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30.09.2010
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Familienkarte

Herr Rentsch – – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Entschuldigung, ich bin ein bisschen durcheinandergekommen, weil man mir ursprünglich sagte, ich sei erst nach der Antragstellerin dran. Dann machen wir es eben umgekehrt. So muss es eben sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Rentsch, wissen Sie, was das ist?

(Der Redner hält eine Payback-Karte hoch.)

Ich erkläre es Ihnen. Es ist eine Payback-Karte. Das ist eine Karte für Rabattaktionen der Firmen Apollo-Optik, Aral, Kaufhof, UFA-Theater – –

(Günter Rudolph (SPD): Keine Werbung!)

– Keine Werbung? Okay.

Wissen Sie, was der Unterschied zu Ihrer Familienkarte ist? Soll ich es Ihnen sagen? Der Unterschied zwischen Ihrer Familienkarte und der Paybackkarte ist, dass Ihre Karte dem Steuerzahler in zwei Jahren 1 Million Euro kostet. Ihre Karte hat eine umfangreiche Liste

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Ich komme doch gleich dazu, hören Sie doch zu. Auch Sie sind potenziell in der Lage, dazuzulernen.

von Unternehmen, die Rabatte geben. Das finden wir gut, dass es solche Unternehmen gibt. Ich habe auch so eine Karte. Ich bin auch Vater, deswegen werde ich wahrscheinlich auch die hessische Familienkarte beantragen. Rabatte sind zunächst einmal gut.

(Demonstrativer Beifall des Abg. René Rock (FDP))

Das, was uns trennt in diesem Saale, ist die Frage, ob es eine öffentliche Aufgabe ist – –

(Florian Rentsch (FDP): So sieht die Familienkarte aus, Sie können auch meine haben!)

– das ist schön. So ähnlich sieht auch meine aus. Herr Rentsch, da können wir nachher einmal eine Sammlerbörse machen. Das hilft uns nur nicht wirklich weiter. – Ich wollte Ihnen nur den Unterschied verdeutlichen. Bei beiden Karten bieten kommerzielle Anbieter Rabattaktionen an. Gerade Sie, der Liberalisierer, der Deregulierer schlechthin , und die von Ihnen geführte Landesregierung geben 1 Million Euro öffentliche Steuergelder dafür aus, um privaten kommerziellen Anbietern ein Kundenbindungsprogramm zu finanzieren. Das finde ich sehr bizarr, wenn ich das einmal sagen darf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dass die Landesregierung sich Mühe gibt, Rabattaktionen für Familien zu organisieren, freut uns. Das freut alle Familien. Wir geben neidlos zu, dass es offensichtlich ein Erfolg ist, wenn über 40.000 Familien diese hessische Familienkarte bereits beantragt haben. Wer sollte da sagen, dass das erfolglos war? Nein, das ist nicht erfolglos. Wir kritisieren, dass dies mit öffentlichen 1 Millionen Euro Steuergeldern kampagnisiert wurde. Wenn ich einen Vergleich ziehen darf: Die Kampagne für Erzieherinnen und Erzieher kostete 370.000 Euro, ein Drittel dessen, was Sie für die Familienkarte ausgeben.

Wir kritisieren auch, dass in dieser Familienkarte schon existierende öffentliche Angebote enthalten sind, wie z. B. Hotlines. Diese Angebote gab es schon, die hat man mit der Karte zusammengefasst. Das ist auch ein bisschen Etikettenschwindel nebenbei. Über das Angebot kann man sich auch ein bisschen ironisch äußern, dass da Rabattaktionen von Juwelieren gemacht werden, dass man bei Tank und Rast zehnmal kostenlos pinkeln darf. – Entschuldigen Sie bitte den unparlamentarischen Ausdruck.

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP) – Gegenruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Es ist aber so, Sie dürfen bei Tank und Rast zehnmal kostenlos die Toilette benutzen.

(Zurufe von der FDP)

– Ja, Herr Rock, Sie müssen nicht mehr in die Büsche, das ist in dieser Rabattaktion mit enthalten. Sie haben bei diesem Angebot fünf Prämienpartner. Klicken Sie doch einmal aus Spaß auf diese Seite.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Einer dieser Prämienpartner ist Tank und Rast. Tank und Rast macht zehnmal kostenlos Pinkeln. Ein anderer Prämienpartner ist HIPP, der liefert Ihnen kostenlos nach Hause, die Produkte zahlen Sie aber genauso teuer. Der dritte Prämienpartner ist Rewe. Rewe macht eine 5-Prozent-Rabattaktion auf Eigenprodukte. Eine Aktion war beispielsweise für Tiefkühlpizzen.

(Jürgen Lenders (FDP))

Darin enthalten ist auch der Super-RTL-Club, Juweliere, Videotheken. Wir wollen gar nicht über die Qualität streiten. Sie werden zugeben, dass man dabei einen kleinen ironischen Seitenhieb einstecken muss.

(Zuruf von der FDP)

Herr Rentsch, dass, für was Sie 1 Million Euro ausgeben, ist ein Kundenbindungsprogramm für private kommerzielle Anbieter. Das müssen Sie einfach einmal zugeben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Rentsch, wie Sie immer so frech zu sagen pflegen: Jetzthören Sie doch einfach einmal zu. – Da wir eine dialektisch denkende Fraktion sind, würde ich Ihnen gerne aus Ihrer Pressemitteilung vom 20. August vorlesen. – Herr Merz, Herr Rentsch hatte eine gute Idee. Achtung, alle von SPD und GRÜNEN sollten jetzt aufmerksam sein:

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Die Überschrift lautet: Florian Rentsch: Familienkarte zur Bildungschipkarte weiterentwickeln“. In der Pressemitteilung sagt er:

Sinnvoll wäre es nun, wenn die hessische Familienkarte, die für alle gilt, gleichzeitig das zusätzliche Angebot des Bildungschips beinhalten könne, um eine bessere Förderung für Kinder von Langzeitarbeitslosen zu erreichen.

Herr Rentsch, wo ist denn bitte dieser Passus in Ihrem Antrag, der heute vorliegt?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ihr Antrag müsste doch lauten: Weiterentwicklung der hessischen Familienkarte zu einer Karte, die musische Angebote, sportliche Angebote und kulturelle Angebote beinhaltet. – Herr Rentsch, wir kämpfen auf derselben Seite. Herr Rentsch, weil wir der Meinung sind, wir sollten die hessische Familienkarte weiterentwickeln, haben wir uns als GRÜNE die Mühe gemacht, das in einen Antrag zu gießen und freuen uns über Ihre Zustimmung nachher.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der FDP)

Sie sind der Meinung, wir müssen diese Karte weiterentwickeln, ich sehe es an Ihrem Nicken. Wir sind der Meinung, man muss diese Karte weiterentwickeln, wir stellen für Sie diesen Antrag. Sie haben es offensichtlich nur vergessen, oder Sie konnten sich bei der CDU nicht durchsetzen. Wir sind der Meinung, dass wir diese 1 Million Euro klüger einsetzen sollten, indem wir die hessische Familienkarte weiterentwickeln. In Kooperation mit den hessischen Kommunen und Kreisen sollten wir uns jetzt weiter davon fortbewegen, nur ein privates Kundenbindungsprogramm zu machen, sondern wir sollten uns dorthin bewegen, kulturelle, musische und sportliche Angebote in dieser Karte mit fördern. Das werden wir nicht alleine hinbekommen, dazu brauchen wir die Kreise und Kommunen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen haben wir einen Antrag gestellt, in dem wir fordern, die hessische Familienkarte weiterzuentwickeln. Wir hoffen auf Ihre Zustimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Sie haben es angesprochen, Familienpolitik geht in Ihrem Antrag noch weiter. Ich habe noch zwei Minuten 50 Redezeit, deswegen gestatten Sie mir die Bemerkung dazu. Die hessische Familienkarte ist natürlich von der Quantität ein Erfolg, viele Tausende haben sich dazu angemeldet, über die Qualität kann man schmunzeln. Es zeigt unzweifelhaft die Notwendigkeit solcher Angebote. Tausende von Familien nehmen Angebote aller Art in Anspruch, damit sie Rabatte bekommen. Das zeigt es unzweifelhaft. Das klingt jetzt etwas moralinsauer, aber es zeigt doch, dass Familien in diesem Land alles in Anspruch nehmen, weil sie große Not haben, mit ihrer Haushaltskasse zurechtzukommen.

(Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Dazu gehört auch, sich Gedanken darüber zu machen, wie Familienpolitik generell aufgestellt ist. In der Tat kann man sagen, dass sich in den letzten zehn Jahren einiges geändert hat, gerade bei den Konservativen. Ende der Neunzigerjahre haben wir noch über die Rolle der Frau diskutiert, ob und wie lange sie arbeiten gehen soll. Wir haben uns noch darüber unterhalten, was Familie ist, ob Geschiedene und Alleinerziehende überhaupt zur Familie gehören, oder ob Familie nicht einfach so zu definieren ist, dass dort wo Kinder sind, auch Familie ist. Wenn man das als Grunddefinition annimmt und dann sagt, wir wollen die strukturellen Bedingungen für Familien verbessern in der Kinderbetreuung, in Hortplätzen, in Ganztagsschulen, dann haben wir einen Fortschritt gemacht. Es ist ein Fortschritt, wenn die Konservativen das anerkennen und auch die Verbesserungen der Familienförderung in ihre Programme und Koalitionsverträge aufnehmen.

Zur heutigen Stunde muss man allerdings sagen: Sie hinken hinterher. Sie hinken Ihren Ankündigungen hinterher. Die Ankündigungen sind gut, Sie wollen die Kinderbetreuung ausbauen, Sie sind aber deutlich hinter Ihrem Plan. Mit der Mindestverordnung wollen Sie eine bessere Qualität in den Kindereinrichtungen, da haben Sie die Hälfte der Kommunen abgeknipst und hinken Ihren Ankündigungen hinterher. Hortplätze, Ganztagsschulen, bei all diesen Stichpunkten hinken Sie Ihren Ankündigungen hinterher. Sie kündigen das an, das finden wir richtig, das muss aber monetär untermauert sein und auch umgesetzt werden. Was die Familienpolitik in Hessen generell betrifft, haben Sie einen Nachholbedarf.

Ich komme zum Schluss. Die Familienkarte ist ein quantitativer Erfolg. Helfen Sie uns allen, dass Sie auch ein qualitativer Erfolg wird. Lassen Sie uns die Familienkarte weiterentwickeln mit Musik-, Sport- und Kulturangeboten. Führen Sie die hessische Familienpolitik dazu, dass sie nicht nur eine Ankündigung, sondern auch eine Umsetzung erfährt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Schönen Dank, Herr Kollege Bocklet.

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