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06.10.2011

Mürvet Öztürk: Wahlrecht ist Staatsbürgerrecht

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sprechen heute schon wieder über das Thema Integration, was mich persönlich natürlich sehr freut – meine Fraktion auch –, denn wir betrachten das Thema Integration seit Jahren als einen festen Bestandteil und auch als einen Schwerpunkt unserer politischen Arbeit. Seit Jahren reden wir nicht nur über Integration, sondern wir leben und erleben sie tagtäglich. Seit Jahren befassen wir uns mit den Herausforderungen einer immer bunter und vielfältiger werdenden Gesellschaft und haben Ihnen bereits im Sommer unser Integrationskonzept vorgestellt – grün eingebunden, denn Grün ist die Hoffnung im Lande Hessen.

In diesem Integrationskonzept haben wir Ihnen drei Leitlinien dafür vorgestellt, wie Integrationspolitik verstanden werden kann: Vielfalt als Bereicherung, Teilhabe für alle, Integration als Aufgabe. In unserem Integrationskonzept haben wir zehn Themenfelder ausführlich beschrieben, in denen diese Vielfalt einer gezielten Gestaltung bedarf, damit sie positiv und produktiv wirken kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns allen zur Erinnerung sage ich noch einmal:  Den Deutschen gibt es genauso wenig wie  den Ausländer. Ziel einer modernen Integrationspolitik muss es sein, vom „Ihr“ zum „Wir“ zu gelangen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines der Gestaltungsfelder, die wir in unserem Konzept beschrieben haben, ist die Integration in Staat und Gesellschaft. Das bedeutet auch die Integration durch politische Partizipation; denn die Integration lebt davon, dass die Menschen mit Migrationshintergrund aktiv am politischen Leben teilhaben und auf der kommunalen, der Landes- und der Bundesebene in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Aber, Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich möchte eines sagen: Es ist ein Unterschied, ob man ein kommunales Wahlrecht oder ein allgemeines Wahlrecht auf Landes- und Bundesebene fordert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Demonstrativer Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Diskussion, die in den letzten Wochen dazu geführt worden ist, geht meiner Meinung nach am Kern des Problems vorbei; denn damit eröffnen wir eine Scheindebatte und lösen kein einziges Problem der Menschen mit Migrationshintergrund, die politisch teilhaben wollen.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir haben das Problem, dass wir in Deutschland noch mehr darüber nachdenken müssen, wie wir die Menschen an der Politik beteiligen und sie für sie gewinnen können. Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen.

Viele Menschen haben zwar das Wahlrecht, gehen aber nicht wählen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund gehen nicht wählen, weil sie nicht dort abgeholt werden, wo sie sich befinden. Das heißt, wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir die Politik transportieren, wie wir unsere politischen Parteien öffnen, damit die Menschen dort teilhaben können, und wie wir die gesetzlichen Hürden beseitigen, damit die Menschen die Möglichkeit haben, politisch zu partizipieren.

Da wir schon einmal bei den gesetzlichen Hürden sind: Wir GRÜNE sind dafür, dass wir uns auf Probleme konzentrieren, die wir mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag lösen können: die Erleichterung der Einbürgerung, die Hinnahme der Mehrstaatlichkeit und die Aufhebung der Optionspflicht. Auf diese drei Punkte müssen wir uns konzentrieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Demokratietheoretisch müssen wir uns fragen, wie wir als Politikerinnen und Politiker mit der Situation umgehen wollen,

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

dass in manchen Städten und Gemeinden im Lande Hessen die Zahl derer, die nicht wählen und nicht politisch teilhaben können, stetig steigt. Von daher ist es erst recht wichtig, dass wir uns auf das konzentrieren, was wir machen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch eine Bemerkung an die Adresse der CDU-Fraktion richten: Herr Dr. Wagner hat gesagt, dass die Einbürgerung am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses steht. Dazu möchte ich sagen, dass Herr Dr. Wagner von der Realität dieser Gesellschaft und vom Kern der Integrationspolitik nichts verstanden hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Es gibt Tausende von Menschen in unserem Land, die zwar sehr gut integriert sind und die deutsche Sprache perfekt beherrschen, aber aus irgendwelchen Gründen nicht die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen wollen. Diese Menschen sind genauso gut integriert wie diejenigen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Umgekehrt gibt es Tausende von Menschen, die sehr gut integriert sind und hier auf der Basis des Grundgesetzes friedlich leben, aber niemals die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten werden, weil sie die Sprache nicht ausreichend beherrschen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Es gilt, auch diesen Personen Respekt zu zollen; denn sie nehmen seit Jahren an unserer Gesellschaft produktiv teil und erziehen ihre Kinder hier.

Man darf den Integrationserfolg also nicht an die Staatsbürgerschaft koppeln. Das wäre falsch und an der Realität dieser Gesellschaft vorbeigedacht. Konzentrieren wir uns von daher also auf die wesentlichen Punkte – Hinnahme der Mehrstaatlichkeit, Erleichterung der Einbürgerung und Aufhebung des Optionszwangs –, damit wir von einem „Ihr“ zu einem „Wir“ gelangen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk.