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08.06.2011

Mürvet Öztürk: Integration fördern, Extremismus bekämpfen, Demokratie verteidigen und stärken

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP, wir GRÜNE würden gerne Ihren Vorstoß unterstützen. Denn vom Inhalt her, was die Bekämpfung des Extremismus und des extremistischen Terrorismus betrifft, besteht eigentlich gar kein Dissens.

Herr Mick, aber Sie machen uns die Sache einfach schwer, indem Sie jetzt zum Schluss Ihrer Rede den Eindruck erwecken wollten, alles sei in Ordnung, wir machen alles toll, also weiter so. Das kann es wohl nicht sein. Das ist doch nicht der Grund, weshalb wir heute diese Debatte führen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe des Abg. Ismail Tipi (CDU) und Holger Bellino (CDU))

Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie über den Islamismus und den extremistischen Islamismus reden wollen. Das ist die Art des Extremismus, von dem die Gefahr des Terrorismus ausgeht. Das wurde im Verfassungsschutzbericht richtig beschrieben. Wir alle wirken gemeinsam seit Jahren daraufhin, dass diese Gefahr minimiert wird.

Sie müssen einfach klären, ob Sie darüber reden wollen oder ob Sie über Integration reden wollen. Beides miteinander zu vermischen ist hoch gefährlich. Ich muss Ihnen sagen: Damit reden Sie Menschen wie Pierre Vogel das Wort und stärken deren Position. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht Ihr Ziel sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich kann das verstehen. Übernächste Woche ist Innenministerkonferenz. Herr Innenminister Rhein, der der Vorsitzende der Innenministerkonferenz ist, möchte da gerne einen Vorstoß machen. Er möchte, dass die gesetzlichen Grundlagen noch einmal überprüft werden.

Dass das nicht unser Problem ist, wir keine schärferen Gesetze brauchen, wissen wir auch alle gemeinsam. Wir haben vor Kurzem die Anhörung im Hessischen Landtag gehabt. Da haben alle Experten noch einmal unterstrichen, dass islamistischer Extremismus keine außergewöhnlichen extremistischen Vorkommnisse hat, sondern dass der Extremismus allgemein bekämpft werden muss. Das muss unter anderem mit Jugendarbeit gemacht werden. Dafür müssen natürlich Konzepte vorgelegt werden.

Herr Innenminister Rhein, Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der CDU und der FDP, ich vermisse bis heute etwas. Wie sieht Ihr schlüssiges Konzept aus, um Deradikalisierung zu betreiben und Präventionsarbeit zu leisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie wollen Sie die jungen Menschen erreichen, die über Internetforen oder in diesen sogenannten Islamseminaren überwiegend unauffällig radikalisiert werden? Sie haben im Verfassungsschutzbericht selbst gesagt, dass es ein großes Problem ist, dass man sie am Anfang gar nicht erkennt. Sie fallen den Behörden gar nicht auf. Wie wollen Sie beispielsweise diese Jugendlichen mit der Vorratsdatenspeicherung erreichen? Das frage ich mich.

Sie sprechen davon, dass Sie die Hassprediger ausweisen wollen. Ich weise darauf hin, dass die aktuellen gesetzlichen Gegebenheiten ausreichen, ausländische Hassprediger auszuweisen, wenn das Personal konsequent geschult wird.

(Zuruf des Ministers Boris Rhein)

Aber jemanden wie Pierre Vogel können Sie nicht ausweisen. Dieser Mann ist kein ausländischer Hassprediger. Vielmehr stammt er aus Nordrhein-Westfalen. Ich will die Stadt, aus der er kommt, nicht nennen. Er ist ein deutscher Konvertit, den Sie mit Ihrem Vorhaben in keinster Weise bekämpfen können. Das kann doch nicht das Ziel sein. Wir wollen doch die Gefahr eindämmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministers Boris Rhein)

Wir brauchen auch nicht das Rad neu zu erfinden. Seit dem Jahr 2001 ist bekannt, dass der islamistische Terrorismus eine Gefahr darstellt. Auch von Deutschland aus können Personen rekrutiert und für diese Anschläge gewonnen werden. Seit dem Bestehen der Sauerland-Gruppe ist klar, dass auch in Hessen Personen rekrutiert wurden und dass sie sehr gefährlich sind. Seit Pierre Vogel in Frankfurt aufgetreten ist – das ist jetzt vor Kurzem gewesen, im Verfassungsschutzbericht kann man aber lesen, dass er im Jahr 2010 schon in Wiesbaden und in Offenbach war –, ist klar, dass er nicht nur typische Muslime, anspricht sondern auch ganz normale deutsche Jugendliche zum Konvertieren bringt und dass das eine Gefahr ist, mit der wir umgehen müssen.

Schauen wir uns im europäischen Vergleich andere Länder an. Was macht Großbritannien? Was machen die Niederlande? Sie haben ein schlüssiges Konzept und sind viel weiter als wir. Sie schicken z. B. Imame gemeinsam mit Sozialarbeitern in bestimmte Viertel, in denen sie ein Radikalisierungspotenzial bei Jugendlichen sehen. Sie machen da präventive Arbeit und versuchen, diese Jugendlichen für die soziale Gesellschaft wiederzugewinnen.

Was wollen Sie beispielsweise mit den Islamisten machen, die jetzt im Gefängnis sind? Ein paar von denen werden in ein paar Jahren herauskommen. Wie wollen Sie diese deradikalisieren und für die Gesellschaft wiedergewinnen? Wie ist Ihr Konzept? Bitte legen Sie uns etwas vor, damit wir endlich darüber diskutieren können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Sie werden von unserer Fraktion immer wieder Rückendeckung bekommen, wenn es darum geht, Islamismus zu bekämpfen. Das hat mein Kollege Frömmrich gemacht, als das mit dem Pierre Vogel in Frankfurt war. Das haben die vorhergehenden sicherheitspolitischen Sprecher meiner Fraktion getan.

Eines ist aber klar: Sie regieren seit zwölf Jahren in diesem Land. Herr Innenminister, Sie persönlich tun das zwar nicht, aber Ihre Partei. Sie müssen endlich handeln. Der Verfassungsschutzbericht liefert immer wieder ganz konkrete Hinweise. Sie müssen die politischen Konsequenzen ziehen.

Sie gehen in der Debatte an den Tatsachen vorbei, indem Sie nämlich die eigentlichen Maßnahmen, die ergriffen werden müssten, nicht vorstellen und nicht einbringen. Stattdessen werden wieder einmal der Islam, die Muslime und die Integration mit der Islamismusdebatte zusammengeworfen. Das finde ich sehr bedauerlich. Das ist etwas, was wir in keinster Weise unterstützen können. Das werden wir auch nicht unterstützen. Wenn es beispielsweise darum geht, dass man Intoleranz bekämpfen will, dann gilt das für uns alle.

Meine Damen und Herren, wenn in den Reihen unseres Parlamentes Personen sitzen, die in der jüngsten Ausgabe ihrer Zeitung diffamierende Äußerungen gegenüber Muslimen tätigen, und Sie dagegen nichts machen, dann sind Sie unglaubwürdig. Sie bleiben dann auch unglaubwürdig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Warum muss ich in der Juni-Ausgabe einer bestimmten Zeitung lesen:

Es gibt ca. 200 Stellen im Koran, die zum Kampf gegen die Ungläubigen auffordern. Es gibt viele Suren, die dazu aufrufen, Dhimmis als Ungläubige so lange zu bekämpfen, bis sie entweder auf den Weg Allahs gegangen sind oder, falls nicht, sie andernfalls getötet werden sollen. Koran bedeutet nichts anderes, als dass die Menschen sich zu unterwerfen haben. Demgegenüber ist die Bibel ein Buch der Liebe,

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

des Respekts, der Toleranz und der Achtung der Würde des Menschen.

– Was ist das für eine Aussage? Bedeutet das jetzt, nach dem Koran sollten Dhimmis – das sind nicht einmal Ungläubige, sondern im Koran die Schutzbefohlenen – alle getötet werden? Bedeutet das, dass der Koran nur die Menschen unterwerfen will und nur die Bibel die Toleranz predigt? Auf dieser Grundlage fühlen sich Muslime doch diffamiert und Pierre Vogels bestätigt, während Ihre Politik unglaubwürdig wird – deswegen müssen Sie sich entscheiden, was Sie wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Integration bedeutet Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund in dieser Gesellschaft. Viele der Muslime – wir schätzen ihre Zahl in Hessen auf ungefähr 300.000 – sind friedliebende Muslime. Die Zahl von 5.200, die Sie als Islamisten angeben – da muss man sogar noch gucken, wer davon radikaler Islamist ist – –

(Zuruf des Abg. Ismail Tipi (CDU))

– Natürlich, jeder einzelne ist viel zu viel. – Aber Sie haben beispielsweise den runden Tisch einberufen. Da kann man gemeinsam Konzepte entwickeln, wie man an diese Menschen herankommt. Ich erinnere daran, dass Integration unabhängig von Religion diskutiert werden muss. Ein Großteil der Menschen mit Migrationshintergrund in Hessen hat z. B. einen katholischen Hintergrund.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Daher können Sie diese Debatten nicht vermischen, das ist ein großer Fehler, bitte machen Sie das nicht – das ist mein Plädoyer an die Landesregierung.

Einen Punkt möchte ich noch anführen, und zwar den islamischen Religionsunterricht. Das ist natürlich nur ein Baustein, nicht der einzige. 2001 – besser gesagt nach dem Anschlag am 11. September – wurde am 12. September im Integrationsbeirat beschlossen, dass wir islamischen Religionsunterricht einführen wollen. In vielen anderen Flächenländern der Bundesrepublik gibt es Angebote – wo es nichts gibt, das ist bei uns in Hessen.

Wieso haben Sie seit zehn Jahren nicht wenigstens den ersten Zwischenschritt gemacht, Islamkunde an hessischen Schulen einzuführen und Islamunterricht an die Jugendlichen zu vermitteln? Stattdessen wollen Sie bis heute die verfassungsrechtliche Lösung herbeiführen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie das schaffen. Wenn Sie es aber nicht schaffen, haben wir schon wieder drei Jahre verloren, schon wieder junge Muslime nicht dabei begleitet, reflektiert und kritisch in Schulen etwas über ihre Religion zu lernen. Stattdessen liefern wir sie den Pierre Vogels dieser Gesellschaft aus, das ist ein fataler Fehler, für den Sie mitverantwortlich sind. Sie müssen handeln, meine Damen und Herren von CDU und FDP. Sie müssen Konzepte und einen Maßnahmenkatalog vorlegen. Andere Länder, z. B. die Niederlande und Großbritannien, haben da große Schritte getan – folgen Sie diesen Beispielen, kommen Sie mit konkreten Vorschlägen, damit wir sie unterstützen können. Aber diese ständige Vermengung und Vermischung machen wir nicht mit, das ist ungerechtfertigt

(Zuruf des Abg. Ismail Tipi (CDU))

und es verharmlost die Gefahr genauso, meine Damen und Herren. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)