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29.04.2015

Mürvet Öztürk: Menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede ein bisschen anders beginnen, als es üblich ist, und man es in dieser Angelegenheit zwischen der Opposition und der Regierungsfraktionen vielleicht gewohnt ist. Ich möchte meine Rede mit der Würde des Menschen beginnen, denn „die Würde des Menschen ist“, wie wir alle wissen, „unantastbar“. Die Würde des Flüchtlings, des Arbeitsmigranten oder auch des Menschen, der sich aus irgendwelchen Gründen auf den Weg machen und zu uns nach Europa kommen möchte, ist ebenfalls unantastbar, denn das sind Menschen wie wir alle.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Die Bilder von Lampedusa im Jahr 2013 haben uns alle erschüttert. Die Bilder vom 18. April 2015 haben uns ebenfalls erschüttert. Wir haben damals, 2013, gedacht, es gebe keine Steigerung der Katastrophe. Wir sind leider im April eines Besseren belehrt worden und mussten feststellen, dass die Zahlen der Flüchtlinge, die im Mittelmeer sterben, steigen und wahrscheinlich auch in Zukunft steigen werden. Deswegen ist es auch richtig, dass wir das nicht nur mit Schulterzucken zur Kenntnis nehmen, sondern uns Zeit nehmen, über den richtigen Weg zu diskutieren.

Über die Bilder, die wir aus dem Mittelmeer bekommen haben, sind alle erschüttert. Wir sind darüber erschüttert, dass Menschen ihre Hoffnung, die sie hatten, in Europa nicht realisieren konnten, sondern im Boot vor den Toren Europas den Tod gefunden haben. Das macht uns beschämt. Das macht uns auch betroffen. Das macht uns auch ein Stück ratlos, weil wir seit Jahren über den richtigen Weg streiten. Wir versuchen seit Jahren, legale Wege nach Europa zu organisieren. Wir diskutieren seit Jahren darüber, wie diese Menschen sicher in Europa aufgenommen werden können und wie Flüchtlinge endlich eine neue Heimat und ein neues Zuhause finden können. Denn: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es besteht kein Streit darüber, dass wir in Hessen Menschen Schutz gewähren wollen. Es gibt keinen Streit darüber, dass wir uns unserer Verantwortung und unserer Pflicht als Wertegemeinschaft in der Europäischen Union bewusst sind. Es ist selbstverständlich, wenn Menschen Schutz suchen, auch bei uns in Hessen eine neue Heimat finden sollen.

Deswegen möchte ich an dieser Stelle ganz klar alle Anschläge, die es auf Asylbewerberheime gibt, sei es in Hessen oder in ganz Deutschland, verurteilen. Das ist eine Straftat, das hat keinen Platz in dieser offenen Gesellschaft, die wir sind. Wir verurteilen es auch, wenn lokale Politikerinnen und Politiker und engagierte Bürgerinnen und Bürger sich für Flüchtlinge einsetzen und dafür von anderen Menschen eingeschüchtert werden. Das ist keine Vaterlandsliebe, sondern Handeln gegen den demokratischen Willen unseres Landes. Flüchtlinge sind in diesem Land willkommen. Das möchte ich festhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Bei jeder Diskussion, die wir führen, bei jeder Frage, die wir stellen, sollten wir sortieren, was wir als Europäische Gemeinschaft nicht bereit sind, mit den Menschen zu teilen, die zu uns flüchten wollen. Was ist es? Ist es unsere Erde? Ist es Europa? Das Stück Land, das wir nicht teilen wollen? – Das kann es, glaube ich, nicht sein. Sind es unsere Werte, unsere Stabilität und unsere Sicherheit, die wir nicht teilen wollen? – Das, kann es auch nicht sein, denn wir sind eine Wertegemeinschaft.

Oder ist es, wie manche Menschen behaupten, unser Sozialstaat, den wir nicht teilen wollen? – Dazu möchte ich ganz klar sagen: Menschen, die sich auf die Flucht begeben, Boote nehmen, die ihnen den Tod bringen werden, dafür Tausende, manchmal sogar Zehntausende von Euro bezahlen, kommen nicht nach Europa, um die 375 € Sozialhilfe zu bekommen. Diese Menschen kommen nach Europa, weil sie Angst um ihre Zukunft haben, weil sie vor Gewalt flüchten. Von daher bitte ich darum, dass wir mit unseren Werten und unseren Menschenrechten, die wir für uns beanspruchen, großzügiger sind und diese Rechte auch den Menschen zuerkennen, die zu uns flüchten wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Noch einen Punkt möchte ich ansprechen und dann zu den Inhalten der Anträge übergehen. Letzte Woche haben wir gemeinsam daran gedacht, dass der Völkermord an den Armeniern sich zum 100. Mal gejährt hat. Wir haben alle darum gestritten, dass wir das auch so benennen. Mir war es wichtig, dass man es Völkermord an den Armeniern benennt. Armenier sind damals in die Wüste nach Deir ez-Zor vertrieben worden. Viele Armenier haben sich damals in Deir ez-Zor eine neue Heimat aufbauen müssen. Viele Nachkommen dieser Armenier sind jetzt aufgrund der kriegerischen Situation wieder auf der Flucht. Viele dieser Menschen haben mir berichtet, dass sie gezwungen sind, über illegale Fluchtwege nach Libyen zu kommen und von dort aus versuchen, mit diesen Booten nach Europa zu gelangen.

Wir machen uns also auch historisch mitschuldig an den Nachkommen dieser Armenier, aber nicht nur an den Armeniern, wenn wir nicht endlich legale Wege nach Europa organisieren. Das ist eine gemeinsame Herausforderung. Die Europäische Union hat, glaube ich, dieses Umdenken erkannt. Jetzt ist die Frage, ob wir wenigstens am 8. Mai auf Bundesebene, beim nationalen Flüchtlingsgipfel, ein Umdenken und ein anderes Umsetzen in den legalen Wegen nach Europa erreichen. Das ist unser Wunsch. Ich hoffe, dass das auf Bundesebene erreicht wird.

Meine Damen und Herren, zu Hessen. In Hessen haben wir uns seit eineinhalb Jahren regelmäßig mit der Flüchtlingspolitik beschäftigt. Wir haben öfter darüber diskutiert, welcher Schritt gegangen werden muss. Es ist aber falsch, wenn man der Landesregierung vorwirft, überhaupt nicht zu handeln und keine Verbesserungen erzielt zu haben. Es ist doch diese Landesregierung gewesen, die mit Unterstützung der Koalitionsfraktionen eine 15-prozentige Erhöhung der Pauschalen hinbekommen hat. Das ist etwas, was man einfach anerkennen muss. Es ist auch wichtig, dass wir im Nachtragshaushalt 2014 die Summen erhöht haben, die den Kommunen zur Verfügung gestellt worden sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Das kann man meiner Meinung nach in der Diskussion nicht einfach mit der Hand wegwischen und so tun, als würden wir nicht der Verantwortung gerecht werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das ist nicht zutreffend.

(Zurufe der Abg. Gerhard Merz (SPD) und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

– Wir haben es gemacht. – Wenn wir ernsthaft vor Ort in den Kommunen die Bereitschaft der Aufnahme von Flüchtlingen erhalten wollen, dann ist es wichtig, dass wir von dieser Geld- und Streitfrage wegkommen.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Viele Menschen in den Kommunen engagieren sich vor Ort. Wir brauchen engagierte und innovative Kommunen, die sich einen Weg überlegen, wie man ehrenamtliche Menschen, die sich beispielsweise für Sprachkurse und soziale Betreuung stark machen, auf der kommunalen Ebene koordiniert und sie in die lokale politische Entscheidung einbezieht.

Was die Unterbringung betrifft, brauchen wir unterschiedliche Antworten. Im Ballungsraum sieht die Situation anders aus, da sind die Bedarfe anders, als im ländlichen Raum Hessens. Von daher können wir nicht mit einer einfachen Antwort suggerieren, dass dort die Lösung sei. Wir müssen mit den Kommunen weiter gemeinsam Dialoge führen. Das haben wir in der Vergangenheit gemacht und werden es auch in Zukunft machen.

Es ist aber wichtig zu unterscheiden, dass wir im Ballungsraum nicht sagen können, Gemeinschaftsunterkünfte, die über 50 Personen aufnehmen, sollten eine Ausnahme sein. Das fordert die SPD. Wir wissen doch genau, dass viele Kommunen vor Ort das nicht schaffen werden. Sie brauchen Raum, damit den Menschen ein Dach über dem Kopf gegeben werden kann. Wenn wir jetzt mit Vorgaben an die Kommunen herantreten, laufen wir Gefahr, unüberbrückbare Probleme zu erzeugen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich wünsche mir auch, dass ein höherer Betreuungsschlüssel organisiert wird. In der aktuellen Situation müssen wir uns aber darauf konzentrieren, dass wir die Menschen sozial und ehrenamtlich vor Ort begleiten.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Wir müssen Sprachkurse zur Verfügung stellen. Da ist der Bund in der Pflicht. Wenn der Bund nicht mehr Mittel zur Verfügung stellt, die wir als Länder an die Kommunen weitergeben können, dann ist das ein Streit, der uns in den nächsten Jahren lange beschäftigen wird. Er wird den Menschen vor Ort aber nichts bringen.

Mein Plädoyer lautet: Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht im Klein-Klein verharren oder an den kleinen Streitpunkten verirren. Lassen Sie uns lieber weiter im Dialog über den besten Weg austauschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es ist mir wichtig, dass wir im Interesse der Menschen vor Ort zu Lösungen kommen. Es ist mir wichtig, dass wir im Interesse einer pluralen und werteorientierten Gemeinschaft zu Lösungen kommen. Es ist mir wichtig, dass wir im Interesse der Menschlichkeit zu Lösungen kommen. Denn: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die des Flüchtlings und des Arbeitsmigranten auch. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk.