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23.05.2013

Mürvet Öztürk: Aktuelle Stunde – Bekenntnisorientierter Religionsunterricht an 27 Grundschulen ist Teil der gelebten Willkommenskultur in Hessen

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Kollege Mick, ich schätze Sie sehr in Ihrer sachlichen und Ihrer politischen Darstellung der Materie. Allerdings möchte ich feststellen, dass der Applaus für Ihre Rede eher von der FDP kam, von der CDU kaum.

(Zuruf der Abg. Holger Bellino (CDU) und Alexander Bauer (CDU) – Weitere Zurufe von der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)

Das zeigt, dass Sie sich heute hierhin stellen und es als Ihren Erfolg feiern, weil Sie fünf Jahre gebraucht haben, um sich gegenüber Ihrem Koalitionspartner, der CDU, durchzusetzen, damit endlich islamischer Religionsunterricht in Hessen eingeführt wird.

Schauen wir uns die Überschrift über Ihre Aktuelle Stunde an. Damit verraten Sie sich selbst. Sie reden von rot-grünen Versuchen oder Experimenten. In anderen Bundesländern ist islamischer Religionsunterricht eingeführt worden, in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen. Nordrhein-Westfalen hat schon vor ungefähr zehn Jahren mit Islamkunde angefangen, unter einer schwarz-gelben Regierung. In Niedersachsen hat es ebenfalls unter einer schwarz-gelben Regierung bereits vor zehn Jahren ein Angebot an muslimische Schülerinnen und Schüler für islamischen Religionsunterricht gegeben. In Hessen gab es dieses Angebot nicht. Von daher ist das ein kleiner Schritt, den wir gemeinsam gehen, und kein großer Schritt. Es ist eher Ihr Erfolg als FDP gegenüber der CDU. Das hat aber nichts mit der Lebensrealität der muslimischen Schülerinnen und Schüler in Hessen zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)

Ich will auch ausführen, warum. Es sind 27 Schulen. Es ist gut, dass es 27 Schulen sind. Ich möchte daran erinnern, dass Sie zunächst angekündigt haben, es würden erst einmal 25 Schulen sein. Wir wissen alle, dass der Bedarf der Schülerinnen und Schüler, in Grundschulen unterrichtet zu werden, weit höher ist als bei 25 oder 27 Schulen. Es ist auch klar, dass die Lehrer bisher nicht ausgebildet worden sind und damit fehlen, um den Bedarf der Schüler in Hessen abdecken zu können.

Wir haben ca. 60.000 Schülerinnen und Schüler in Hessen mit muslimischem Hintergrund. Mit Ihrem Angebot werden ca. 600 bis 1.000 Schülerinnen und Schüler in der Grundschule ein islamisches Religionsunterrichtsangebot bekommen. Dieses knapp mehr als 1 % als Erfolg zu verkaufen nach 15 Jahren schwarzer oder schwarz-gelber Regierung in Hessen – mit Verlaub, das ist nicht Ihr Ernst. Das können wir Ihnen nicht so durchgehen lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Es ist in Nordrhein-Westfalen – wenn Sie sich darüber beschweren und sagen, es sei ein Versuch gewesen – im Dezember 2011 dem Gesetz, das die rot-grüne Regierung zur Einführung islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach eingebracht hat, komischerweise auch von der CDU zugestimmt worden, und von der FDP haben wir eine kraftvolle Enthaltung zur Kenntnis genommen. Von daher kann das Gesetz, wie es in NRW beschlossen worden ist, gar nicht so falsch sein.

In Niedersachsen ist die gelbe und schwarze Koalition bereits vor zehn Jahren auf den Weg gegangen und hat angefangen, mit islamkundlichen Modellregionen ein Angebot zu machen. Mittlerweile sind es über 50 Schulen, wo das Angebot unterbreitet wird. Wir haben mit 25 angefangen.

Hätten Sie vor zehn Jahren genau wie die anderen Bundesländer damit beginnen können, islamischen Religionsunterricht zu erteilen, wären wir ganz klar auf Ihrer Seite gewesen und hätten Sie unterstützt. Jetzt, nach 15 Jahren, damit zu kommen, ist ein bisschen mau, meine Damen und Herren.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Es bleiben auch viele offene Fragen. Es ist immer noch nicht klar, wann Sie mit diesem Modellprojekt weiter gehen und weiterführende Schulen einbeziehen wollen. Es ist nicht ganz klar, wie Sie das mit den Lehrerinnen und Lehrern machen wollen. Wenn man den Bedarf von 60.000 Schülerinnen und Schülern wirklich mit Lehrbedarf decken will, braucht man rund 350 Lehrer im Lande Hessen. Das heißt, jetzt müssten schon ungefähr 40 bis 50 Lehrer pro Lehrjahr ausgebildet werden, damit diese Personen auch eingesetzt werden können. Da brauchen wir Konzepte, die haben Sie uns noch nicht liefern können. Sie haben uns nach mehreren Nachfragen endlich die Schulen genannt, in denen der Unterricht erteilt werden wird.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Das ist ganz gut, darüber freuen wir uns auch. Aber es ist ganz klar: Es ist ein kleiner Schritt, den wir heute gehen, kein großer Schritt. Wer sich groß und wortreich über Islamismus, über Radikalismus bei jungen Muslimen beklagt, der muss sich Gedanken machen, wann endlich in weiterführenden Schulen ein Angebot in deutscher Sprache erteilt wird, damit diese jungen Menschen nicht in Hinterhof-Moscheen sind, sich nicht auf Internetforen über ihre Religion informieren, sondern in der Schule durch in Deutschland ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Diese Aufgabe haben Sie noch nicht erfüllt. Von daher haben Sie noch viel zu tun, meine Damen und Herren. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk.