sehr gemischten Gefühlen auf die Absenkung des Versorgungsniveaus geblickt – das war sozusagen die Hochzeit der Phase, in der die Versorgung immer weiter abgesenkt wurde. Rein rational war mir natürlich völlig klar, dass an dieser Absenkung kein Weg vorbeiführen würde, weil eben immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter für eine auskömmliche Versorgung der Rentnerinnen und Rentnern würden sorgen müssen.
(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Ich habe sehr intensiv – natürlich gemeinsam mit anderen, die von der gleichen Frage betroffen waren – nach bezahlbaren Wegen gesucht, um diese erwartete und prognostizierte Lücke zu schließen. Es war gar nicht so einfach, weil Versicherungsverträge auch für Finanzbeamtinnen nicht immer auf den ersten Blick völlig verständlich, transparent und auch vergleichbar sind.
(Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)
Die Riester-Rente, von der Herr Decker sprach, die das sinkende Versorgungsniveau abpuffern sollte, war für mich persönlich wie auch für viele andere trotz der staatlichen Förderung nicht sonderlich attraktiv.
Damit habe ich, glaube ich, einen Teil des Problems beschrieben, an dem die Säule der privaten Altersversorgung krankt. Sie ist intransparent, sie ist nicht auf Anhieb verständlich, und sie ist auch nicht für alle Menschen hinreichend attraktiv. Die Riester-Rente war der Versuch, Geringverdienerinnen und Geringverdiener zu stärken und sie in das System der privaten Vorsorge einzubeziehen. Das hat auch der Kollege Decker hier so beschrieben.
Leider hat die Riester-Rente das Versprechen, Geringverdienerinnen und Geringverdiener angemessen einzubeziehen, nicht völlig erfüllt. Nur etwa 20 Prozent der Menschen mit geringem Erwerbseinkommen haben sich für einen Riester-Vertrag entschieden, und das liegt zum Teil sicher auch daran, dass dieses Modell einer privaten Zusatzversicherung mit der Versicherungsberatung daheim im Wohnzimmer, mit dem Versicherungsberater, der an einem Vertrag Provision verdient, nicht hinreichend gut funktioniert hat. So zeigen auch Untersuchungen der Verbraucherverbände in Baden-Württemberg, dass nahezu neun von zehn Verbraucherinnen und Verbrauchern Verträge empfohlen wurden, die auf ihren Fall nicht passen. Das finde ich eine erschreckende Zahl, dass nämlich mit Blick auf Verträge beraten wird, die tatsächlich keine Antwort auf das Altersarmutsrisiko und auf die angemessene Versorgung im Alter geben.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Daher ist es der richtige Ansatz, darüber nachzudenken, ein auf Selbstkostenbasis betriebenes öffentliches Produkt zu entwickeln, das keine Überschüsse für Provisionen erwirtschaftet, das keine sonstigen Overheadkosten erbringen muss, das einfach verständlich ist und für alle gleich funktioniert. Das ist aus Sicht des Verbraucherschutzes ein riesiger Vorteil.
Es ist daher richtig und logisch, ein verständliches und einfach zu handhabendes Produkt zu entwickeln, gerade in der Form eines Staatsfonds, in den möglichst viele Menschen einzahlen und zu dem es auch staatlich finanzierte Zulagen gibt. Ein solches Modell würde viele verunsicherte Menschen abholen, die wissen, sie müssen etwas für ihre Altersversorgung tun, sie müssen sich kümmern, die diesen Gedanken aber immer wieder auf die Seite schieben, weil es kompliziert ist und man sich auch Schöneres vorstellen kann, als sich durch das Versicherungschinesisch in dicken Versicherungsverträgen durchzuarbeiten, und auch nicht so richtig den Dreh hat, sich damit zu beschäftigen.
Daher ist es auch nur konsequent, mit der Deutschland-Rente von der bisherigen Opt-in-Lösung auf eine Opt-out-Lösung umzustellen. Bisher entscheidet sich jeder Bürger, jede Bürgerin aktiv dafür: Ja, ich will eine private Zusatzversicherung machen mit der berühmten Beratung im Wohnzimmer, wo man sich dann durch Versicherungsverträge kämpfen muss und das auch nicht immer auf Anhieb versteht.
Das Modell der Deutschland-Rente sieht als wesentlichen Beitrag eine Opt-out-Lösung vor. Das heißt, jeder und jede, der oder die nicht dabei sein will, muss aktiv widersprechen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen: Das ist der richtige Weg. Dann steigt die Quote derer, die für das Alter vorsorgen, immens an. Dann sind Versorgungsquoten um die 90 Prozent erreichbar.
Auch die Erfahrungen mit dem bisherigen Modell der Opt-in-Lösung zeigen, dass sich gerade junge Menschen nicht im erforderlichen Maße mit der Altersvorsorge auseinandersetzen. Es ist auch viel schöner, im jugendlichen Alter von 20 Jahren über andere Dinge nachzudenken als darüber: Was habe ich an Geld übrig, wenn ich 65, 70 oder 80 Jahre alt werde? Womit will ich dann meinen Lebensunterhalt bestreiten? – Das schiebt man immer gerne weg. Es ist aber gerade wichtig, auch in jungen Jahren privat vorzusorgen und einen Teil der Altersversorgung dadurch abzudecken, damit man angemessene Quoten erzielt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Damit leistet der Vorschlag für die Deutschland-Rente einen wichtigen Beitrag gegen Altersarmut, weil man schon zu Beginn des Berufslebens auf eine aktive Auseinandersetzung mit den Zeiten des Ruhestandes hingewiesen wird und man es nicht einfach wegschieben kann durch Unterlassen oder sonstiges Handeln. Vielmehr ist man aktiv zu Beginn des Berufslebens gefordert, zu sagen: Ich will keine zusätzliche Vorsorge fürs Alter. – Ich glaube, dass das der Punkt ist, an dem man einen Schalter umlegen kann.
Es ist über Renditen gesprochen worden. Ja, daran kranken alle Versicherungen, egal, welche Sie nehmen, dass Renditen nicht immer gut sind. Wir haben in Hessen eine bescheidene eigene Erfahrung, nämlich über unseren Vorsorgefonds, den wir in Hessen für die Beamtinnen und Beamten anlegen. Dort haben wir durchaus attraktive Renditen, weil wir einen Teil in Aktien anlegen. Wir können also in unserem eigenen Hause sehen, dass das gar nicht so unattraktiv ist, wenn man es klug macht, wenn man nicht darauf setzt, Frau Beer, über An- und Verkäufe Renditen zu erzielen, sondern auf langfristige Anlagen setzt. Das ist das Geheimnis, mit dem man ein bisschen mehr an Rendite herausholen kann.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Meine Damen und Herren, der Vorschlag für die Deutschland-Rente ist ein wichtiger Beitrag zur Debatte über ein gesellschaftliches Problem, wie wir eine armutsfeste Altersversorgung mit dem Ausbau der dritten Säule der Rentenversicherung in den Griff bekommen. In diesem Sinne erwarten wir GRÜNE viele weitere Anregungen und gute Debattenbeiträge, um dieses Problem in den Griff zu bekommen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth.

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