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04.03.2009

Mürvet Öztürk zur Einführung der islamischen Religionskunde und Ermöglichung des Schulbesuchs von Kindern ohne gesicherten Aufenthaltsstatus

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, haben heute die Themen – islamischer Religionsunterricht bzw. islamischer Religionskundeunterricht an hessischen Schulen sowie den Schulbesuch für Kinder ohne legalen Aufenthaltsstatus ermöglichen – zum Setzpunkt gemacht, da wir hier die Initiative der jetzigen Landesregierung bzw. der Kultusministerin nachdrücklich unterdrücken – nein, unterstützen – möchten.

(Beifall und Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Die Unterdrückung ging eher in die Richtung mancher Stimmen der Koalition, doch heute möchte ich mich auf die Unterstützung der Initiative der Kultusministerin beschränken.

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir uns diesem Thema widmen. Wenn man sich die Protokolle anschaut, wird man feststellen, dass dies heute nicht zum ersten Mal ein Thema ist.

Ich möchte nur ganz kurz auf das Thema Kinder ohne legalen Aufenthaltsstatus eingehen. Sie alle werden noch wissen, dass wir hierzu im Landtag im vergangenen Jahr einen Parlamentsbeschluss getroffen haben. Es ist uns auch allen sehr wichtig, dass dies, wenn in diesem Land Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus leben, nicht auf Kosten der Kinder geht, denn die Kinder sind unsere Zukunft. Menschenrechte sind wichtig; das Recht auf Bildung ist wichtig. Daher begrüßen wir es sehr, dass die Landesregierung in diesem Bereich einen ersten Schritt machen und den Parlamentsbeschluss aus dem vergangenen Jahr umsetzen will.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, trotzdem noch zwei Worte zur Situation der Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Es gibt verschiedene Ursachen, weshalb Menschen zu uns kommen und weshalb sie ihren legalen Aufenthaltsstatus verlieren. Das liegt zum Teil an der restriktiven Ausländerpolitik und zum Teil an deren unglücklicher Situation. Es handelt sich manchmal um Menschen, die Bürgerkriegsflüchtlinge sind, um Asylbewerber, um Frauen, die Opfer von Zwangsprostitution oder Menschenhandel geworden sind, oder ganz einfach um Studierende, die nach dem Studium bei uns bleiben und ihr Leben hier fortsetzen wollen.

Diese Menschen sind größtenteils von der Teilhabe am öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sie haben Angst vor der Entdeckung und Abschiebung. Wenn diese auch noch Kinder haben, wird diese Situation noch dramatischer.

Man schätzt beispielsweise die Anzahl der Kinder, die in Frankfurt keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, auf 4.000 bis 5.000. Es kann nicht sein, dass wir diese Menschen so behandeln, als wären sie hier rechtlos. Wir haben in Deutschland Verträge ratifiziert, wo wir sagen: Menschenrecht ist ein universales Recht, und Bildung ist ebenfalls ein Menschenrecht.

Daher möchte ich hier noch einmal wiederholen: Wir sind in Hessen mit dieser Situation nicht allein. Es gibt ganz viele Beispiele. Bayern und Hamburg haben dies beispielsweise so gelöst, dass diese gesagt haben: Allen Kindern soll – unabhängig vom Aufenthaltsstatus – die Schulpflicht ermöglicht werden. Ich freue mich sehr, dass die Landesregierung diesem Beispiel heute anscheinend positiv folgen möchte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, so viel musste zu den Kindern, die keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, meiner Meinung nach gesagt werden, weil mir das sehr am Herzen liegt.

Nun zu dem anderen Thema, das wir im Rahmen unseres Antrags heute auch diskutieren wollen: Es ist – wie ich hoffe – die baldige Einführung eines bekennenden islamischen Religionsunterrichts bzw. einer – das sage ich deutlich – übergangsweise eingeführten islamischen Religionskunde als reguläres Schulfach. Es ist im Lande Hessen hierzu in den vergangenen Jahren leider kein konstruktiver Schritt getan worden, obwohl wir in vielen anderen Ländern, wie NRW, Niedersachsen, Bayern, Baden-Württemberg und sogar in Rheinland-Pfalz, schon längst Modellversuche haben, wo man sich entweder auf die bekennende Weise des Religionsunterrichts oder eben auf einen islamkundlichen Religionsunterricht verständigt hat. Aber wichtig ist, dass man den Kindern in diesen Ländern – auf der Grundlage der Verfassung – überhaupt eine Möglichkeit gibt, in der Schule in ihre Religion eingewiesen zu werden und ganz früh mit moderner Religionspädagogik an die Religion herangeführt zu werden. Wo zeichnet sich aber in diesem Zusammenhang ein Fehlen ab? – Leider im Land Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meiner Meinung nach lohnt es sich bei der Frage, wie wir in Hessen damit umgehen wollen, auch auf die Erfolge und Misserfolge in anderen Ländern zu schauen. Wenn wir heute behaupten, es laufe alles optimal, dann stimmt das nicht. Deswegen ist es wichtig, dass wir das Rad nicht neu erfinden, sondern uns ganz gezielt fragen: Was wird debattiert? Worum geht es? Geht es hier um die Gnade bzw. Güte einer Landesregierung? – Nein, es geht um ein verfassungsmäßig verankertes Grundrecht.

Meine Damen und Herren, in Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes ist ganz klar festgeschrieben, dass der Religionsunterricht Bestandteil des Lehrfachs an normalen Schulen ist und dass die Religionsgemeinschaften aufgrund bestimmter weiterer Voraussetzungen einen Rechtsanspruch haben, diesen Religionsunterricht auch zu erteilen. Das heißt, dass in der Bundesrepublik das Recht auf konfessionsgebundenen Religionsunterricht unter staatlicher Aufsicht zweifellos ein Grundrecht einer jeden Religionsgemeinschaft ist. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal unterstreichen.

Wenn wir uns die Lage anschauen, werden wir feststellen, dass es in Deutschland eine historische Begründung dafür gibt, weshalb wir in Deutschland gesagt haben, dass Religionsgemeinschaften bekennenden Unterricht nur auf der Grundlage der Verfassung und unter der staatlichen Aufsicht der Schulen erteilen dürfen. Es ist richtig, dass dieses Grundrecht gleichermaßen und allen Religionsgemeinschaften zusteht. Dieses Recht kann aber nur auf der Grundlage der Verfassung in Anspruch genommen werden. Es ist eine Verantwortung aufgrund der Pluralität unserer Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, in Hessen haben wir neben der evangelischen und der katholischen Kirche bisher die syrisch-orthodoxe Kirche, die ihren Kindern Religionsunterricht gibt, die Mennoniten, die jüdischen Gemeinschaften und die unitarischen Religionsgemeinschaften. Was ist mit den muslimischen Kindern? Die Zahl wird auf 60.000 Personen geschätzt und trotzdem haben wir heute kein adäquates Angebot. Wir haben keine Möglichkeit, sie in das Unterrichtsfach in ihrer bekennenden Religion einzubinden.

Ich freue mich, dass sich die neue Landesregierung dieser Realität stellen möchte. Ich freue mich auch, dass die Landesregierung hier endlich einen konstruktiven Schritt nach vorne gehen möchte. Daher haben wir heute diesen Antrag gestellt. Ich hoffe, dass dieser Antrag heute eine Mehrheit finden wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Seit Jahren gibt es die Forderung von islamischen Religionsgemeinschaften, von Vereinen und Verbänden, die unbedingt den Religionsunterricht eingeführt haben wollen. Diese Forderung gibt es aber auch von christlicher Seite. Wenn wir sagen: „Gleichheit der Religionen“, dann ist es wichtig, dass wir auch die Gleichheit der Religionen beispielsweise in ihrer Grundgestaltung ermöglichen. Wenn wir uns andere Beispiele in NRW oder in Niedersachsen anschauen, müssen wir auch auf die Erfolge schauen. Im Land Nordrhein-Westfalen ist seit 1999 nach und nach in 120 Schulen der islamische Religionskundeunterricht eingeführt worden. Heute werden ungefähr 8.000 Schülerinnen und Schüler in der islamischen Unterweisung bzw. in Islamkunde auf Deutsch unterrichtet.

Um auch das hier kurz zu erwähnen: In Niedersachsen läuft ein Modellprojekt seit 2003/2004. In 26 Grundschulen wird Religionsunterricht erteilt, und zwar bekennender Religionsunterricht. Dadurch werden 1.400 Schülerinnen und Schüler mehr oder weniger in ihre bekennende Religion eingewiesen. Auf jeden Fall werden sie dazu befähigt, in deutscher Sprache etwas über ihre Religion zu erzählen und ihre Religion in deutscher Sprache zu erfassen.

Der Streit der letzten Jahre – auch darauf möchte ich kurz eingehen –, dass es keinen zentralen Ansprechpartner gibt, ist nicht neu und nicht nur auf Hessen bezogen. In anderen Ländern hat man durch runde Tische, durch die Gründung eines Rates oder einer Art Islamkonferenz auf Länderebene versucht, kurz- und mittelfristig Interimslösungen zu finden. Nur das kann auch unser Weg sein. Wir müssen in Hessen ebenfalls versuchen, kurz- oder mittelfristig Wege zu gehen. Wir müssen meiner Meinung nach versuchen, durch einen runden Tisch, wie das von der Regierung vorgeschlagen wurde, das Fehlen eines zentralen Ansprechpartners vorerst zu umgehen.

Es kann aber nicht sein, dass wir bis zur Klärung der Ansprechpartnerfrage nicht versuchen, wichtige Fragen zu lösen, die uns seit Jahren verfolgen. Dazu gehört, wie und wo z. B. Lehrkräfte ausgebildet werden sollen, oder beispielsweise nach welchen Kriterien Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden müssen. Denn es ist wichtig, dass die Lehrerinnen und Lehrer nach einer modernen Religions- und didaktischen Pädagogik ausgebildet werden. Es muss klar sein, dass die Kinder in den Schulen Werte wie Gleichberechtigung von Mann und Frau vermittelt bekommen. Es ist klar, dass das in deutscher Sprache unterrichtet werden muss. All diese Fragen kann man ohne Probleme an einem runden Tisch, wenn man sich zusammensetzen würde, erörtern und für die Umsetzung einen ersten konstruktiven Vorschlag machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Mürvet Öztürk:

Es ist meine Vermutung, dass wir auch nicht darum herumkommen werden, an der Universität einen Lehrstuhl einzurichten. Denn wir müssen die Lehrerinnen und Lehrer, die wir hier ausbilden, unabhängig von anderen Staaten, unabhängig von anderen Religionsministerien ausbilden. Es kann nicht sein, dass in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder keinen Unterricht von Lehrerinnen und Lehrern erhalten, die hier auf Grundlage unserer Verfassung ausgebildet worden sind. Die Unterrichtsmaterialien müssen ebenfalls hier erstellt werden. Das sind alles Fragen, die wir gerne in einem Ausschuss en detail diskutieren können. Die beiden Anträge der Fraktionen von SPD und von CDU/FDP zielen in diese Richtung.

Wir als GRÜNE wollen heute aber ein Signal an die Menschen senden. Wir wollen gerne durch diesen Entschließungsantrag zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wollen zeigen, dass auch die Regierung auf dem richtigen Weg ist. Von daher bitte ich Sie, diesem Antrag zuzustimmen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sind Sie für Islamkunde oder für Religionsunterricht? – Günter Rudolph (SPD): Der Herr Irmer fehlt! Herr Irmer könnte noch etwas lernen!)

– Herr Wagner, wenn Sie den Antrag lesen, werden Sie feststellen, dass alles darinsteht. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Öztürk, danke sehr.

(…)

Mathias Wagner:

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ministerin rief mir gerade zu: nur freundliche Sachen! – Frau Ministerin, daran will ich mich Ihnen gegenüber halten. Wir unterstützen Sie heute mit unserem Antrag.

Ich will drei Anmerkungen machen. Wenn wir heute über die Einführung eines islamkundlichen oder eines Religionsunterrichts in Islam an Schulen reden, muss man auch über das Verhältnis von Kirche und Staat reden und darüber, wie sich Religionsunterricht zur Trennung von Kirche und Staat in unserem Land verhält. Das ist eine Debatte, die in allen Parteien geführt wird, wozu es sehr differenzierte Positionen in allen Parteien gibt, so auch in meiner Partei.

Allerdings muss man feststellen, diese Frage ist bis auf Weiteres entschieden. Es hilft ein Blick in das Grundgesetz. Es hilft ein Blick auf das Konkordat, sodass sich diese Frage in dieser aktuellen Debatte des Landtages nicht stellt. Die Frage, die sich stellt, ist die nach Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Wenn es so ist, dass wir evangelischen und katholischen Religionsunterricht an unseren Schulen haben, dann ist es ein Gebot der Gleichbehandlung und der Glaubensfreiheit, dass es auch Islamunterricht an unseren Schulen in Hessen gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt wird es spannend: Wie kommen wir dort hin? Es wurde vonseiten der Ministerin und von CDU und FDP gesagt: Wir brauchen einen Ansprechpartner, mit dem wir eine vergleichbare Vereinbarung wie mit den christlichen Kirchen zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichts treffen können.

Meine Damen und Herren, das ist ausdrücklich richtig. Die Frage ist nur, mit welchem Ziel man dieses Argument benutzt. Benutzt man dieses Argument im ehrlichen Willen, zu einer Lösung zu kommen, im ehrlichen Willen, einen islamischen Religionsunterricht an unseren Schulen einzuführen, oder benutzt man dieses Argument weiter, um Herrn Irmer und der Linie von der damaligen Kultusministerin, Frau Wolff, fortzusetzen, dass man nichts tun muss?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Das ist die entscheidende Frage. Es spricht auch Bände, dass Herr Irmer an dieser Debatte überhaupt nicht teilnimmt, seit sie begonnen hat.

(Zuruf der Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) und Florian Rentsch (FDP); Weitere Zurufe von der CDU)

Das ist die entscheidende Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Benutzt man das Argument, weil man etwas erreichen will, oder benutzt man es, weil man nichts tun will?

(Zurufe von der CDU)

Herr Kollege Bellino, was machen wir, wenn es uns nicht gelingt, einen solchen Ansprechpartner zu finden? Da ist die ganz klare Position: Dann brauchen wir einen islamkundlichen Unterricht an unseren Schulen – genau in dieser Reihenfolge.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

– Herr Kollege Wagner, wenn Sie dazwischenrufen: „Das sagen wir doch!“ – für diesen Zwischenruf bin ich Ihnen sehr dankbar –,

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

wenn das so eindeutig ist, dann bitte ich Sie, dem folgenden Antrag meiner Fraktion zuzustimmen. Er hat den folgenden Wortlaut: Der Landtag begrüßt nachdrücklich das Vorhaben der Landesregierung, islamischen Religionsunterricht bzw. islamische Religionskunde als Unterrichtsfach an den Schulen einzuführen. – Wenn Sie so eindeutig in Ihrer Position sind, dann können Sie einem Antrag einer Oppositionsfraktion, der die Regierung lobt, zustimmen. Mehr Zustimmung können Sie von uns nicht erwarten. Mehr wird es auch nicht geben. Der nächste Schritt ist, dass wir die Regierung selbst stellen.

(Lachen bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))

Aber mehr als das, dass eine Oppositionsfraktion sagt, sie unterstützt die Landesregierung, kann es nicht geben. Wenn Sie wirklich inhaltlich kein Problem damit haben, dann können Sie jetzt bei der folgenden Abstimmung zeigen, dass auch Sie Frau Kultusministerin Henzler auf diesem Weg unterstützen. Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tun es. Frau Ministerin, viel Erfolg. Setzen Sie diesen Weg durch. Setzen Sie es um. Unsere Unterstützung haben Sie. Wir helfen gern, sollte es Probleme in der Koalition geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)