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01.04.2009

Margaretha Hölldobler-Heumüller zum Thema Wirtschaftskrise - Entschließungsantrag (SPD): Gesamtverantwortung wahrnehmen – politische Taktiererei beenden

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Seit September 2008 droht der Zusammenbruch der Hypo Real Estate. Ein halbes Jahr ist auf den Finanzmärkten eine Ewigkeit. Was bisher getan wurde, waren direkte staatliche Finanzhilfen, Bürgschaften, Aktien wurden erworben im Gesamtwert von inzwischen 100 Milliarden €. Heute diskutieren wir anhand der FDP das Verhalten, wer an dieser Stelle Einfluss und das Sagen haben soll.

Aus dem riesigen Volumen staatlicher Beihilfen und Garantien kann nur eine Konsequenz gezogen werden: Die öffentliche Hand muss umgehend nicht nur Bürge, sondern auch Eigentümer der Bank werden. Nur so kann dem Grundsatz gefolgt werden, dass, wer für ein Unternehmen haftet, dort auch das Sagen haben muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, dass ich den Staat für den besseren Unternehmer oder den besseren Banker halte. Das kann ich deutlich sagen. Wir wissen, wie schwierig die Staatsunternehmen zu führen sind. Ich halte an dieser Stelle den Staat für das kleinere Übel. Aber ich halte es für dringend notwendig; denn die Machenschaften der HRE müssen kontrolliert und verantwortungsvoll weitergeführt werden, und es muss an dieser Stelle Kontrollmöglichkeiten geben.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU) – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Dieser Rettung wohnen wir jetzt schon ein halbes Jahr bei – ein quälender Prozess mit immer neuen Liquiditätsnotständen, immer neuen Finanzlöchern. Die Übernahme der Bank durch den Staat ist längst überfällig und darf nicht noch weiter hinausgeschoben werden. Wir haben schon beim ersten Anlauf des Gesetzes moniert, dass diese Möglichkeit der Enteignung vorgesehen werden muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es zeichnet sich ab, dass der größte Aktionär Flowers das Ganze immer noch als sein privates Pokerspiel betrachtet. Deshalb ist es unausweichlich, dass der Bund – als allerletzte und als grundgesetzlich vorgesehene Möglichkeit – auch eine Enteignung ermöglicht.

(Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

In diesem Land hat Flowers einzig prominente Unterstützung von der FDP, die anscheinend sein Spiel nach wie vor mit betreiben will. Da tönt Jörg-Uwe Hahn, dass Hessen im Bundesrat das Gesetz ablehnen werde.

Da erklärt der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle, während der Gesetzesberatungen, es sei ein Tag der Unfreiheit, Enteignung sei ein Tabubruch. – In diesem Fall die Möglichkeit einer Enteignung zu schaffen entspricht Art. 14 Abs. 3 unseres Grundgesetzes. Das ist vorgesehen, wenn eine Enteignung zum Schutz der Allgemeinheit notwendig ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Eine Maßnahme auf dem Boden des Grundgesetzes als Tabubruch zu bezeichnen zeugt von einem ausgesprochen merkwürdigen Rechtsverständnis.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Man könnte die FDP an dieser Stelle als verlängerten Arm der Heuschrecken bezeichnen. Aber das würden Sie als Kompliment empfinden, weil ich glaube, das sind genau diejenigen, denen Sie dienen wollen.

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie wollen die Interessen der Aktionäre schützen, die spekulieren. Aber um die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler kümmern Sie sich überhaupt nicht.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

Das erinnert mich an ein Orchester auf einem sinkenden Schiff. Alle wissen, es ist höchster Einsatz gefragt. Es sind möglichst effektive Gegenmaßnahmen gefragt. Aber das FDP-Orchester mit den Solisten Hahn, Brüderle und Solms singt die Arie der Deregulierung, Deregulierung und Deregulierung. Das ist populistisch, das ist inhaltslos. Ich nenne es verantwortungslose Effekthascherei, was Sie an dieser Stelle betreiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ganz nebenbei, diese Partei, die angeblich die Wirtschaftskompetenz schier mit Löffeln gefressen hat, singt nebenbei immer noch das Lied der Steuersenkungen. Aber vielleicht müssen Sie sich irgendwann einmal entscheiden. Wenn unkontrolliert dereguliert wird und Staatsvermögen verbrannt wird, dann muss irgendwer die Zeche zahlen. Nach Ihrer Lesart ist das der Steuerzahler. Kurz gefasst: Sie müssen sagen, wer das Heuschreckenfutter zahlen soll, aber das passt nicht zu Ihrer ewigen Arie von den Steuersenkungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dass nach der Gesetzeslage angemessen entschädigt wird, ist selbstverständlich. Das entspricht unserem Grundgesetz. Aber ich glaube nicht, dass dies das ist, was die FDP meint. Ich glaube auch nicht, dass dies das ist, was Herr Reif gerade meinte. Vielmehr wollen Sie Steuergelder drauflegen, und das kann nicht sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Reif, wer spekuliert – ob Großaktionär oder Kleinaktionär – muss damit rechnen, sein Geld zu verlieren. Das ist das Erste, was einem in einer Bank erklärt werden sollte.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Es trifft alle. Viele haben Geld verloren. Aber wo wollen Sie eine Grenze ziehen, wenn Sie jedem ein Zuckerl obendrauf legen wollen? Es wird nach dem Realwert entschädigt, und so ist es richtig.

Herr Reif, wenn Sie sagen, Enteignung sei ein Standortnachteil, da kann ich nur sagen: George Bush hat relativ schnell enteignet.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ist George Bush etwa ein Kommunist?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Ein Standortnachteil ist Zögerlichkeit, ist Unsicherheit. Klares Handeln rettet den Standort, klares Handeln rettet auch die Hypo Real Estate.

Es handelt sich auch nicht um eine Bank, die ein bisschen Pech bei Spekulationen hatte und bedauerlicherweise von der Finanzkrise betroffen wurde. Es gibt Strafanzeigen wegen fehlender Kapitalmarktinformationen. Es gibt Strafanzeigen wegen des Verstoßes gegen das Verbot von Marktmanipulation. Es gibt Strafanzeigen wegen Betrugs. Es gibt Ermittlungen gegen alle Vorstände der Hypo Real Estate, die 2007 und 2008 im Amt waren. Es gibt einen Untersuchungsausschuss, den auch die FDP will, und es besteht der Verdacht, dass das Finanzministerium seit 2007 darüber informiert war, dass dort gerade ziemlich viel Geld verloren wird.

Von daher existiert da ein riesiger Misthaufen, und Jörg-Uwe Hahn spielt sich hier als Retter des freien Spiels der Kräfte und des freien Unternehmertums auf. Ich stehe wirklich fassungslos vor solcher Ignoranz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Verhalten des Jörg-Uwe Hahn an dieser Stelle ist aber eigentlich nur ein jämmerliches Possenspiel. Hessen wird sich enthalten. Es ist natürlich leicht, großmundig zu protestieren, wenn man weiß, dass dieser Protest keinerlei Folgen und Wirkung haben wird. Denn mit den Stimmen der Länder, in denen z. B. auch die GRÜNEN mitregieren, wird dieses Gesetz den Bundesrat passieren. Also können Sie sich hierhin stellen und alles Mögliche verkünden. Jeder weiß, es hat keinerlei Folgen. Aber es ist verantwortungslos, dass Sie das überhaupt tun. Wir GRÜNEN halten die Hypo Real Estate für systemrelevant. Es ist der größte gewerbliche Immobilienfinanzierer und Pfandbrieffinanzierer. Der Zusammenbruch würde zu einem Zusammenbruch der Finanzierung der öffentlichen Hand und zu einer Gefährdung des Währungssystems führen.

Man kann kritisieren, dass die Abhängigkeit so groß ist und dass es Fehler im System gibt. Das kann man alles tun. Aber die Realität ist, dass wir die Bank retten müssen. Aber wenn wir sie mit Steuergeldern retten, dann sind wir als Staat verpflichtet, handelnd einzugreifen und endlich die Verantwortung zu übernehmen, was offenbar seit Jahren keiner getan hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Gottfried Milde(CDU))

Ganz nebenbei, wenn der Staat Eigentümer der Hypo Real Estate wird, dann werden auch die Kosten für die Steuerzahler begrenzt und das tief klaffende Finanzloch, weil der Staat natürlich andere Konditionen bekommt als eine Bank.

Meine Damen und Herren, mit der öffentlichen Beteiligung an den Banken fängt die Aufgabe der Politik erst an. Das ist der Job von Finanzminister Steinbrück, der Bundesregierung insgesamt und der Großen Koalition. Dieser Job muss wahrgenommen werden. Die Bundesregierung hat dafür zu sorgen, dass bei Banken, die nur deshalb weiterexistieren, weil sie Milliarden aus der Staatskasse erhalten, keine Boni an das Management gezahlt werden. Diese Option darf gar nicht mehr bestehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Was erklärt Wirtschaftsminister Guttenberg zu diesem Thema? Es sei eine Frage des Anstands, man brauche kein Gesetz, man könne appellieren, dass die Gelder gespendet werden oder freiwillig zurückgezahlt werden. – Da kann ich nur sagen: Bübchen, glaubst du noch an den Weihnachtsmann? Das kann doch nicht wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Weiterhin hat die Bundesregierung dafür zu sorgen, dass Banken mit Staatsbeteiligung, die wohlhabende Kundschaft haben, diese Kundschaft nicht mehr in die Steueroasen weiterleiten; denn auch das ist momentan Realität. Wir haben deutsche Banken, die ihre Kunden in Steueroasen führen. Das ist die Unterstützung von Steuerhinterziehung. Auch diese Option muss beendet werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es sind klare Ansagen und Regeln nötig, wie sich Banken mit staatlicher Beteiligung – dazu gehört inzwischen auch die Commerzbank – zu verhalten haben.

Es gibt einen weiteren Aspekt, der für das Wettbewerbsrecht wichtig ist. Die Banken dürfen aus der Staatsbeteiligung keine Wettbewerbsvorteile ziehen. Was für die Sparkassen gilt, muss natürlich auch für die Commerzbank gelten. Also fordern wir von Herrn Steinbrück zum einen eine Aufklärung, was seit 2007 im Finanzministerium gelaufen ist, ob die Hinweise ignoriert worden sind. Wir fordern zum andern, dass Steinbrück, der sich in Sachen Steuerhinterziehung mit den Nachbarländern anlegt, sich, bitte schön, auch im eigenen Land mit den Banken anlegt und mit Schärfe deutlich macht, wie das in Deutschland gehandhabt wird.

Wir GRÜNEN haben bei der Verabschiedung des ursprünglichen Finanzmarktstabilisierungsgesetzes im Oktober 2008 im Bundestag dagegen gestimmt, weil darin die vernünftige Möglichkeit, Banken zu verstaatlichen, nicht vorgesehen war. Es ist viel Zeit verloren. Jetzt muss wieder einmal nachgebessert werden, aber das ist dringend nötig. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

(…)

Präsident Norbert Kartmann:

Als Nächster hat sich Herr Al-Wazir zu einer Kurzintervention gemeldet. Dann machen wir ein Gesamtpaket.

Tarek Al-Wazir:

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es der Sache wegen für angemessen, dass das Ergänzungsgesetz zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz durch die Zustimmung der Länder Hamburg und Bremen höchstwahrscheinlich ohne die Notwendigkeit der Zustimmung eines FDP-mitregierten Landes eine Mehrheit finden wird.

Aber wenn man bedenkt, wie viele Leute sich vorher aufblasen und wie viel Luft am Ende übrig bleibt, muss man es fast bedauern. Ich bin mir nämlich hundertprozentig sicher: Wenn es wirklich darauf ankäme, würde die FDP zustimmen. Ich erinnere mich sehr genau daran, wie das Stichwort Konjunkturpaket II von Herrn Hahn vor der Landtagswahl aufgeblasen wurde und wie er nach der Landtagswahl einem völlig unveränderten Konjunkturpaket II zugestimmt hat. Insofern ist es schade, dass es zu diesem Lackmustest nicht kommen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächster Punkt. Lieber Florian Rentsch, ich stimme ausdrücklich zu, wenn es heißt, dass der Staat nicht der bessere Autobauer ist. Aber ich stelle hier einmal die Frage, ob er immer der schlechtere Autobauer ist, jedenfalls wenn er in Minderheitsbeteiligung dabei ist. Wenn ich mir die Zulassungszahlen, die von der Abwrackprämie ausgelöst worden sind, die wir sehr kritisch sehen, einfach einmal anschaue, stelle ich fest: Auf Platz 1 liegt der VW-Konzern – VW mit der Stammmarke –, auf Platz 3 Skoda, ebenfalls zu VW gehörend. Ich meine, mich zu erinnern, dass der Staat an diesem Konzern mit 20 % beteiligt ist.

Lieber Kollege Rentsch, wenn ich mir anschaue, warum Opel jetzt diese Probleme hat, stelle ich fest, vieles hängt damit zusammen, dass Anfang der Neunzigerjahre ein brutalstmöglicher Kostensenker, nämlich Herr Lopez, damit begonnen hat, die gute Firma Opel in den Grund zu rammen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP))

Herr Hahn, wir wissen auch, woher er kam und wohin er ging. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nichts ist überzeugender als die Wirklichkeit, und die Tatsache

(Zuruf von der CDU)

– ich weiß – –

Präsident Norbert Kartmann:

Die Redezeit ist vorbei, Herr Kollege.

Tarek Al-Wazir:

Herr Präsident, ich wäre schon am Schluss meiner Rede, wenn nicht dauernd dazwischengerufen würde. Die Tatsache, dass – –

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Präsident Norbert Kartmann:

Meine Damen und Herren, dies ist eine Kurzintervention. Da müssen auch die Zwischenrufe kurz sein.

(Heiterkeit und Beifall)

Tarek Al-Wazir:

Vielleicht hilft es auch, sich einmal die Geschichte der Schwierigkeiten von Opel zu betrachten, um zu erkennen, dass die Urständ des Kapitalismus – GM ist sozusagen das urkapitalistischste aller Autounternehmen – vielleicht auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist.

Insofern wünsche ich mir, dass bei der FDP nicht so sehr die Ideologie, sondern eher die Sachlichkeit eine Rolle spielt. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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