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11.12.2012

Mürvet Öztürk: Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident! Ich wundere mich, dass sich bisher noch niemand von den Koalitionsfraktionen gemeldet hat. Ich hoffe, dass das nicht dem Desinteresse am Gesetz geschuldet ist, sondern dass Sie einfach verpennt haben – entschuldigen Sie den Ausdruck –, die Wortmeldung abzugeben.
(Zurufe von der CDU – Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vorsitz.)
Ich will aber keine Schärfe hineinbringen. – Heute ist ein Tag, an dem wir uns als Landtag durchaus rühmen und sagen können, es werde eine sachorientierte Entscheidung getroffen. Man habe in diesem Landtag nicht nur parteipolitischen Hickhack betrieben, sondern man habe ein Gesetz beschlossen, das sehr wichtig ist, auf das sehr viele Menschen seit Jahren warten, nämlich dass die Berufsabschlüsse, die sie im Ausland erworben haben, auch anerkannt werden. Dass diesem Gesetz gleich gemeinsam zugestimmt wird, das ist etwas Gutes, das begrüßen wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir möchten das hier erst einmal so festhalten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir möchten aber auch festhalten, dass mit diesem Gesetz lediglich das Anerkennungsverfahren festgeschrieben wird, bei dem nach drei Monaten ein Bescheid an die Betroffenen erteilt werden soll, ob ihr Berufsabschluss gleichwertig ist, ja oder nein. Wenn wir den nächsten Schritt, die vollständige Anerkennung dieser Berufsabschlüsse, erreichen wollen, sind aus Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitere Begleitmaßnahmen notwendig. Diese haben wir in unserem Dringlichen Antrag formuliert. Wir bitten eindringlich um Unterstützung, weil wir glauben, dass diese Begleitmaßnahmen notwendig sind, um eine Erhöhung der Anerkennungsquote zu erreichen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, diese Begleitmaßnahmen sind zum einen die Sicherstellung eines Angebots zu berufsbezogenen Deutschkursen; denn wir reden immer über Deutschkurse und sagen, dass die Sprache ein wichtiger Schlüssel zur Integration in den Arbeitsmarkt und zur Integration in die Gesellschaft ist. Wenn wir diesen Menschen ernsthaft eine Möglichkeit geben wollen, in deutscher Sprache ihrem Beruf nachzugehen, ist aus unserer Sicht ein Angebot berufsbezogener Deutschkurse unumgänglich. Hier sollte die Landesregierung weiterhin tätig werden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der zweite Punkt, den wir in unserem Antrag formuliert haben, ist die mögliche Gebührenbefreiung von bedürftigen Personen. Wir wissen alle, dass die betroffene Personengruppe seit Jahren im Niedrigqualifiziertensektor arbeitet. Wenn diese Menschen – der berühmte Arzt, der Taxi fährt, oder der berühmte Ingenieur, der Reinigungstätigkeiten ausübt – ein vernünftiges Anerkennungsverfahren erreichen wollen und vielleicht auch eine Anerkennung bekommen würden, darf es nicht an den Gebühren scheitern. Ich finde, hier müssen wir eine Härtefallregelung in Betracht ziehen. Auch da ist die Landesregierung gefordert.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der dritte Punkt, den wir aufgeführt haben, sind bedingt rückzahlbare Kredite, d. h. BAföG oder eben auch Kredite, die die Menschen in Anspruch nehmen können, wenn sie nur eine Teilanerkennung bekommen haben und für eine Vollanerkennung eine Nachqualifizierung oder eine Weiterbildungsmaßnahme brauchen. Auch da ist es unserer Meinung nach sehr sachdienlich, dass diesen Menschen zumindest der Zugang zu Krediten oder zu BAföG organisiert wird. Denn nur so sehen wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine ernsthafte Chance dafür, dass die Anerkennungsquote erhöht wird und dass Menschen mit Migrationshintergrund, die seit Jahren bei uns wohnen und die unterhalb ihrer Qualifikation arbeiten, endlich eine realistische Chance gegeben wird, entsprechend ihrer Qualifikation tätig zu sein und einen sozialen Aufstieg in unserem Land zu erreichen. Das möchten wir unterstützen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Michael Siebel (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Das möchten wir nicht nur unterstützen, weil wir gute Taten kurz vor Weihnachten verbreiten wollen, sondern es geht darum, dass wir in unserem Lande seit Langem über den demografischen Wandel diskutieren. Im Jahr 2050 wird die Bevölkerungszahl um rund 9 Prozent gesunken sein. Wir werden nur noch 5,5 Millionen Einwohner in Hessen haben. Die Zahl der 20- bis 40-Jährigen wird ebenfalls sinken, und die Zahl der Personen zwischen 60 und 80 Jahren wird sich um 20 Prozent steigern.
(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))
– Ja, sehr gut, Herr Klee, das stimmt. – Rund 1,49 Prozent der Menschen in Hessen haben heute schon einen Migrationshintergrund. Diese Zahl wird sich in den nächsten Jahren erhöhen.
Auf der anderen Seite muss man sich die Zahl der qualifizierten Menschen anschauen, die unser Land verlassen. Das ist sehr erschreckend. Wir haben festgestellt, dass 54.484 Ausländer im Jahr 2008 das Land Hessen verlassen haben, während 53.958 Personen zugezogen sind. Das heißt, mehr Menschen verlassen dieses Land, und wir wissen ganz genau, dass unter ihnen viele Qualifizierte sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das aufhalten wollen, ist es wichtig, dass wir die Maßnahmen, die wir vorgeschlagen haben, ernsthaft gemeinsam ergreifen. Wir müssen auch eine Willkommenskultur in unserem Land entwickeln.
Zum Thema Willkommenskultur möchte ich an das erinnern, was uns am letzten Donnerstag in der Integrationskonferenz Dr. Dräger von der Bertelsmann Stiftung eindringlich mitgegeben hat. Er hat gesagt, eine Willkommenskultur ist in diesem Land notwendig, und das bedeutet, dass wir nicht nur die Qualifizierten willkommen heißen, sondern dass wir so weit gehen müssen, dass wir ihre Angehörigen willkommen heißen und einen lockeren Zugang von Familiennachzug in unser Land organisieren sollen. Das gehört mit zur Willkommenskultur, von der viele Menschen sprechen. Ob das auch Ihre Art der Willkommenskultur ist, kann ich nicht beurteilen. Ich bezweifle es, meine Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))
Es ist trotz der ganzen Hinweise, die ich gebe, wichtig, dass wir als GRÜNE diesem Gesetzentwurf heute zustimmen, weil wir akzeptieren, dass Sie die Anhörungshinweise angenommen haben. In dem Gesetzentwurf ist jetzt ein Beratungsanspruch festgelegt worden, und es ist gestrichen worden, dass es einen Gebührenvorschuss geben soll. Das sind zwei richtige Schritte. Wir sind der Meinung, dass weitere Schritte notwendig sind.
Meine Damen und Herren von der Landesregierung, wenn Sie sich gerade um Fachkräfte aus Spanien bemühen, was durchaus in Ordnung ist, möchte ich daran erinnern, dass man das eine nicht tun kann, ohne das andere zu lassen. Wir möchten, dass es eine Mischung von beiden Akzenten gibt, dass man sowohl Fachkräfte aus dem Ausland gezielt zu uns holt, aber auch die Potenziale im Inland, die es seit Jahren gibt und die seit Jahren brachgelegen haben, viel gezielter fördert. Dazu bitte ich um Unterstützung für unseren Antrag, damit auch die Begleitmaßnahmen erfolgen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, hoffe gleich auf ein breites Ja von allen Seiten. Es geht um das Ziel: Wir wollen im Land Hessen mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt fördern. – Herzlichen Dank.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)