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24.03.2015
Portraitfoto von Mathias Wagner vor grauem Hintergrund.

Mathias Wagner: Regierungserklärung des Ministers des Innern und für Sport: „Friedliche Demonstrationskultur ermöglichen – Gewalt keinen Platz geben“

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede mit dem Nachmittag des 18. März beginnen. Am Nachmittag des 18. März haben über 15.000 Menschen friedlich auf dem Römerberg demonstriert. Die Menschen haben von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch gemacht.

Man muss nicht jede Forderung der friedlichen – ich betone: friedlichen – Demonstrantinnen und Demonstranten teilen. Auch muss man nicht jeden ihrer Sprüche oder jede ihrer Parolen gut finden. Aber sie haben ein Anrecht darauf, ihrem Anliegen Ausdruck zu verleihen und Gehör zu finden. Sie haben es verdient, nicht pauschal in einen Topf mit den Gewalt- und Straftaten vom Vormittag geworfen zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der LINKEN)

Die allermeisten auf dem Römerberg haben nachmittags friedlich demonstriert. Sie hatten mehrheitlich nichts mit den unfassbaren Ausschreitungen vom Vormittag zu tun, und sie haben sich klar von Gewalt distanziert. Eben diese klare Distanzierung von Gewalt fehlt in dieser Debatte von einigen. Und deshalb müssen wir heute auch im Landtag darüber debattieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Wir hätten uns gerade im Interesse der Anliegen der friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten einen anderen Verlauf des 18. März gewünscht. Wir hätten uns gewünscht, dass die Anliegen, die Themen der friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten im Mittelpunkt gestanden hätten; denn das, was dort thematisiert wurde, beschäftigt weit mehr als die 15.000 Menschen in unserem Land, die auf den Römerberg gekommen sind.

Es sind die Fragen, wie wir die große Idee von Europa als Friedens-, Freiheits- und Entwicklungsprojekt tatsächlich für alle Menschen verwirklichen können. Wie können wir Europa so gestalten, dass es mehr als ein Wirtschaftsraum ist? Wie schaffen wir es trotz Globalisierung, dass alle Menschen teilhaben können und dass alle Menschen ihren Platz in dieser Gesellschaft haben?

Welche Antworten geben wir auf die nach wie vor starken Folgen der Finanzkrise? Und vor allem: Wie verhindern wir eine Wiederholung? Wie können wir Staaten in der Europäischen Union so unterstützen, dass sie ihre Finanz- und Wirtschaftsprobleme lösen können, ohne dass die Ar- men in diesen Ländern ärmer und die Reichen immer reicher werden?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wie schaffen wir es, den globalen Wirtschaftsmärkten eine globale oder zumindest eine europäische politische Entwicklung gegenüberzustellen? – Meine Damen und Herren, diese Themen hätten es verdient gehabt, im Mittelpunkt des 18. März zu stehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der LINKEN)

Stattdessen erreichten uns an diesem Tag seit den frühen Morgenstunden Bilder von unfassbaren Ausschreitungen, zügelloser Gewalt und blankem Hass. Meine Damen und Herren, niemand hat den Anliegen der friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten mehr geschadet als diese Straf- und Gewalttäter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der LINKEN)

Auch deshalb kann und muss man von allen, insbesondere von allen Blockupy-Organisatoren, ein klares und unmissverständliches Bekenntnis gegen Gewalt erwarten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU und der SPD sowie des Abg. Rene Rock (FDP))

Einige haben das zum Glück bereits getan. Denn beim Thema Gewalt muss eine glasklare Trennlinie gezogen werden: Ja zu friedlichen, Ja zu bunten, Ja zu kreativen Demonstrationen, aber ein eindeutiges und unmissverständliches Nein zu Gewalt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und der FDP)

Denjenigen, die aus falsch verstandener Rücksicht immer noch keine klare Sprache gefunden haben, möchte ich zurufen: Nicht wer sich von Gewalt distanziert, spaltet die Bewegung, sondern derjenige, der es nicht tut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt viel Sympathie in unserem Land für die Kritik an der Globalisierung. Es gibt viele Fragen zu dem Thema, wie das mit der Weltwirtschaftsordnung zusammenhängt. Aber es gibt keinerlei Toleranz und keinerlei Akzeptanz in unserer Gesellschaft für Gewalt.

Globalisierungskritik, Kapitalismuskritik und das Streben nach einer gerechten Welt müssen – das sage ich sehr bewusst – Platz im gesellschaftlichen und im politischen Diskurs haben. Aber sie haben ihn eben nur dann, wenn diejenigen, die darüber reden, ganz klar Nein zu Gewalt sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Es müsste eigentlich ein ganz einfacher Grundsatz gelten: Wer für die Freiheit der Menschen in Europa eintritt, der kann nicht gleichzeitig die Rechte der Menschen in Frankfurt mit Füßen treten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Alle haben die Bilder von den Krawallen am 18. März 2015 erschüttert und entsetzt. Wie verblendet, wie verroht und wie sehr voller Hass muss man sein, um in einen mit Menschen besetzten Einsatzwagen der Polizei einen Brandsatz zu werfen? Was geht in Menschen vor, die Feuerwehrleute und Sanitäter während ihrer Arbeit angreifen?

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Was hat es mit dem Eintreten für soziale Gerechtigkeit zu tun, dass Auto eines 85-jährigen Rentners in Brand zu setzen? Was hat es überhaupt mit dem Demonstrationsrecht zu tun, Autos anzustecken, Scheiben einzuschlagen und Leib und Leben der Menschen zu gefährden? – Die Antwort ist ganz klar: Nichts, aber auch gar nichts hat das mit dem Demonstrationsrecht zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der LINKEN sowie des Abg. René Rock (FDP))

Diese Gewalt- und Straftäter können sich nicht auf höhere Ziele berufen, nicht auf Globalisierungskritik und schon gar nicht auf das Streben nach einer besseren Welt. Sie sind nichts anderes als menschenverachtende Straftäter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU, bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) und Nicola Beer (FDP))

Jetzt gibt es einzelne und auch ein Mitglied dieses Landtags, die unmittelbar nach diesen Ausschreitungen erklärt haben, sie hätten – ich zitiere – „Verständnis für die ‚Wut und Empörung‘ der Demonstranten“. Herr Wilken, ich muss Ihnen sagen: Diese Äußerung löst bei mir Wut und Empörung aus. Angesichts dieser Gewaltexzesse fehlt mir jedes Verständnis dafür, solche Äußerungen zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie waren als Mitorganisator der Proteste, aber auch als Vizepräsident dieses Landtags in einer besonderen Verantwortung für den friedlichen Ablauf der Veranstaltung.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Wir können und müssen heute feststellen: Zumindest im Ergebnis sind Sie dieser Verantwortung nicht gerecht geworden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU, bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. René Rock (FDP))

Wir hätten uns gewünscht, dass Sie am 18. März 2015 und auch schon im Vorfeld unmissverständlich klargestellt hätten, dass Gewalt im Rahmen von Blockupy keinen Platz hat. Wir haben Sie auch im Landtag oft genug dazu aufgefordert. Stattdessen blieben Aufrufe zu den Blockupy-Protesten unwidersprochen, die eine solidarische Welt auf den Trümmern der alten Ordnung errichten wollten und in denen es wörtlich heißt – ich zitiere –:

Fangen wir mit dem Abriss an.

Noch am Tag der Ausschreitung ging folgender Tweet über den Blockupy-Ticker – ich zitiere –:

Danke an alle für den großartigen Vormittag! Jetzt ist Zeit zum Ausruhen. Wir sehen uns mit neuer Frische um 17 Uhr bei der Demo.

Herr Wilken, was war so schwer daran, im Vorfeld allen Gewaltbereiten klar zu sagen: „Bleibt zu Hause, ihr seid bei Blockupy nicht erwünscht“?

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wieso haben Sie selbst nach den schrecklichen Bildern und den Ausschreitungen des Vormittags immer noch keine klaren Worte gefunden? Herr Wilken, warum hören wir bei Ihnen auch jetzt so viel Rechtfertigung und so wenig Nachdenklichkeit?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Stattdessen gibt es aus Ihrer Partei Sätze wie:

Wer Wind sät, wird Sturm ernten.

Sie und die anderen Blockupy-Organisatoren sind nicht für alles und für jeden im Rahmen der Proteste verantwortlich. Aber es ist eben ein Unterschied, ob man nur mehr oder minder augenzwinkernd auf den gewaltfreien Grundkonsens von Blockupy hinweist oder ob man Gewalt unmissverständlich ablehnt. Das ist ein Unterschied.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Wilken, Sie müssen sich Folgendes vorwerfen lassen: Sie hatten einen leichtfertigen, einen spielerischen Umgang mit der Gewaltfrage. Aus diesem spielerischen Umgang ist am 18. März 2015 bitterer Ernst geworfen.

Spätestens dieser bittere Ernst sollte Sie und die gesamten Mitglieder der Linkspartei an einen Scheideweg bringen: Wollen Sie weiterhin ein Sammelbecken für alle und jeden sein, die sich selbst irgendwie links nennen, oder haben Sie endlich die Kraft, klare Grenzen zu ziehen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU, bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Das ist die Frage, vor der die Linkspartei insgesamt steht. Herr Wilken, Sie persönlich sollten sich die Frage stellen, ob Sie dem Vertrauen des Landtags, das das Amt des Vizepräsidenten erfordert, gerecht geworden sind und ob Sie überhaupt die Absicht haben, diesem gerecht zu werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir alle können nur erahnen, was ein Einsatz wie am 18. März 2015 für die Polizeibeamtinnen und -beamten bedeutet. Sie haben sich unter Gefahr für ihre eigene Sicherheit und Gesundheit dafür eingesetzt, dass die Sicherheit und die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger Frankfurts geschützt wurden. Sie haben sich monatelang sorgfältig auf den Einsatz vorbereitet und am Einsatztag entschlossen und gleichzeitig umsichtig gehandelt. Dass der Polizei in der für viele sicherlich auch emotional extrem angespannten Situation die Unterscheidung zwischen Gewalt- und Straftätern mit unverantwortlichem Handeln und friedlich Demonstrierenden gelungen ist, spricht für die Sorgfalt bei der Vorbereitung des Einsatzes und für die Professionalität der hessischen Polizei.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind uns bewusst, dass der Mut und die Kraft, die solches Verhalten erfordert, in der Öffentlichkeit nicht immer
die Würdigung erfahren, die sie verdienen. Gerade deshalb möchten wir den Polizeibeamtinnen und -beamten ganz
herzlich und aufrichtig für das danken, was sie geleistet haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir möchten in diesen Dank namentlich auch Innenminister Peter Beuth und den Frankfurter Polizeipräsidenten Gerhard Bereswill einschließen: Danke für die große Verantwortung, die Sie am Einsatztag und darüber hinaus geschultert haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Unser besonderer Gruß gilt all den Verletzten. Wir wünschen ihnen gute und vor allem vollständige Genesung.

(Allgemeiner Beifall)

Auch die friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten sind der Polizei zu großem Dank verpflichtet. Denn die Demonstration auf dem Römerberg konnte angesichts der vorherigen Ausschreitungen nur stattfinden, weil die Polizei eine weitere Eskalation der Gewalt verhindert hat. Wir sind überzeugt, dass die Mehrheit der Demonstrierenden vom Römerberg sich auch bewusst ist, was sie der Polizei an diesem Tag zu verdanken hat und was die Polizei auch für sie geleistet hat.

Die Einsatzstrategie der Polizei ist aufgegangen. Schon weit im Vorfeld wurde alles unternommen, um die Ausübung des Demonstrationsrechts und den Schutz der Bevölkerung in Frankfurt zu gewährleisten. Viele Gespräche haben im Vorfeld stattgefunden. Es gab Kommunikationsangebote an die Organisation der Demo, die Stadtgesellschaft, die Ladenbesitzer, die Vertreterinnen und Vertreter der Politik aus Bund, Land und Kommune. Auch die Einführung der Kennzeichnungspflicht war ein wichtiges Signal an die Demonstrierenden.

Auch über die sozialen Medien, über Twitter und Facebook wurde noch am Einsatztag der Dialog gesucht, wurde am Einsatztag transparent über das Vorgehen der Polizei informiert.

An diesem Tag hat die Polizei Herausragendes geleistet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Unangemessen ist es hingegen, wie die Arbeit der Polizei teilweise kommentiert wird. Vor dem 18. März haben sich einige über die angeblich übertriebenen Vorkehrungen und das „bürgerkriegsähnliche Szenario“ aufgeregt. Nach dem 18. März kritisierten teilweise die gleichen Leute und Gruppierungen, die Polizei hätte mit noch mehr Einsatzkräften vor Ort sein müssen. Und ganz absurd wird es, wenn es heißt, die Vorkehrungen der Polizei hätten am 18. März die Gewalt provoziert.

Nein, meine Damen und Herren, diese Gewalttaten waren nicht provoziert. Sie waren kalt und generalstabsmäßig geplant und wurden rücksichtslos umgesetzt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Neben der Polizei möchten wir auch der Feuerwehr und den Sanitäterinnen und Sanitätern der verschiedenen Organisationen danken. Auch sie sahen sich teilweise Angriffen ausgesetzt und haben trotzdem ihren Einsatz geleistet, haben trotzdem Menschen geholfen: welch ein beeindruckendes Signal der Menschlichkeit inmitten von roher Gewalt. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, Hessen und Deutschland sind eine lebendige Demokratie. Wir sagen Ja zu einer bunten, kreativen und friedlichen Demonstrationskultur, und wir sagen Nein zu Hass und Gewalt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Beifall bei Abgeordneten
der SPD)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner.

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