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16.07.2014
Portraitfoto von Martina Feldmayer vor grauem Hintergrund.

Martina Feldmayer: Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich habe einmal meine Erinnerungen bemüht. Eine Übermittlung von Überlieferungen aus dem Ersten Weltkrieg meiner Familie ist weitgehend unterblieben. Von meiner um 1900 geborenen Urgroßmutter, zu der ich das Glück hatte, sie noch kennenzulernen, habe ich viel von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs gehört und was danach passiert ist. Ich hätte von ihr noch erfahren können, welche Erlebnisse sie von dem Ersten Weltkrieg hatte.

(Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Aber durch die Schrecken des Zweiten Weltkriegs sind die des Ersten Weltkriegs weitgehend verblasst. Ich glaube, das geht vielen so, dass durch die Schrecken des Zweiten Weltkrieges, die – mit dem Holocaust, mit der Zerbombung der Städte – so schlimm waren, vieles aus dem Ersten Weltkrieg, was noch an meine Generation hätte weitervermittelt werden können, sehr verblasst ist.

Aus Erzählungen weiß ich, dass mein Großvater im Ersten Weltkrieg im Stellungskrieg gewesen und verwundet oder krank zurückgekommen ist, auch krank an der Seele. Von diesem Stellungskrieg hat er sich nicht mehr erholt. Die ganz junge Generation kennt jetzt keine Zeitzeugen mehr, wie wir sie vermittelt bekommen konnten.

Meine Damen und Herren, deshalb ist es auch gut, dass es solche Erinnerungstage wie heute gibt. Aber das darf nicht alles sein; darauf werde ich gleich noch zurückkommen. Wir dürfen diesen Ersten Weltkrieg nicht vergessen. Wir wollen an die Millionen von Opfern und an die Verantwortung erinnern, die wir jetzt tragen.

Mit dem deutschen Angriff auf das neutrale Belgien wurde aus einem europäischen Konflikt ein Weltkrieg. In Belgien beging die deutsche Armee schreckliche Gräueltaten, auch gegen die Zivilbevölkerung.

Das schlimmste deutsche Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg in Belgien fand wohl in Dinant an der Maas statt. Dort wurden in der letzten Augustwoche 1914 von ungefähr 6.000 Einwohnern 674 von deutschen Soldaten ermordet und Hunderte in ein Lager verschleppt.

Für uns ist es heute unverständlich, dass unsere Vorfahren vor 100 Jahren derart euphorisiert in dem Glauben in diesen Krieg gezogen sind, ihn schnell gewinnen zu können. Es ist für uns unverständlich, mit welcher Kriegsbegeisterung die Menschen in den Krieg gezogen sind, der unverantwortlicherweise vom Kaiserreich und dem Militär geplant und vorangetrieben wurde. Und es ist für uns heutzutage unverständlich, wie die Massenmedien noch in den Chor der Kriegsbegeisterten einstimmen konnten.

Eine einzelne kritische Stimme hat Herr van Ooyen vorhin schon angemerkt; ich möchte eine andere Stimme nennen, die von Hermann Hesse. Die wurden niedergeschrien. Diese Menschen wurden als Vaterlandsverräter niedergeschrien und konnten in dieser Kriegsstimmung nicht durchdringen.

Der Erste Weltkrieg kostete Millionen Opfer, Soldaten wie Zivilisten. Er war der erste industriell geführte Krieg mit Einsatz von Giftgas. Der Stellungskrieg forderte Millionen von Toten. Er war ein zynischer, menschenverachtender Auswuchs der Kriegsführung, wo Menschen zu Material wurden.

Die Überlebensdauer in den Gräben von Verdun lag bei den Soldaten bei höchstens zwei Wochen. Wir können uns kaum vorstellen, welche unvorstellbaren Grauen die Soldaten dort erleben mussten.

Wir blicken auf die beiden Weltkriege zurück und sind dankbar, dass uns Deutschen nach dem Leid, das unsere Nation über die anderen Völker gebracht hat, die Hand gereicht wurde. Das Jahr 1914 ist ein Jahr des Gedenkens an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, aber auch des Zweiten Weltkriegs.

Wie man angemessen mit solchen Jahrestagen umgeht, müssen wir uns fragen. Gedenktage sind dazu da, um das Geschehene zu reflektieren, um aus der Rückschau noch einmal anders zu bewerten. Ich will mich auch nicht in den Historikerstreit einmischen, der um die Frage entbrannt ist, was der Auslöser des Ersten Weltkriegs war. Das sollen einmal die Experten machen.

Was wir als Abgeordnete im Hessischen Landtag zu tun haben, ist, dafür zu sorgen, dass die Lehren aus den beiden Weltkriegen gezogen werden und der europäische Gedanke der Demokratie, der Freiheit und des Friedens verinnerlicht und verbreitet wird.

Ein kluger Mensch sagte einmal: Nur wer weiß, wo er herkommt, weiß auch, wo er hingehen soll. – Der europäische Einigungsprozess hat uns Frieden und eine europäische Wertegemeinschaft gebracht. Aber leider erleben wir nun mit dem aktuellen Ukrainekonflikt einen Krieg in Europa – mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland – wieder einmal einen Rückfall.

Die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, ist doch das Wichtigste. Deshalb ist es auch richtig, dass Europa die Verletzung der territorialen Grenzen der Ukraine nicht akzeptiert, gleichzeitig aber deeskalierend auf die Parteien einwirkt, und dass versucht wird, über die Diplomatie eine Lösung der Krise zu erreichen.

Was wir als Abgeordnete auch tun können, ist, dafür zu sorgen, dass die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wachgehalten wird, damit die jüngere und die nachfolgende Generation erfährt, welches Leid dieser Krieg gebracht hat. Erinnerung und Friedensarbeit vieler Organisationen – Frau Kollegin Beer hat es schon angesprochen –, die Landeszentrale für politische Bildung, die Aufrechterhaltung von Gräbern als Gedenkstätten gehören dazu, dieses Wissen zu vermitteln.

Ich habe, und ich glaube, der jüngeren Generation geht es vielleicht auch so, ein durchaus merkwürdiges Gefühl beim Anblick von Kriegsdenkmälern, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind, wo Soldaten als Helden verehrt werden oder wurden und zu lesen ist: Sie starben fürs Vaterland.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Diese Kriegsdenkmäler sind sicherlich im historischen Kontext zu sehen. Aber wir brauchen – und das geschieht bereits durch viele Organisationen, wie beispielsweise der Kriegsgräberfürsorge – eine Auseinandersetzung mit diesen historischen Stätten, mit diesen Kriegsdenkmälern, mit den Kriegsgräbern und eine weitere Entwicklung der Erinnerungskultur, der Erinnerungsarbeit – durchaus nicht nur die Deutschen, sondern durchaus auch mit den anderen europäischen Jugendorganisationen zusammen.

Denn wenn die Erinnerung nur noch staatlich verordnet wird, geht sie verloren. Deshalb ist es auch gut, dass die Regierungskoalition – ich gehe davon aber aus, dass das alle Fraktionen hier im Hessischen Landtag unterstützen – die Erinnerungskultur fördern und stärken will, um sie an die nächste Generation weiter zu vermitteln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gedenktage dürfen nicht zu einem starren Ritual werden. Sie sind mehr als eine Erinnerung an die Toten. Sie müssen vom Blick zurück auch in die Gegenwart und Zukunft führen, zu einer permanenten Arbeit an dem fragilen Gebilde Frieden. Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber dazu beitragen, dass die Zukunft besser. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und dem BÜNDNISS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank.

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