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04.10.2011

Mürvet Öztürk: Hessische Integrationspolitik

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hatte das heute so verstanden, dass es hier eine Regierungserklärung geben wird, wo uns die Regierung erklären wird, was sie in Sachen Integrationspolitik bisher in den zweieinhalb Jahren erreicht hat. Aber ich muss feststellen: Wo nichts ist, kann man anscheinend auch nichts erklären.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Herr Minister Hahn, die Frage ist, wenn Sie in zweieinhalb Jahren keine Bilanz vorzuweisen haben, inwiefern es noch gerechtfertigt ist, in Ihrem Ministerium noch den Namen Integration zu tragen. Das möchte ich gerne einmal mitgeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Eigentlich hätte das heute ein Tag sein können, wo man gemeinsam in der Integrationspolitik Erfolg aufweisen und sagen könnte: Das ist ein Thema, wo wir zu Beginn der Legislaturperiode auch vonseiten der Opposition sehr massive Unterstützung, Vorschläge und unterstützende Hinweise erhalten haben, wie wir in diesem sehr sachlichen und von mir aus auch für die Zukunft wichtigen Thema gemeinsam einen Schritt nach vorne kommen.

Für uns, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, kann ich festhalten, dass wir in dieser Debatte von Anfang an sehr großen Wert auf Sachlichkeit und Zielorientiertheit gelegt haben. Da, wo es geht, haben wir versucht, die Landesregierung mit konkreten Anträgen zu unterstützen. Wir haben z. B. die regionale Partnerschaft mit der Türkei maßgeblich unterstützt. Bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts haben wir konkrete und umsetzbare Vorschläge gemacht, auf die ich gleich noch eingehen werde.

Als einzige Fraktion haben wir im Sommer dieses Jahres ein abgestimmtes, passgenaues Integrationskonzept vorgelegt, das einen nachhaltigen Ansatz hat, das die kommunale Ebene, die Bildungsebene und die Arbeitsebene einbezieht, ein Konzept, von dem man sagen kann: Wenn das 1 : 1 umgesetzt werden würde, dann wären wir in zweieinhalb Jahren viel weiter. Aber die Landesregierung kann anscheinend nicht das vorweisen, was wir vorzuweisen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich hatte mir eigentlich überlegt, einen positiven Ansatz zu verfolgen, wie Herr Kollege Merz es hier versucht hat. Aber das gelingt mir nicht. Wenn man sich die 15-seitige Regierungserklärung und die Schwerpunkte anschaut, die die Landesregierung zu setzen meint, dann stellt man fest, dass das ein Armutszeugnis ist. Da kann man nichts schönreden. Das sind Sonntagsreden, das ist kein konkreter Handlungsvorschlag. Herr Minister Hahn, von daher möchte ich wissen: Wann in dieser Legislaturperiode wollen Sie Erfolge vorweisen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Seit Jahren sind die Schlüsselthemen der Integrationsdebatte bekannt. Sie sind mehrfach diskutiert und im Konsens besprochen worden. Wenn wir beim Thema Integrationen einen Schritt weiterkommen wollen, dann ist es bei der Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung, zu Ausbildung, zum Arbeitsmarkt und zur sozialen Teilhabe. Viele dieser Punkte könnte die Landesregierung im Rahmen ihres schulpolitischen Ansatzes ganz alleine vorantreiben. Aber anstatt sich auf die Dinge zu konzentrieren, die die Landesregierung vor Ort gemeinsam mit Kultusministerin Henzler, Wirtschaftsminister Posch und Sozialminister Grüttner machen könnte, versucht sie sich auf die Dinge zurückzuziehen, die auf Bundesebene beschlossen werden, wie das Gesetz zur Anerkennung der ausländischen Abschlüsse.

Die Landesregierung versucht, sich auf der Arbeit der Kommunen auszuruhen und sagt zu den Modellregionen Integration vor Ort: Yippie, hurra. – Ja, natürlich. Wir wissen seit Jahren, dass die Kommunen vor Ort sehr gute Arbeit leisten. Wir wissen seit Jahren, dass die Anerkennung der ausländischen Abschlüsse ein wichtiges Thema ist. Aber die Frage ist: Was ist die Antwort der Landesregierung, um in diesem Bereich einen Schritt weiterzukommen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist ganz „frisch“ beschlossen worden. Ich hätte gedacht, dass sich Herr Minister Hahn jetzt hierhin stellt und sagt: Auf Bundesebene ist zwar das und jenes beschlossen worden, aber auf Landesebene gibt es bei diesen und jenen Themen Nachhol- bzw. Änderungsbedarf. Wir als Landesregierung werden einen Vorschlag XY auf den Tisch legen. – Anstatt einen solch konkreten Vorschlag zu machen, stellt Herr Minister sich hierhin und sagt: „Juhu, es gibt ein Gesetz.“ Ja, es gibt ein Gesetz, und was machen Sie daraus? Was macht die Landesebene? Was ist Ihr Vorschlag auf Landesebene?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD) – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Seit Jahren ist bekannt, dass Integrationsdefizite nicht auf die religiöse und nicht auf die kulturelle Herkunft zurückzuführen sind, sondern auf soziale Benachteiligung. Wir haben in der Enquetekommission mehrmals darüber geredet und haben konkrete Vorschläge vonseiten der Experten bekommen.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Was macht die Landesregierung? Sie lobt die Arbeit der Enquetekommission und freut sich auf die Beschlüsse. Was heißt das im Umkehrschluss? Sie warten noch einmal zweieinhalb Jahre, bis die Enquetekommission zu Ende getagt hat, und dann überlegen Sie sich, ob Sie handeln wollen. – Wenn Sie nicht handeln wollen, dann übergeben Sie die Regierung an eine andere Partei in diesem Landtag. Dies wäre besser. Herr Minister Hahn, das ist das, was ich Ihnen heute vorschlagen möchte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD) – Zurufe der Abg. Ismail Tipi und Holger Bellino (CDU))

In Ihrer Regierungserklärung sprechen Sie von einer Willkommenskultur. Auch da möchte ich Ihnen zustimmen. Ja, eine ernst gemeinte Willkommenskultur ist eine Voraussetzung dafür, dass sich die Menschen, die zugezogen sind, wohlfühlen, dass sie sich heimisch und anerkannt fühlen.

Ich möchte wissen, wie das mit Ihrem Koalitionspartner ist. Inwiefern kann er mit seinen Ansätzen im „Wetzlar Kurier“ – das muss ich doch noch erwähnen – eine Willkommenskultur vermitteln? Denn in der letzten Ausgabe, gestern bei mir im Briefkasten gelandet, steht die Aussage: „CDU lehnt Zuzug von Millionen Moslems ab.“

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

– Aha. Was ist Ihre Willkommenskultur? „Wir lehnen den Zuzug von Millionen Moslems ab“? Ich frage mich: Wo werden die Millionen Moslems eigentlich herkommen? – Die Antwort ist: beim EU-Beitritt der Türkei. Das heißt, wenn die Türkei beitreten würde, würden Millionen Moslems in dieses Land ziehen.

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und des Abg. – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Um Gottes willen, Herr Irmer muss immer wieder vor der Invasion der Muslime warnen. Das klare Wort, das Herr Hahn hier hätte sprechen müssen, fehlt wieder einmal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist schon wichtig, was der bildungspolitische Sprecher des Koalitionspartners sagt. Herr Minister Hahn, wenn Sie das schon zur Chefsache erklären, dann ist von Ihnen an dieser Stelle ein klares Wort verlangt. Sie werden von uns als Opposition immer wieder dazu gezwungen werden, in diesen Dingen ein klares Wort zu sagen. Wenn Sie das nicht tun, wenn Sie immer wieder hin und her schwurbeln, dann dürfen Sie sich nicht wundern, dass Sie in der Integrationspolitik null Glaubwürdigkeit, null credibility haben, um es etwas international auszudrücken.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Von daher weiß ich nicht, was Ihr Ziel ist. Sie wollen doch nicht nur Sonntagsreden schwingen, sondern

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie wollen von den Migrantenselbstorganisationen, mit denen Sie sich treffen, ernst genommen werden, und Sie wollen, dass Ihre Politik Anerkennung findet. Herr Integrationsminister Hahn, dazu müssen Sie handeln. Machen Sie das doch endlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte zugeben, dass wir am Anfang, als Sie die Integrationskonferenz einberufen haben, durchaus sehr positiv – betroffen will ich nicht sagen – gestimmt waren, weil wir das Gefühl hatten: Okay, mit einer Integrationskonferenz, die ressortübergreifend aufgerufen worden ist, das könnte etwas werden, das Thema Integration endlich als Querschnittsthema in die einzelnen Ressorts durchzudeklinieren. Ich weiß noch ganz genau: Wir alle haben hier gesessen, und jeder hat einen konstruktiven Beitrag dazu geleistet. Viele junge Leute, positive Beispiele, Menschen mit Migrationshintergrund, haben hier gesessen, Fragen gestellt und von ihren Problemen berichtet.

Ich frage Sie: Wann gibt es eigentlich eine Folgeintegrationskonferenz? Wann werden die Themen Arbeit, Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe noch einmal vertieft werden? Alle sind von dieser Integrationskonferenz mit dem Gefühl nach Hause gegangen, dass es irgendwann eine zweite Auftaktveranstaltung geben wird, die thematisch vertieft organisiert wird und die einen ressortübergreifenden Ansatz haben wird, wie Integrationspolitik als Querschnittsaufgabe verstanden werden kann. Auf diese Integrationskonferenz warten wir noch heute. Wird es irgendwann eine geben, oder ist für Sie das Thema ressortübergreifend nur auf Papier gedruckt und es wird nicht gehandelt?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie gesagt, diese Integrationskonferenz wäre eine sehr gute Chance gewesen, aus Sicht der Landesregierung zu definieren, was ressortübergreifende Integrationspolitik ist. Darauf haben wir lange gewartet. Aber es ist leider nichts gekommen.

Ich möchte kurz noch zwei Sätze zu den Modellregionen Integration sagen. Dass die Kommunen vor Ort seit Jahren gute Arbeit leisten, wie es eben schon von meinen Vorrednern bestätigt worden ist, steht außer Frage. Aber die Kommunen wollen doch seit Jahren von Ihnen einen Vorschlag, wie sie aus dem Modellcharakter der Projekte, aus dem Projektitischarakter herauskommen, und wie sie nachhaltige strukturelle Finanzierungen für die Projekte vor Ort erhalten können.

Wir haben beispielsweise erfahren, dass Sie ab 2013 kein Geld mehr im Haushalt dafür  vorgesehen haben. Sie machen auch keinen Vorschlag, wie man die 65 laufenden Projekte nach 2013 bündeln und passgenau, flächendeckend für das Land Hessen, für die Kommunen anbieten kann. Ich bitte darum, dass Sie bis zum Jahr 2012, wenn Sie Ihren Evaluationsbericht vorlegen, mit konkreten Maßnahmen kommen und uns nicht wieder mit Sonntagsreden aufhalten. Denn wir haben keine Zeit; wir müssen arbeiten und die Integrationspolitik vorantreiben. Wir können nicht immer wieder Ihren leeren Worthülsen lauschen. Denn das macht einen im Laufe der Zeit sehr ärgerlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Ich komme nun zum Thema Einführung islamischen Religionsunterrichts. Dazu möchte ich der Landesregierung den einen oder anderen Vorschlag unterbreiten und ein paar Klarstellungen mitgeben.

Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Es ist ganz klar auch ein Ziel der GRÜNEN-Landtagsfraktion, aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes islamischen Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler anzubieten und ein solches Angebot an hessischen Schulen zu organisieren.

Dass die Frage des Ansprechpartners keine einfache ist, wissen wir seit Jahren. Das ist überhaupt nichts Neues. Dass Sie uns das jetzt in Ihrem Antrag als eine neue Erkenntnis verkaufen wollen, spricht dafür, dass Sie von diesem Thema bisher immer noch nichts verstanden haben. Deswegen haben wir als GRÜNE den konstruktiven Vorschlag gemacht und gesagt: Wir müssen Zwischenschritte gehen.

Ein solcher Zwischenschritt ist die Einführung von Islamkunde im Lande Hessen. 2011 ist das zehnte Jahr, dass der Integrationsbeirat beschlossen hat, die Einführung von islamischem Religionsunterricht in Hessen voranzutreiben. Zehn Jahre sind schon vergangen. Was ist denn jetzt eigentlich Ihr Vorschlag? Wie soll das jetzt hier funktionieren?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir als GRÜNE sagen, das geht nicht ohne Übergangslösungen und Zwischenschritte. Das ist der aktuelle Stand der fachlichen Debatte.

Herr Minister Hahn, Sie sind Jurist. Eigentlich müssten Sie doch verstehen, was Ihre juristischen Kollegen sagen. Es wird von der Deutschen Islam Konferenz doch ganz klar empfohlen, Ziffer 12 des Zwischenresümees, dass die Beiratslösung eine mögliche Übergangslösung ist. Sie verschweigen dem Plenum hier, dass diese Übergangslösung – Ziffer 12 der Deutsche Islam Konferenz – von der Kultusministerkonferenz den Ländern weiterempfohlen worden ist.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

– Ja, fragen Sie einmal Herrn Brockmann, der weiß das besser. Aber anscheinend möchten Sie lieber ignorieren als zuhören. Aber das ist Ihre Entscheidung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen ganz genau: Die Kritik, die muslimischen Dachverbände würden diese Ziffer 12 nicht mittragen, das sei nicht im Einvernehmen beschlossen worden, gilt jetzt nicht mehr. In Nordrhein-Westfalen haben genau diese Landesverbände die Beiratslösung mit dem Land akzeptiert. Sie haben es unterschrieben. Das heißt, die Kritik, es gebe hier kein Einvernehmen, ist aktuell nicht mehr zutreffend. Die muslimischen Landesverbände haben es akzeptiert und würden in Nordrhein-Westfalen die Beitragslösung mittragen.

Wenn Sie das aber nicht wollen und sagen, das ist mir zu heikel, dann gehen Sie den Weg der Islamkunde. Das können Sie mit dem runden Tisch, den Sie hier in Hessen einberufen haben, ganz allein organisieren. Dann können Sie endlich etwas vorweisen. Von mir aus prüfen Sie jahrelang in Ruhe Ihre Gutachten, wenn Sie das wollen. Aber Sie können den muslimischen Schülerinnen und Schülern nicht zumuten, nochmals fünf oder zehn Jahre in diesem Lande Hessen kein Angebot zu haben. Das nehmen wir nicht hin, das tragen wir auf keinen Fall mit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Ismail Tipi (CDU))

Wer den Islam aus den Hinterhofmoscheen heraustreiben will – das wurde heute nochmals vom Kollegen Bauer unterstützt, und das wird auch von der Hessischen Landesregierung immer wieder gefordert –, der muss ein Angebot schaffen.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Wenn Kinder in den Schulen kein Angebot über ihr Bekenntnis von in Deutschland ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern bekommen, dann laufen diese Kinder den Islamisten oder den Salafisten in deren Islamseminaren in die Fänge und fangen dort an, sich in irgendwelchen Internetforen über den Islam zu informieren. Wenn Sie das vermeiden wollen, dann schaffen Sie endlich ein Angebot in den Schulen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Und hören Sie endlich auf, diese juristischen, verfassungsrechtlichen Diskussionen zu führen. Von mir aus sollen die geführt werden – aber ich erinnere daran, dass der Deutsche Juristentag im Herbst 2010 in Berlin ganz klar beschlossen, empfohlen hat, Übergangslösungen bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts zu vereinbaren. Das wird vom Wissenschaftsrat unterstützt und von der KMK – um Gottes willen, warum ist es im Lande Hessen so schwer, zu begreifen, dass man ohne Übergangslösung keinen Schritt weiterkommen wird?

(Zuruf des Abg. Ismail Tipi (CDU))

Was die aktuelle Kritik auch der katholischen Kirche betrifft, so möchte ich hier kurz erwähnen – weil hier immer wieder Nordrhein-Westfalen genannt worden ist –: Zu Recht will die katholische Kirche darauf bestehen, dass die Übergangslösungen, die jetzt eingeführt werden, auch als „Übergangslösungen“ benannt werden und nicht als „Religionsunterricht“ – denn das ist ein verfassungsrechtlich verbriefter Terminus technicus. Stattdessen möchte sie, dass nach außen ganz klar das Signal verwendet wird, dass das nur eine Übergangslösung, ein Islamunterricht und nicht die verfassungsrechtliche Lösung des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes ist. Wenn Sie das in Ihrem Vorschlag oder in unserem Vorschlag als Übergangslösung so gewährleisten, dann ist weder vonseiten der Kirchen noch vonseiten der Verfassungsrechtler Kritik zu erwarten.

Ich kann nur sagen: Wo ein Wille ist, da ist eigentlich auch ein Weg. Mir scheint jedoch, dass hier sowohl der Wille fehlt als auch der Weg nicht gesehen wird – weil diese Landesregierung total ignorant ist und sich seitens eines Koalitionspartners immer wieder an der Nase herumführen lässt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz kurz möchte ich auch einmal die Mär von den Aleviten erwähnen.

Es wird gesagt, die alevitische Gemeinde hat zehn Jahre lang gebraucht, bis sie als Kooperationspartner anerkannt worden ist. – Was Sie dabei ganz dezent verschweigen – oder vielleicht auch gar nicht wissen, das weiß ich nicht, das kann ich nicht beurteilen –: In vier Bundesländern haben die Aleviten zur gleichen Zeit einen Antrag gestellt. Bis dato waren die Aleviten nirgendwo auf der Welt als Glaubensgemeinschaft anerkannt. Das ist das erste Land, hier in Deutschland, in dem sie als Glaubensgemeinschaft eine Anerkennung gefunden haben. Deswegen kann es sein, dass es länger gedauert hat, bis das erforderliche Gutachten erstellt worden ist und sie als Kooperationspartner anerkannt worden sind.

Was Sie aber nicht ignorieren können, ist: Seit dem Jahr 2006 sind wir in der fachlichen Debatte zur Einführung des islamischen Religionsunterrichts einen massiven Schritt weiter gekommen. Es gibt Vorschläge. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie jetzt zehn Jahre lang islamischen Religionsunterricht vor sich herschieben wollen – die Zeit, die die Aleviten benötigt haben –, oder ob Sie an schnelleren Übergangslösungen interessiert sind, die auch verfassungsrechtlich tragfähig sind. Herr Hahn, ich frage Sie das – vielleicht antworten Sie darauf gleich noch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe des Ministers Jörg-Uwe Hahn und des Abg. Ismail Tipi (CDU))

Last but not least will ich noch ganz kurz dazu kommen, wie man in Hessen Integrationspolitik abgestimmt und nachhaltig formulieren könnte.

Wir GRÜNE haben einen Vorschlag unterbreitet, in dem wir in zehn verschiedenen Themenfeldern beschrieben haben, wo wir Handlungsbedarf haben. In 17 konkreten Maßnahmen haben wir beschrieben, wie Integrationspolitik effektiv umgesetzt werden kann.

Wir haben vorgeschlagen, dass man dann, wenn man eine nachhaltige Integrationspolitik praktizieren will, einen hessischen Integrationsplan erstellen soll, dass es eine Integrationsvereinbarung geben soll, gemeinsam mit den Verbänden, die ohnehin seit Jahren zum Thema Integration arbeiten – und zwar nicht nur mit den Migrantenorganisationen, sondern auch mit den Kirchen und den Stiftungen. Wir haben auch vorgeschlagen, in Hessen eine regelmäßige Integrationskonferenz abzuhalten, auf der man die gemeinsam gesteckten Ziele immer wieder abstimmt, schaut, wie weit man gekommen ist und neue Ziele formuliert.

Wir möchten gerne, dass all diese verschiedenen Ansätze gemeinsam in ein Integrationskonzept münden, in ein Integrationsgesetz, in dem konkrete gesetzliche Veränderungsmaßnahmen eingeleitet werden.

Aus unserer Sicht ist das ein abgestimmter Prozess, den man mit Integrationsverbänden und mit Migrations-Selbstorganisationen gehen kann. Das wäre eine gute Grundlage, um in Hessen endlich Integration streitfrei zu organisieren. Denn wir als GRÜNE verstehen unter dem Thema Integration, dass die Vielfalt in diesem Land eine Bereicherung ist. Meine Damen und Herren, wir verstehen unter Integration die gleichberechtigte Teilhabe von allen Menschen in der Gesellschaft. Und natürlich verstehen wir Integration als Aufgabe. Da haben wir ganz klargemacht: Als Aufgabe müssen sowohl die Zugewanderten als auch die seit langem hier Lebenden ihren Beitrag leisten.

Die Menschen, die hierher zugewandert sind, müssen natürlich die deutsche Sprache lernen. Das steht doch außer Frage. Das ist überhaupt nicht das Problem. Von Ihnen will ich nur wissen: Welche Maßnahmen und Sprachkursangebote wollen Sie denn vor Ort unterstützen und sich dafür einsetzen, dass überhaupt alle, die bisher auf den Wartelisten stehen und an diesen Kursen teilhaben wollen, endlich drankommen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wir GRÜNE schlagen vor, dass die Landesregierung endlich einmal anfängt zu arbeiten und nicht einfach nur Sonntagsreden schwingt,

(Zuruf der Abg. Holger Bellino (CDU) und Ismail Tipi (CDU))

dass sie endlich einmal anfängt, in diesem Land eine vernünftige Willkommenskultur zu etablieren und sich gegenüber den Irmers und Wagners in dieser Fraktion durchsetzt. Das ist die Aufgabe von Herrn Integrationsminister Hahn.

(Zuruf der Abg.Nancy Faeser (SPD))

Wenn er dazu nicht in der Lage ist, dann muss er sich überlegen, ob er den Namen „Integration“ weiterhin in seinem Ministeriumsschild führen soll. Wir wollen auf jeden Fall nicht mehr mit Ihren Sonntagsreden aufgehalten werden, sondern wir möchten gerne eine nachhaltige Integrationspolitik für all jene Menschen, die hier seit Jahren leben, die hier erfolgreich ihren Beitrag geleistet haben. Für die möchten wir endlich an den Punkten ansetzen, wo Bedarf besteht, nicht immer nur mit dieser – ich will ja gar nichts mehr sagen, aber – – Nein, das fällt mir wirklich sehr schwer, bei dieser Regierung, die wirklich nichts leistet, aber immer wieder versucht, sich auf der Arbeit anderer auszuruhen.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Das ist für das Land Hessen nicht glücklich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Es tut mir leid im Namen all derer, die daran geglaubt haben, dass diese Landesregierung etwas verändern würde. Arbeiten Sie endlich, handeln Sie endlich, und hören Sie auf, Sonntagsreden zu schwingen. – Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD und Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke, Frau Öztürk.