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26.03.2015

Mürvet Öztürk: Gleichstellung der kurdischen Minderheit in Hessen voranbringen

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit der kurdischen Minderheit in Hessen. Das sollten wir auf jeden Fall zum Anlass nehmen, uns die Thematik der kurdischen Identität und die Kämpfe, die kurdische Menschen gerade in Syrien und auch im Irak gegen den IS führen, noch einmal klar vor Augen zu führen.

Unsere Solidarität gilt den kurdischstämmigen Hessinnen und Hessen, die Angehörige in Syrien und im Irak haben, vor allen Dingen den jesidischen Minderheiten, deren Angehörige – Frauen und Kinder – immer noch in der Hand des IS versklavt sind und auf Befreiung warten. Die Solidarität in Hessen ist groß. Das kann man in diesem Haus noch einmal kundtun. Wir wünschen uns, dass die Frauen, die Jesidinnen, so schnell wie möglich aus den Händen des IS befreit werden und das in der politischen Priorität ein Stück weit nach oben rückt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der LINKEN sowie Abgeordneten der SPD)

Deswegen spielen die Identitätsfrage und die Rechte dieser Minderheit hier schon eine Rolle. Das ist von den hessischen Bürgerinnen und Bürgern bisher nicht ignoriert worden. Daher müssen wir zwei Fragen trennen: Einmal geht es um die Anerkennung der kurdischen Minderheit. Wo sollte sie anerkannt werden? Wenn wir uns anschauen, welche Völkergruppen in Deutschland anerkannt sind, nämlich die Sorben, die Friesen, die Dänen und die Sinti und Roma, dann wissen wir, dass der Anerkennungsgedanke in der Verfassung daher kommt, dass es sich um indigene Völker Deutschlands handelt und sie daher hier eine Anerkennung finden.

Was die Kurden betrifft: Ihre Herkunftsregionen sind die Türkei, Syrien, Iran, Irak. Es ist ganz selbstverständlich, dass die Menschen dort für ihre Anerkennung kämpfen. Es ist auch wünschenswert, dass die kurdische Minderheit irgendwann in der Türkei anerkannt wird. Im Vertrag von Sèvres war das vorgesehen, ist im Vertrag von Lausanne von 1923 aber leider herausgefallen.

Wir müssen uns auch vor Augen führen, dass bei der Republikgründung damals sowohl die Kurden als auch die Aramäer durch das Raster gefallen sind. Das heißt, wenn wir jetzt die Anerkennung von Minderheiten fordern, dann müssen wir gerecht sein und entweder alle Minderheiten anerkennen, die damals durch das Raster gefallen sind, was ich falsch finde, oder wir müssen akzeptieren, dass wir in Deutschland nicht die Geburtsfehler der Republik Türkei ausbessern und dafür auch nicht eine Politik machen können, die diese Menschen einfach nur enttäuscht.

Liebe LINKE, wir würden gerne im Ausschuss detailliert darüber diskutieren, aber die Anerkennung der indigenen Völker ist eine Sache, die in den Herkunftsländern zu regeln ist und nicht hier in Deutschland.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und Abgeordneten der SPD)

Ich möchte auch klar unterscheiden, was damit gemeint ist, wenn Menschen von kurdischer Identität sprechen. Viele Kurdinnen und Kurden leben seit Jahren friedlich und anerkannt in Deutschland, machen hier ihre Karriere, nehmen an unserer Gesellschaft teil und sind vereinsrechtlich organisiert. Sie sind anerkannte Bürgerinnen und Bürger. Viele dieser Menschen haben sich aber auch 1993, als es Ausschreitungen der PKK auf deutschen Straßen gab, als man angefangen hat, türkische Einrichtungen in Deutschland mit Molotowcocktails anzugreifen, von der Gewalt distanziert und ganz deutlich gesagt, dass die PKK nicht ihre Repräsentanz ist, dass sie sich bei einer Anerkennung als Kurden nicht von der PKK vereinnahmen lassen wollen. Das müssen wir ebenfalls zur Kenntnis nehmen und nicht so tun, als würden alle Kurdinnen und Kurden automatisch von der PKK repräsentiert. Das wäre ungerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

– Aber in dem Antrag sieht es ein bisschen aus, als würde man allen Kurdinnen und Kurden die Anerkennung zugestehen, wenn man das PKK-Verbot aufheben würde. Viele fühlen sich von der PKK überhaupt nicht vertreten, sie fühlen sich heute ausreichend in Deutschland anerkannt. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen, liebe Kollegin Cárdenas.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Es ist wichtig, dass wir uns anschauen, wie beispielweise die Kulturpflege oder die Pflege der kurdischen Sprachen organisiert werden kann. Ich finde es aber falsch, dass wir das über eine Art muttersprachlichen Unterricht organisieren sollen. Genau das ist ein bisschen anachronistisch und kommt aus der Gastarbeiterphilosophie. Man hat damals muttersprachlichen Unterricht für die Gastarbeiterkinder organisiert, weil man dachte, dass sie irgendwann zurückgehen. Sie sollten dann in ihren Herkunftsländern wieder in die Schule integriert werden können. Das finde ich falsch.

Man müsste sich eher darüber Gedanken machen, wie man Menschen, die über Vereine und Organisationen freiwillig muttersprachlichen Unterricht anbieten wollen – seien es Kurden, seien es Aramäer –, unterstützen kann. Das muss aber nicht in der Schule stattfinden, es gibt auch andere Möglichkeiten. Sonst stehen wir immer vor der Herausforderung: Wenn wir die einen anerkennen, was machen wir mit den anderen, die nicht anerkannt werden? Damit würde man meiner Meinung nach eine neue Ungerechtigkeit hervorrufen, die wir eher vermeiden sollten, meine Damen und Herren.

Last, but not least: Wir sollten das Thema sehr gelassen im Ausschuss beraten und uns das Ganze ansehen. Wir sollten hier keine Propaganda – so nenne ich es mal – für eine einseitige Organisation machen. Das wird der kurdischen Identität weder in Deutschland noch in der Türkei gerecht.

Ich wünsche mir, dass es in der Türkei endlich Frieden zwischen den Kurden und den Türken gibt. Ich wünsche mir, dass die kurdische genauso wie die aramäische Minderheit in der Verfassung der Türkei anerkannt wird. Ich wünsche mir, dass dort nicht mehr Waffen sprechen, sondern sich die Menschen in ihrer Identität endlich frei entfalten können. Die Probleme von dort hierherzutransportieren, ist nicht der richtige Weg. Daher werden wir Ihren Antrag nicht unterstützen können, das sage ich jetzt schon. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Vielen Dank.