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16.12.2010

Mürvet Öztürk: Abschiebestopp für kosovarische Staatsangehörige

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss ehrlich sagen, dass ich es sehr bestürzend finde, dass wir über dieses Thema nicht sachlich reden können. Da kochen einfach immer wieder Emotionen hoch. Hier wird immer wieder versucht, verschiedene Positionen durchzusetzen. Damit wird man der Sache nicht ganz gerecht.

Wir haben die vorweihnachtliche Zeit. Gestern haben wir über das Thema „60. Jahrestag der Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ gesprochen. Da haben wir versucht, für Empathie für die Personen zu werben. Das finde ich auch richtig.

Heute haben wir es mit einem Thema der Flucht zu tun, bei dem ebenfalls Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Sie leben jetzt bei uns in Deutschland und wollen von uns weiterhin einen humanitären Schutz haben. Sie wollen vernünftig behandelt werden. Von daher bitte ich, emotionsfreier über dieses Thema zu diskutieren. Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Schauen wir uns einmal die Zahlen an. In Hessen sind rund 224 Roma, 17 Ashkali und neun Bosniaken ausreisepflichtig. Jetzt kann man fragen: Das ist doch eigentlich eine ganz kleine Zahl, warum streiten sie sich so darüber?

Meiner Meinung nach kann nicht ignoriert werden, dass internationale Menschenrechtsorganisationen, von denen Frau Wallmann gesprochen hat, seit dem April 2010, also nachdem das deutsch-kosovarische Rückführungsabkommen geschlossen wurde, über die Situation im Kosovo klagen. Sie sagen: freiwillige Rückführungen ja, aber bitte keine Zwangsabschiebungen von Minderheiten. Denn der Staat Kosovo ist noch nicht in der Lage, Flüchtlinge in einer solchen Zahl aufzunehmen. Sie plädieren ganz deutlich dafür, die Abschiebung von Minderheiten in den Kosovo auszusetzen.

Warum sollen wir das in Hessen nicht machen, wenn es um 224 Roma, 17 Ashkali und neun Bosniaken geht? Die würde Hessen doch allemal positiv in die Gesellschaft integrieren können. Das gilt natürlich nur, wenn sie nicht straffällig geworden sind.

Meine Frage lautet also: Was spricht dagegen? – Vielleicht kann Innenminister Rhein etwas dazu sagen.

Man sollte sich die Berichte der Delegationsreise des Innenausschusses des Bundestages anschauen. Sie sind in diesem Jahr in den Kosovo gefahren. Sie haben sehr eindringlich darüber berichtet, dass vor Ort einfach keine ausreichende Gesundheitssituation gegeben ist. Die Infrastruktur ist nicht ausreichend. Die Personen können sich nicht versichern.

Vor allen Dingen erhalten die Kinder der Roma kein Recht auf Schulbildung. Denn sie sprechen nicht albanisch. Sie werden als Roma diskriminiert. Das sind Kinder, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.

Wir schieben sie einfach ab. Dort sollen sie in die Schule gehen. Das können sie nicht. Damit wird deren Zukunftsperspektive zunichte gemacht. Warum geschieht das? – Das geschieht, weil wir uns in dieser Diskussion ein bisschen störrisch und ideologisch auseinandersetzen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Willi van Ooyen und Marjana Schott (DIE LINKE))

Es gibt in einem Rückkehrerprojekt einen Finanztopf. Das ist das Projekt URA 2. Das wird von verschiedenen Ländern mitfinanziert. Das sind Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg. Hessen ist nicht dabei.

Das heißt, wenn die Menschen abgeschoben werden, erhalten sie während der ersten Phase eine ganz kleine Unterstützung, damit sie sie überbrücken und sich integrieren können. Abgeschobene aus Hessen können von diesem Topf aber nicht profitieren. Sie gucken in die Röhre. Das ist meiner Meinung nach untragbar.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Der andere Punkt ist, dass man Sozialhilfe nur in dem Ort beantragen kann, in dem man ursprünglich seinen Wohnsitz hatte. Das heißt, Menschen, die im Krieg Gräueltaten erfahren haben, müssen an diesen Ort zurück, damit sie überhaupt Sozialhilfe beantragen können. Wenn sie sich anderswo im Kosovo niederlassen, erhalten sie keine Sozialhilfe. Das ist für Menschen, die traumatisiert sind, die aus ihrer ehemaligen Heimat geflohen sind und gar nicht mehr zurück wollten, eine Zumutung.

Ich möchte auch daran erinnern, dass am Wochenende die Wahlen waren. Es ist uns allen klar, dass die Regierungsbildung sehr schwierig werden wird. Es ist nicht klar, wie stabil dieses Land in den nächsten Jahren sein wird.

Sowohl die UNO-Menschenrechtskommissarin als auch der Menschenrechtskommissar des Europarates haben eindringlich an die Politik in Europa appelliert und gesagt: Setzt bitte die Abschiebung der Minderheiten in den Kosovo aus. – Dem sollten wir Rechnung tragen. Wir sind in Hessen allemal in der Lage, 224 Personen zu integrieren. Überwiegend werden das bestimmt ohnehin gut integrierte Jugendliche sein. Ich kenne die einzelnen Lebensschicksale nicht. Aber wir sollten in der Lage sein, in dieser vorweihnachtlichen Zeit dem entsprechenden humanitären Gebot Ausdruck zu verleihen. Wir sollten diesen Menschen das Bleiben ermöglichen.

Ich möchte kurz zum Antrag der Fraktion DIE LINKE etwas sagen. Wir GRÜNE haben appelliert, damit der Antrag dem Ausschuss überwiesen wird. Denn damit könnten wir ihn etwas ausführlicher behandeln. Die Fraktion DIE LINKE will das leider nicht. Deswegen werden wir GRÜNE uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Denn in dem Beschlusstext steht nichts von den Minderheiten. Vielmehr steht da etwas von einem allgemeinen Abschiebestopp. Das ist nicht unsere Haltung. Uns geht es ganz gezielt um die Minderheiten aus dem Kosovo.

Ich hätte es gut gefunden, wenn wir da eine Einigung gefunden hätten. Jetzt müssen wir einfach so über den Antrag abstimmen.

Ich sage aber trotzdem in die Reihen der CDU: Unterstützen Sie das Anliegen. Es geht hier um eine humanitäre Geste und um die Menschenwürde in Deutschland. – Danke schön.