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27.01.2010
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet zum dumpfen Populismus von Ministerpräsident Koch – Verbesserungen der Arbeitsmarktreform statt Beschimpfungen von Arbeitslosen

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, von der LINKEN, von der FDP und auch meine Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, wir können letztlich nur darüber spekulieren, was Herrn Koch dazu trieb, andere Instrumente zur Arbeitsaufnahme einführen zu wollen. Wir können nur darüber spekulieren, welche Elemente der Abschreckung er meint, und wir können auch nur über die Absicht hinter der Aussage spekulieren, es gäbe so viele Menschen, die das System ausnützen und sich in ihm eingerichtet haben, und es gäbe sogar eine sichtbare Minderheit, die dieses System brutalstmöglich ausnutze.

Wir können darüber spekulieren, warum er das tut. – Gibt es schon wieder ein Problem in der CDU? Ist es so, wie es Herr Kollege Schäfer-Gümbel angesprochen hat, dass wieder eine populistische Sau durchs Dorf getrieben wird, weil es in der eigenen Partei rumort, weil der rechte Flügel um Christean Wagner gepampert werden muss, nachdem er von Frau Merkel getunkt worden ist?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Geht es darum, dass der Bedeutungsverlust auf Bundesebene an ihm nagt, dass die schnelle Schlagzeile sozusagen wichtig war, um wieder vorzukommen? Man nennt das eine Übersprungshandlung im gemeinen Sinne. Wir bedauern dies sehr und würden uns wünschen, dass wir uns der Sache tatsächlich widmen.

Herr Ministerpräsident, aber eines ist klar: Wer durch solche Überschriften –gewollt oder ungewollt und zum Schluss auch ganz gezielt – eine Kampagne lostritt, die auf die sozialstaatlichen Prinzipien dieses Landes zielt und das Solidaritätsprinzip untergräbt, muss wissen, dass das ein gefährliches Spiel ist. Wir haben Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Wirtschaftskrise. Wer 3,4 Millionen Arbeitslose so unter Generalverdacht stellt, spielt mit dem Feuer. Wir verurteilen das entschieden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es um die Sache geht, bemühen wir uns um Menschen, die nicht unserer Partei angehören. Frau von der Leyen sagt, wenn jemand arbeiten wolle, dann hätten wir ein Problem, denn es fehle an Kinderbetreuungsplätzen, Schul- oder Berufsausbildungen. Das Problem lösten wir nicht, indem wir sie beschimpfen, sondern indem wir ihnen gezielt helfen. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen sagt zu Recht: „Ich weiß nicht, wie man da weiterkommen will. Wenn keine Arbeitsplätze da sind – und wir haben ja Probleme auf dem Arbeitsmarkt angesichts der Krise – nützt eine gesetzliche Pflicht überhaupt nichts. Was wir brauchen sind entsprechende Fördermaßnahmen, damit die Leute wieder eine Stelle finden.“ Beide Personen sind in der CDU, und wir sagen ausdrücklich: Recht haben sie. Man muss aufhören mit dem Beschimpfen, helfen ist angesagt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aber lassen Sie uns versuchen, in der Sache zu argumentieren – ich will auch noch einmal begründen, warum wir das tun sollten –, weil wir sicher sind, dass es nicht nur Frau von der Leyen und Herr Rüttgers sind, sondern dass es viele Menschen gibt, die die CDU wählen und sich mit Grausen von diesem Kurs abwenden.

Schauen wir uns also bitte genau an, was der seit zehn Jahren regierende Ministerpräsident im Zusammenhang mit den Reformen des Arbeitsmarktes eigentlich macht. – Da geht es um Sanktionen. Wer sich ein bisschen auskennt, und das unterstelle ich Ihnen, weiß, dass es schon heute – selbst Herr Dr. Bartelt bestätigt das – in einem abgestuften System Sanktionen gibt. Wenn ich keine zumutbare Arbeit annehme oder eine Eingliederungsvereinbarung nicht unterschreibe, werden mir die Gelder gekürzt. Das ist heute schon Fakt. Ich frage Sie also: Was wollen Sie verschärfen? Wollen Sie verschärfen, dass auch Kranke arbeiten gehen müssen, Behinderte wie auch alte Menschen? Diese Sanktionen sind unwürdig. Diese Sanktionen wollen wir nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie sprechen von mehr gemeinnütziger Arbeit. Schauen Sie sich die Situation in Ihrem Land an, die 1-Euro-Jobs im Lande Hessen: Es gibt zu wenige. Die Menschen wollen diese 1-Euro-Jobs annehmen, im Gegensatz zu den Vorurteilen, die man ursprünglich hatte. Sie können zum einen mehr 1-Euro-Jobs schaffen, dann legten Sie sich aber mit dem Handwerk an. Das ist das Problem. Sie können zum anderen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen, den Sozialen Arbeitsmarkt, den wir GRÜNE schon seit zwei Jahren fordern. Doch wer lehnt diesen im Lande Hessen ab? – Das ist die CDU. Deswegen ist Ihre eigene Forderung nach mehr gemeinnütziger Beschäftigung schon längst gefloppt. Herr Koch, Sie hätten es tun können. In Ihrem eigenen Land, in Ihrem eigenen Stall räumen Sie nicht auf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir können den Murks weitermachen – im Land der Optionskommunen. Hessen ist das Musterland der Optionskommunen. Schauen wir uns also an, wie das Land Hessen eigentlich bei den Eingliederungsquoten aufgestellt ist. Eingliederungsquoten sind die Quoten, die dazu führen, dass sie tatsächlich in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Das sind Ihre Jobcenter, die des Bundeslandes, das Sie regieren. Dort liegen Sie mit 26,7 Prozent auf einem mittelmäßigen achten Platz.

Oder bei der Aktivierungsquote liegt es mit 21,8 Prozent lediglich auf dem zwölften Platz, unser wunderschönes Bundesland Hessen, geführt von Roland Koch. Daher fragen wir: Was macht eigentlich Herr Banzer? Was hat eigentlich Frau Lautenschläger gemacht? – Ich dachte, wir wären in der Bundesrepublik das Land Nr. 1. Wir liegen auf einem mittelmäßigen, schlechten Platz. Wo wird den arbeitslosen Menschen in diesem Land denn geholfen? Sie regieren es, und daher ist es unwürdig, so zu argumentieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

40 Prozent aller erwerbsfähigen Hilfebedürftigen sind alleinerziehend. Was diesen fehlt, sind Kinderbetreuungsplätze. Welche Quote haben wir denn in Hessen? – 19,6 Prozent für unter Dreijährige. Es wären 35 Prozent nötig. Herr Koch, Sie regieren dieses Land. Herr Koch, wo sind die Ausbaupläne? Wo sind endlich die Betreuungsplätze für die unter Dreijährigen? Wo sind die Mittel für die Kommunen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich habe kein Problem damit, wenn Kritik geübt wird, wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden. Sie schaffen die Rahmenbedingungen aber selbst nicht, heizen dann aber. Das ist eines Ministerpräsidenten unwürdig. Es tut mir leid.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Auch beim Lohnabstandsgebot sagen wir GRÜNE schon lange: Richtig, wir haben in der Bundesrepublik 1 Million Aufstocker. Herr Ministerpräsident, wenn Sie sich der Sache widmen wollen, werden Sie feststellen, dass 29,5 Prozent von diesen Aufstockern einen Bruttoarbeitslohn von unter 5 Euro die Stunde verdienen – etwa ein Drittel. Daher ist es doch völlig irrwitzig, zu sagen: Wir müssen an die Leistungen für die Arbeitslosen ran. Das Brot kostet, was es kostet, ebenso die Heizung usw. Deswegen gibt es die genauen und spitz berechneten Leistungsentgelte für die ALG II-Empfänger, die, wie wir finden, zu gering sind. Diese Spirale aber nach unten zu drehen, ist geradezu pervers. Wir brauchen – und das ist einer der Fehler, den wir noch ausbessern müssen – in der Bundesrepublik Mindestlöhne, damit wir das Lohnabstandsgebot nach oben bekommen. Die Menschen müssen ihre Existenz noch selbst sichern können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich brauche nicht hinzuzufügen, dass Sie bei den Mindestlöhnen eine sehr unrühmliche Rolle gespielt haben. Sie halten sie für Teufelswerk, aber es ist die einzige Möglichkeit, um nicht flächendeckend Unternehmen zu subventionieren, die Lohndumping betreiben.

Deswegen komme ich in Hessen zu dem Schluss: mäßige Vermittlungsquoten, keine Ausschöpfung der Eingliederungsmittel. Wir haben schon oft darüber geredet, dass in Hessen 300 Millionen Euro zur Verfügung stehen, aber nur 230 Millionen Euro ausgegeben werden. 70 Millionen Euro werden zurückgegeben, obwohl sie den Arbeitslosen zur Verfügung stünden, um sich zu qualifizieren. Sie geben 70 Millionen Euro zurück und helfen damit den Menschen in Hessen nicht. Helfen Sie den Menschen, in Arbeit und Qualifikation zu kommen, statt sie zu beschimpfen. Das ist weiterhin nicht zu ertragen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mäßige Vermittlungsquoten, keine Ausschöpfung der Eingliederungsmittel, die Weigerung Mindestlöhne einzuführen, schlechter Ausbau der Kinderbetreuung und selbst bei den Zuverdienstmöglichkeiten haben Sie sich in den Verhandlungen im Jahre 2003 das Problem selbst ans Bein gebunden. Sie wollten doch überhaupt keine Zuverdienstmöglichkeiten bis zu einer Höhe von 400 Euro. Wir haben Ihren Vorschlag im EGG doch nachgelesen. Das heißt, Sie wollten doch selbst keine Hinzuverdienstmöglichkeiten. Selbstproduzierte Probleme haben in Hessen zu schlechten Ergebnissen geführt. Herr Koch, tun Sie doch etwas, damit Menschen aus dem ALG II herauskommen. Man hat Sie gewählt, damit Sie regieren und damit Sie den Menschen helfen und nicht, um in diesem Land generalisierende Beschimpfungsdebatten zu führen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich wiederhole es: Ihre Forderungen nach schärferen Regeln – man mag das bedauern oder nicht – sind seit 2005 schon erfüllt worden, bei der damaligen Einführung der Hartz-IV-Gesetze.

Das politische Verfallsdatum dieser Forderung ist abgelaufen.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Bocklet, Sie müssen zum Schluss kommen.

Marcus Bocklet:

Das politische Verfallsdatum dieser Forderung ist abgelaufen. Wir können uns den Kommentar nicht ersparen, dass ganz offensichtlich auch das politische Verfallsdatum dieser Regierung abgelaufen ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Bocklet, vielen Dank.

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