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27.09.2012

Mürvet Öztürk: Keine Verzögerungen bei der Einführung des islamischen Unterrichts in Hessen

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat heute bewusst das Thema der Einführung des islamischen Religionsunterrichts ohne Verzögerung zum Setzpunkt gemacht, weil wir der Meinung sind, dass wir hier nach wie vor eine klare Positionierung und eine klare Aussage der Koalitionsfraktionen brauchen, denn das sind wir den Menschen draußen schuldig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte zu Beginn mit einer Nachrichtenanzeige aus der „Welt“ beginnen, die Frau Merkel ihren CDU-Mitgliedern im Rahmen einer Telefonkonferenz entweder heute Morgen oder vor Kurzem mitgeteilt hat. Frau Merkel hat ihre CDU-Mitglieder in einer Telefonkonferenz, so heißt es in der „Welt“, darum gebeten, Toleranz gegenüber Muslimen walten zu lassen. Auch müsse man in dieser Gesellschaft zwischen Islamisten und Islam unterscheiden, sagte die Bundeskanzlerin. Wie recht die Bundeskanzlerin hat. Ist denn diese Einsicht auch im Hessischen Landtag angekommen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich möchte daran erinnern, dass wir uns im Jahre 2009 gemeinsam sehr darüber gefreut haben, als diese Landesregierung angekündigt hat, den islamischen Religionsunterricht erst einmal zu prüfen und diesen, wenn ein Ansprechpartner gefunden werde, auch einführen möchte. Seit dem Jahre 2009 warten wir nun auf Ergebnisse und darauf, was Ihre ewige Prüfung gebracht hat. Ich habe das Gefühl, dass diese Prüfung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird und Sie eigentlich eine richtige Lösung, nämlich die Einführung des islamischen Religionsunterrichts, nicht wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Müller, Sie brauchen gar nicht mit der Hand zu gestikulieren. Sie werden schon mitbekommen, warum wir dieser Meinung sind.

Ich gebe es zu: Wir haben sehr gespannt in die Reihen der CDU geschaut und haben versucht, herauszufinden, ob Sie ernsthaft einen islamischen Religionsunterricht einführen wollen – vor allem, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Sie am 12. September 2001, also einen Tag nach 09/11 verkündet haben, dass Sie den islamischen Religionsunterricht in Hessen einführen wollen.

Wenn wir uns die Schritte anschauen, die Sie seit elf Jahren gegangen sind: Im Gegensatz dazu ist eine Schnecke ein Schnellläufer. Das können Sie uns nicht als politischen Erfolg verkaufen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit 2009 versuchen wir als Opposition Sie ganz konstruktiv mit Vorschlägen zu begleiten, weil es uns dabei um die Sache geht.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Wir haben versucht, mit Ihnen gemeinsam in den Ausschüssen darüber zu reden, wie man eventuell einen Übergangsweg gehen kann. Wir haben auch versucht, mit Ihnen zu schauen: Was haben die anderen Bundesländer gemacht, und wie kann man die Erfahrung, die in den anderen Bundesländern gesammelt worden ist, bei uns umsetzen?

(Zurufe der Abg. Holger Bellino (CDU) und des Abg. Ismail Tipi (CDU))

Was hat die Landesregierung hier gemacht? Sie hat den Sachverstand in Nordrhein-Westfalen ignoriert. Sie hat den Sachverstand in Niedersachsen ignoriert. Sie hatten die Möglichkeit, mit Herrn Staatssekretär Brockmann, der in einer CDU/FDP-geführten Regierung islamischen Religionsunterricht eingeführt hatte, Übergangsmodelle für uns vorzuschlagen, und Sie hatten vor allem im Jahr 2009 die Möglichkeit, als ersten Schritt mit Islamkunde zu beginnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie mit Islamkunde begonnen hätten, dann hätten wir schon seit drei Jahren ein Angebot an hessischen Schulen für muslimische Schülerinnen und Schüler gehabt. Stattdessen hat die CDU-Fraktion – leider, muss ich sagen – sich vor den Karren des FDP-Ministers spannen lassen, um eine Lösung zu finden, die verfassungsrechtlich die einzig gangbare Lösung sei. Damit haben Sie sich auf die integrationspolitische Geisterfahrt des Herrn Hahn eingelassen. Das bedauere ich, meine Damen und Herren vor allem der CDU.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kurz zur Historie. Seit 2009 besteht der runde Tisch und tagt mit Verbänden und Vereinen aus der muslimischen Gemeinde. Seitdem versucht er, ernsthafte Schritte zu gehen. Dieser runde Tisch hat ein Curriculum erstellt. Das heißt, wir haben jetzt ein Kerncurriculum, auf dessen Grundlage Unterricht erteilt werden kann. Dieser runde Tisch hätte auch überlegen können, ob in Hessen eine Beiratslösung für einen Übergangszeitraum infrage käme, wie es in Niedersachsen der Fall ist. Stattdessen hat diese Landesregierung – ganz gezielt Herr Minister Hahn – einzelne Verbände ermuntert, einen Antrag zu stellen, wie die DITIB und die Ahmadiyya.

Sie haben auch Gutachten in Auftrag gegeben. Diese Gutachten haben nach Aussage von Ministerin Beer Ende Juli 2012 ausgesagt, dass diese beiden Verbände als Kooperationspartner infrage kämen. Das heißt, den Kooperationspartner, den Sie bisher gesucht haben, müssten Sie eigentlich gefunden haben. Ein Kerncurriculum liegt Ihnen auch vor. Der ewige Islamkritiker – das ist zu einfach –, der ewige vor dem Islam Angst schürende bildungspolitische Sprecher, Herr Irmer, hat auch noch seinen Posten niedergelegt. Das heißt, Hürden haben Sie eigentlich keine mehr. Was hindert Sie daran, endlich die Einführung des islamischen Religionsunterrichts umzusetzen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der Koalition, es ist viel zu einfach, wenn Sie uns erzählen, dass jetzt die Gutachten geprüft werden müssen. Die Gutachten haben, dachten wir, geprüft, ob die Antragsteller überhaupt eine Religionsgemeinschaft im Sinne unserer Verfassung sind. Obwohl all diese Dinge geprüft sind, wollen Sie jetzt noch einmal prüfen und prüfen und prüfen. Sie sagen diesem Landtag nicht, bis wann Sie prüfen wollen. Sie sagen diesem Landtag auch nicht, ob mit diesem Unterricht realistischerweise überhaupt noch 2013/2014 gerechnet werden kann.

Meine Damen und Herren, Sie täuschen die Bürgerinnen und Bürgern in Hessen. Sie versuchen, den Menschen zu suggerieren, dass Sie ernsthaft an einer Lösung interessiert sind. Das sind Sie mitnichten. Sie wollen sich nur profilieren. Die CDU-Fraktion hat nicht versucht, Herrn Hahn in dieser Frage zu stoppen. Der Einzige, den Sie gestoppt haben, ist der Herr Irmer. Ich bin gespannt, ob jetzt immer noch die Ewiggestrigen das Sagen haben, oder ob endlich die Reformer in dieser Koalition zum Vorschein kommen. Das ist eine spannende Frage. Meine Damen und Herren, wir werden das beobachten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, wir wollen einen islamischen Religionsunterricht auf der Grundlage unserer Verfassung. Nichts anderes kann diskutiert werden, und nichts anderes ist überhaupt jemals diskutiert worden. Von daher verstehe ich Ihren Antrag nicht. Ihr Antrag enthält Punkte, die Sie prüfen wollen, die unserer Meinung nach längst geprüft sein müssten. Deswegen stellen wir uns die Frage: Sind Sie überhaupt ernsthaft an der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts interessiert? Ich muss das leider bezweifeln. Schauen wir uns an, wie langsam Ihre Schritte sind und wie sehr Sie versuchen, in den Grabenkriegen zwischen dem Islam und dem Westen zu provozieren: Das ist meiner Meinung nach nicht haltbar. Daher würde ich bitten, dass die Reformer in den Koalitionsfraktionen, beispielsweise Herr Mick und Herr Bauer, versuchen, Personen wie Herrn Irmer Einhalt zu gebieten.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Denn was hat er uns noch im August erzählt? Vor dem Islam müsste man Angst haben. Der Islam würde die Menschen täuschen. Der Islam würde versuchen, in der Taqiyya die Andersgläubigen zu täuschen. Meine Damen und Herren, das entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Durch die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an den Schulen würden wir den Kindern, die in Hessen geboren und aufgewachsen sind, die Möglichkeit geben, religiös mündig zu werden. Wir würden ihnen die Möglichkeit geben, sich endlich in deutscher Sprache mit ihrer Religion auseinanderzusetzen und von den Lehrerinnen und Lehrern, die in Deutschland ausgebildet sind, über den Islam zu lernen und etwas über ihre Religion zu erfahren.

Nur so können wir den Islamisten in dieser Gesellschaft, den dschihadistischen Salafisten in dieser Gesellschaft, den selbst ernannten Predigern, wie Pierre Vogel, Einhalt gebieten. Sie müssen sich fragen, ob Sie weiterhin die Verantwortung dafür tragen können, dass Sie jungen Menschen kein Angebot machen und stattdessen versuchen, sich parteipolitisch zu profilieren. Ich finde, das ist eine Vernachlässigung der Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind. Wer nicht an die Generation von heute denkt, der wird auch in der Zukunft keine Chance haben. Ich habe das Gefühl: Sie haben den Gestaltungswillen aufgegeben. Ich vermute, das wird Ihnen spätestens bei der Wahl quittiert werden.

Schauen Sie sich die Islamvideos und die Ausschreitungen an. Das macht deutlich, dass es wichtig ist, dass man einen modernen, toleranten Islam fördert, den es längst gibt. Der gehört zu Hessen. Der gehört zu uns. Je eher Sie das akzeptieren, desto besser ist es auch für diese Gesellschaft. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk.