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25.03.2010
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet zu: Modellprojekt zur Einführung von Betreuungsgutscheinen für Qualitätssteigerung, Trägervielfalt und Wahlfreiheit in der Kinderbertreuung

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Am 30. Januar 2009 haben Roland Koch und Jörg-Uwe Hahn gesagt: Alle Eltern in Hessen sollen diese Gutscheine in gleicher Höhe erhalten, egal, wie viel sie verdienen. Der Betrag wurde allerdings noch nicht genannt. Man wolle in zwei oder drei hessischen Städten oder Kreisen starten. Das war vor über einem Jahr, als sie das gesagt haben. Da kann man natürlich noch mal ein paar Tage ins Land gehen lassen. Ein Jahr ist ja auch im Flug vorbeigegangen.

(Zurufe von der FDP)

Wenn man so etwas in Koalitionsvereinbarungen hineinschreibt, dann finde ich es auch gut, wenn man sich selbst ab und zu einmal daran erinnert, dass man so etwas vereinbart hat. Deswegen begrüßen wir, dass Sie sich hin und wieder selbst an einige Dinge erinnern. Das gehört wohl zu dem Regierungshandeln dieser Regierung und der sie tragenden Fraktionen dazu.

Abgesehen von diesem einen Jahr haben wir uns natürlich auch die Frage zu Punkt 2 Ihres Antrags gestellt: warum nur städtisch? – Denn Sie haben das schon zu Recht zitiert. Wahrscheinlich haben Sie dieselben Recherchen wie wir auch. Sie wissen, dass es auf Bundesebene bereits eine so dicke Untersuchung über verschiedene Modelle in Deutschland gibt. Ich glaube, Sie haben sogar daraus zitiert: da geht es um Hamburg, Berlin und all die vielen verschiedenen Städte. Das wirft natürlich die Frage auf, warum Sie einen erneuten Modellversuch in der Stadt machen, wo es doch schon fünf gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeugt davon, dass Sie, Herr Minister, Probleme mit Ihrer Freizeit haben und gern noch einmal so einen Modellversuch machen wollen, obwohl es in der Bundesrepublik schon sieben gibt.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber auch da wollen wir uns nicht vor den Zug werfen. Wir wollen Ihren Gewinn an Erkenntnissen nicht blockieren. Wollen wir uns noch einmal genau ansehen, worum es eigentlich geht.

Sie stellen sich hin und sagen: Liebe Eltern. – Es ist ein kleiner, aber bescheidener Unterschied, dass Hamburg sich mit Kindern über drei Jahren beschäftigt, also einem Bereich, wo es schon Unmengen an Plätzen in Kindergärten gibt. Das ist noch einmal ein anderes Thema. Wir reden hier in Hessen über die Kinder unter drei Jahren. Da haben wir ein massives Defizit.

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer und liebe Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht täglich mit der Kinderbetreuungspolitik auseinandersetzen, für Sie möchte ich noch einmal versuchen, das zu erläutern. Es ist so: Alle Eltern, bei denen ein Kind zur Welt kommt, bekommen einen Gutschein nach Hause geschickt. Darin steht: Kommen Sie doch bitte und suchen Sie sich einen Betreuungsplatz für Ihr Kleinstes, wann immer Sie wollen, für wie viele Stunden Sie wollen, und Sie werden das von uns bekommen.

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, das ist etwa so, wie wenn ich Ihnen jetzt einen Gutschein nach Hause schicke: Machen Sie doch einmal Urlaub in Hessen am Meer. – Nur haben wir in Hessen kein Meer.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

– Wir haben den Edersee. Aber das ist sozusagen ein Binnenmeer. Einigen wir uns darauf.

Aber wir haben nicht die Kapazitäten in Hessen für Kinder unter drei Jahren, um auch nur in Ansätzen diesen garantierten Rechtsanspruch für alle Eltern zu erfüllen. Was Sie hier machen, ist Fake.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn Sie in Ihrem Antrag drei Phrasen dreschen, dann darf ich mich damit beschäftigen, Herr Blum.

Wahlfreiheit. Wahlfreiheit haben Sie z. B. in der Stadt Berlin. Da hatten sie Überkapazitäten. Sie hatten nach der Wende Überkapazitäten und wollten ein zielgenaues Planungsinstrument dafür, wie sie die Kapazitäten abbauen. Dann haben sie die Eltern gebeten, zu sagen, wie viele Stunden in welchem Stadtteil sie Betreuung brauchen. Danach haben sie ihre Kapazitäten reduziert.

In Hamburg gab es ein anderes Problem zum Thema Wahlfreiheit. Dort wurden die Plätze zentral und verpflichtend vergeben. Wohnten Sie also in Nordhamburg, haben Sie unter Umständen, wenn es schlecht lief, in Südhamburg einen Betreuungsplatz bekommen. Das haben sie damit auch geändert. Insofern bestand jetzt eine Wahlfreiheit in dem Sinne, dass Sie sich ihre Einrichtung selbst aussuchen können.

Aber gibt es das in Hessen? Wir haben in Hessen keine Verpflichtung, dass ich das Kind von Herrn Rock zwingen kann, die Arbeiterwohlfahrt in irgendeinem Stadtteil zu besuchen. Das geht überhaupt nicht.

Haben wir das Problem, dass wir zu wenige Träger haben? Das Problem haben wir auch nicht. Von welcher „mangelhaften Trägervielfalt“ faseln Sie eigentlich? Wir haben ausreichend viele und gute Träger, und alle Eltern können sich aussuchen, ihr Kind dort zur Betreuung zu geben, wo sie wollen. In dieser Frage gibt es eine Wahlfreiheit. Sie gibt es aber in einer anderen Frage nicht.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

– Nein, nicht in Frankfurt, sondern in allen Kommunen. Wo immer Sie hingehen, können sie sagen: Ich habe hier einen Gutschein, ich suche mir – z. B. – die GmbH Blum für die Kinderbetreuung aus. – Wenn aber die Plätze bei der GmbH Blum schon voll sind, Sie zur Stadt gehen, dort die Plätze aber auch schon belegt sind und schließlich zur Kirche gehen, die aber auch keine Plätze mehr frei hat, dann können Sie den Gutschein sonst wohin hängen, der nützt Ihnen gar nichts. Das ist das Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Wenn es so wäre, dass wir in Hessen zügig und schnell ausreichend Kapazitäten bekommen, dann kann man mit einem Gutschein eine zielgenaue Hilfeplanung erreichen. Diese Möglichkeit haben viele Kommunen genutzt. Sie wussten dann: einige Eltern brauchten eine Betreuungszeit von sechs Stunden, andere Eltern bis zu zehn Stunden. In Hamburg ist eine Betreuungszeit von bis zu zwölf Stunden möglich – aber, wie gesagt, da geht es um Kindergärten. Auf diese Weise erreicht man also Planungssicherheit und Zielgenauigkeit, und in solchen Zusammenhängen macht ein Gutschein eventuell Sinn. In Hessen liegt die Quote aber bei 19,7 Prozent. Das war der zuletzt errechnete Prozentsatz. Sie müssten auf 35 Prozent kommen. Nehmen wir als Beispiel Wiesbaden. Das Stadtparlament hat beschlossen, den Vorschlag zu prüfen, Gutscheine zu verschicken, einen Modellversuch durchzuführen. Die Quote in Wiesbaden liegt bei rund 20 Prozent entspricht also der durchschnittlichen Quote in Hessen.

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

– Herr Blum, was ist daran lustig? In Hamburg regieren wir auch, und wir verfeinern das Gutscheinsystem so, dass nicht nur Arbeitende einen Rechtsanspruch haben – –

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

– Ich finde es sehr gut, wenn Sie sich auf Hamburg beziehen. Dort, wo Sie nicht regieren, scheint das gut zu funktionieren. Fahren Sie ruhig nach Hamburg, dann können Sie noch ein bisschen lernen.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

Lassen Sie uns vor dem inneren Auge einmal ausmalen, wie es aussähe, wenn Wiesbaden das machen würde. Sie schicken also allen Eltern in Wiesbaden einen Gutschein nach Hause – –

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

– Unser Grundsatz ist, zu fördern. Das gilt auch für die FDP.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der FDP)

Die Landeshauptstadt Wiesbaden verspricht also allen Eltern: Ihr bekommt einen Gutschein, ihr bekommt alle eure Kinder unter drei Jahren betreut. – Da wird Ihnen der zuständige Sozialdezernent der Stadt Wiesbaden sagen: Könnt ihr uns erklären, wie wir unsere Kapazitäten ausweiten sollen, wenn das Land uns nicht einen Euro mehr gibt? Der Gutschein ist ein Stück Papier, aber die Plätze müssen nach wie vor bezahlt werden. Entweder die Städte oder andere finanzieren die Plätze, die die Eltern gegen ihre Gutscheine einlösen. Woher soll das Geld dafür kommen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, Sie werden uns sicher gleich erklären, wie Sie das mit der fulminanten Summe von rund 300.000 Euro finanzieren wollen. Bleiben wir ruhig bei dem Beispiel Wiesbaden, denn man hört Gerüchte, dort könnte es mit dem Versuch klappen. Die Stadt Wiesbaden bekommt also 313 Euro pro Platz. Die wird sagen: Vielen Dank für diesen Modellversuch. Jeder Betreuungsplatz kostet im Jahr etwa 10.000 Euro. Wir können also 30 neue Plätze schaffen. Da wird die Stadt Wiesbaden sagen: Super, wir machen einen Autokorso durch die Stadt, denn jetzt haben die Eltern einen garantierten Rechtsanspruch, was für ein toller Modellversuch.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, Sie meinen, dass die 300.000 Euro für die wissenschaftliche Betreuung der Modellversuche eingesetzt werden. Was betreuen Sie da eigentlich? Das, was die Stadt Wiesbaden sowieso tut? Was wird sich denn ändern, wenn die Eltern, obwohl sie einen Gutschein haben, keinen Platz bekommen? Dann können die sich doch auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln. Damit hat die Politik doch überhaupt nichts verbessert – auch nicht die Qualität. Die Qualität verbessert sich in der Tat dann, wenn die Einrichtungen untereinander den Druck haben, gute Qualität abzuliefern, oder wenn sie „von oben“ eine Zielvereinbarung vorgelegt bekommen, die lautet, bitte bestimmte Qualitätskriterien zu erfüllen. Dann wird sich etwas an der Qualität ändern. Führen Sie von mir aus doch endlich ein Qualitätssiegel für Kindergärten ein. All das führt dazu, dass wir eine bessere Qualität der Betreuung in den Kindergärten und in den Krabbelstuben bekommen. Alles andere, z. B. die Wahlfreiheit, ist nur eine Phrase. Wahlfreiheit wird es dann geben, wenn wir genug Plätze haben. Die Trägervielfalt, die wir haben, können wir gerne noch weiter fördern, aber sie entsteht nicht dadurch, dass Sie Gutscheine verteilen.

Sie sagen wollen, wir werden einen großen Sprung bei Angebot und Nachfrage hinbekommen. Dazu sage ich: Es ist doch so, dass sich die Eltern schon einen Tag nach der Geburt Sorgen darüber machen, wo sie ihr Kind betreuen lassen können.

(Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

– Ja, Kollegin Dorn, auch schon vor der Geburt. – Es ist doch nicht so, dass Sie ein Angebot stimulieren müssten. Wir haben eine übergroße Nachfrage nach Betreuungsplätzen. Diese Nachfrage muss man nicht stimulieren. Die ist tatsächlich vorhanden. Herr Minister, für Hessen könnten Sie tatsächlich etwas tun, wenn Sie endlich ein Bonussystem einführen würden, das darauf zielt, die Quote endlich zügig zu erreichen. Auch das steht übrigens in Ihrer Koalitionsvereinbarung. Wenn wir Ihnen mit einem Antrag dabei helfen können, tun wir das gerne, damit ein solches Bonussystem eingeführt wird.

Ich will damit sagen: Wenn Sie es in Hessen schnell schaffen, die Kapazitäten in der Fläche auszuweiten – die Großstädte bekommen es irgendwie hin –, wenn Sie es hinbekommen, dass wir endlich genügend Stunden und Erzieherinnen haben, damit das Angebot ausgeweitet werden kann, dann können wir uns gerne darüber unterhalten, ob Gutscheine einen Beitrag zu mehr Qualität und Quantität in der Kinderbetreuung zu leisten. Machen Sie Ihren Modellversuch. Wir sehen das alles sehr, sehr skeptisch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Norbert Kartmann:

Vielen Dank, Herr Bocklet.

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