Inhalt

09.07.2009
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet zu: Ausbildungsplätze sichern und schaffen

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte hat mich sehr nachdenklich gestimmt, weil ich glaube, dass Sie, Herr Schork, das Thema verfehlen. Wenn Sie eine Rede darüber halten, wie viel die Landesregierung und wie viel die Wirtschaft getan haben, dann gibt es nur wenige in diesem Raum, die sagen würden, in den letzten Jahren sei nichts bewegt worden.

Aber Sie missachten völlig, und das stimmt mich sehr pessimistisch, dass wir aktuelle Entwicklungen haben, und diese aktuellen Entwicklungen nehmen Sie nicht zur Kenntnis. Heute früh war im „Deutschlandfunk“ zu hören, die Situation auf dem Lehrstellenmarkt hat sich verschlechtert. Bundesweit habe der Deutsche Industrie- und Handelskammertag einen Rückgang bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen um 9,3 Prozent registriert.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Sie können gerne alle Meldungen zusammenfassen, zur Wirtschaftskrise, zur Finanzkrise. Jeder Spatz, jede Taube pfeift es vom Dach: Wir wissen, dass die Krise sich auf dem Ausbildungsmarkt auswirkt. Es kommt einem schon sehr komisch vor, wenn die Hessische Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen sich dann hinstellen und einen Antrag vorlegen, der all das ignoriert und sagt: Prima, weiter so. – Herr Schork, das kann es doch nicht sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Günter Schork (CDU))

Herr Schork, legen Sie eine andere CD ein als immer nur die der Jubelchöre. Nehmen Sie einmal zur Kenntnis, dass wir im Herbst ein großes Problem haben werden. Ich will Ihnen einmal die Zahlen der Bundesagentur und nicht die irgendwelcher verrückten LINKEN oder GRÜNEN sagen. Die Bundesagentur sagt, es gibt 31.500 Bewerber und 27.000 Stellen. Sie sehen, im Juni gab es eine Lücke von 4.000 Plätzen. Wir wissen alle, dass sich das wieder anpassen wird. Es werden nicht 4.000 sein, aber es werden mehrere Hundert, wenn nicht gar 1.000 bis 2.000 Jugendliche sein, die keine Ausbildungsstelle finden werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

Ich bitte Sie nachdrücklich darum, dieses Problem nicht als eine linke Spinnerei abzutun. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft von Jugendlichen und ihre Teilnahme am Berufsleben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Walter Arnold (CDU))

– Herr Dr. Arnold, ich gehe gerne auf Sie ein. – Sie bilden aus. Die Wirtschaft bildet aus. Die Landesregierung hat in ihrem Etat auch Mittel für den zweiten und dritten Arbeitsmarkt eingestellt. Aber es wird nicht mehr genügen. Wollen Sie sehenden Auges Hunderten von Eltern erklären wie damals Herr Banzer – vor vier Wochen hat Herr Banzer enttäuschten Eltern erklären müssen, warum sie nicht jetzt eine bessere Kinderbetreuung bekommen, sondern erst in drei Jahren –: „Wir haben es verpennt, dass Ihre Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen“? – Sie wollen das nicht, aber Sie werden es machen. Sie laufen sehenden Auges in eine Ausbildungsplatzkrise hinein, und Sie tun zu wenig. Das ist der Punkt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wer jetzt nicht mehr unternimmt, um diese Jugendlichen in Ausbildung zu bringen, der wird sie von der Teilhabe an unserer Gesellschaft ausgrenzen.

Vizepräsident Frank Lortz:

Herr Kollege Bocklet, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Arnold?

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Dr. Walter Arnold (CDU):

Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Würden Sie mir zustimmen, dass die Landesregierung in diesem Jahr, wie in den Vorjahren, alle Möglichkeiten ausschöpft, um in ihrem Zuständigkeitsbereich Ausbildungsplätze vorzusehen, und würden Sie mir zustimmen, dass hauptsächlich die Wirtschaft für die Schaffung von Ausbildungsplätzen zu sorgen hat und wir erstens dafür sorgen, dass die Wirtschaft prosperiert und zweitens für den Wegfall von Ausbildungsplätze in Betrieben, die in Konkurs gehen, eine Alternative vorgesehen?

Marcus Bocklet:

Es steht ja in Ihrem Antrag, dass Sie das verabschiedet haben. Nein, ich stimme Ihnen nicht zu, weil die Landesregierung und die CDU- und FDP-Fraktion zurzeit, im Juli 2009, nicht genug tun, damit im September und Oktober im Land Hessen genug Ausbildungsstellen zur Verfügung stehen. Das ist das Problem, Herr Dr. Arnold, da können wir reden, so lange wir wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich komme gleich dazu, was ich Ihnen vorschlagen will. Wir können auch über die freie Wirtschaft reden. Ich habe mir die Ausbildungsquoten von DAX-Unternehmen herausgesucht. Münchner Rück, Hannover Rück, Adidas, Deutsche Post und Deutsche Lufthansa haben eine Ausbildungsquote zwischen 1 und 2 Prozent. Würden Sie mir zustimmen, dass das entschieden zu wenig ist, dass das nicht die 7 Prozent sind, von denen in dem Antrag die Rede ist?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Auch bei den hessischen Unternehmen gibt es große Unterschiede. Einige– vor allem das Handwerk – bilden deutlich über dem Durchschnitt aus, aber einige bilden zu wenig aus. Daher frage ich den Herrn Arbeitsminister, was tut er, damit der Druck auf diese Unternehmen wächst. Zweitens frage ich die Hessische Landesregierung, was sie tut, damit wir die Bewerber für die offenen Stellen ausbildungsreif machen. Auch das ist eine wunderschöne Debatte. Es gibt offene Stellen, und es gibt eine Masse an Bewerbern, aber Stellen und Bewerber passen oft nicht zueinander. Das mag ein verdammt diffiziles Problem sein, aber es eine Aufgabe der Landesregierung, dafür zu sorgen, dass jeder Jugendliche in diesem Land so ausbildungsfähig ist, dass er eine Ausbildungsstelle annehmen kann. Das ist im Land Hessen nicht der Fall.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deswegen komme ich noch einmal zu der Frage, was man tun müsste, wenn man weiß, es werden mindestens mehrere hundert Ausbildungsplätze fehlen. Dann muss man sich auch um die Frage kümmern, dass wir öffentliche und überbetriebliche Ausbildungsplätze anbieten. Wir werden uns außerdem darüber unterhalten müssen – da widerspreche ich den LINKEN –, wie wir durch Modularisierung andere Ausbildungsformen schaffen, um schwache Jugendliche zu fördern.

(Zurufe von der LINKEN)

– Sie haben gesagt, Sie finden das schlecht. Das ist aber ein durchaus richtiger Vorschlag. – Wir brauchen auch assistierte Ausbildungsgänge. Wir wissen, warum bestimmt Jugendliche keine Ausbildung bekommen. Diese Jugendlichen haben deutliche Schwächen, die sie über eine lange Zeit in unserem Schulsystem angeeignet bekommen. Deswegen müssen wir an der Stelle viel, viel mehr tun.

Die Fördermaßnahmen, die diese Landesregierung anstrengt, sind nicht hinreichend. Herr Arnold, das wissen auch Sie. Wir werden einen Berg an Altbewerbern haben. Die Bundesagentur spricht von 22.000 Altbewerbern im Jahr 2008. Wir werden in diesem Jahr wieder eine Fülle von Altbewerbern haben. Ich erzähle Ihnen gern davon, wie ich vor einer Gruppe von 25 Haupt- und Realschülern mit guten Abschlusszeugnissen stand, die ein freiwilliges soziales Jahr gemacht haben. Die haben das deshalb gemacht, weil sie keine Ausbildungsstelle bekommen haben. Wir reden über deren Zukunft. Wenn Sie nicht mehr tun, um diesen Jugendlichen mehr Ausbildungsplätze zu verschaffen, dann versägen Sie deren Zukunft. Das verurteilen wir GRÜNEN ein weiteres Mal ganz entschieden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt kümmere ich mich noch ganz kurz um die LINKE. Ich habe auf das Datum geschaut. Sie haben die SPD-Fraktion in den Forderungen in Ihrem Antrag nicht überboten, obwohl Ihr Antrag nach dem der SPD-Fraktion einging. Das geht ja sonst so wie an der Wursttheke, nach dem Motto „Darf es in bisschen mehr sein?“. Die SPD wollte 10 % für den Landesdienst, Sie fordern nur 7 Prozent.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bestimmt ein Tippfehler! – Zurufe von der LINKEN)

Das muss Ihnen durchgerutscht sein. Eigentlich hätte da „11 Prozent“ stehen müssen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will mich aber gern mit der Sache auseinandersetzen. Vielleicht haben Sie so kluge Referenten wie wir. Ein Blick in den Stellenplan hat ergeben: Bei 33.000 Angestellten- und 2.200 Ausbildungsstellen beträgt die Ausbildungsquote 6,9 Prozent, also fast 7 Prozent. Schauen wir in den Bereich der Beamten: Bei 97.000 Beamten- und 8.900 Ausbildungsstellen sind wir bei eine Ausbildungsquote von 8,3 Prozent.  Da sage ich doch hoppla.

(Minister Volker Bouffier: Das wollte eigentlich ich sagen!)

– Habe ich Ihnen etwas weggenommen? Tut mir leid.

(Heiterkeit – Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir bereiten uns bei gewissen Themen hin und wieder vor. Die LINKE fordert also etwas, was schon erfüllt ist. Das ist zwar ein bisschen dumm gelaufen, das kommt aber vor.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Wir begrüßen das trotzdem. Wir erlauben uns, dem SPD-Antrag zuzustimmen, weil wir eine Quote von 10 Prozent für richtig halten.

Ein zweiter Satz: Bundesratsinitiativen sind in dieser Frage wohltuend; wir finden sie aber nicht zielführend. Wir haben andere Vorschläge.

Vizepräsident Frank Lortz:

Herr Kollege Bocklet, Kollege Schaus möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Marcus Bocklet:

Herr Schaus, machen wir es anders. – Wir GRÜNEN haben verschiedene Forderungspakete. Dazu gehört, an die CDU gerichtet, die Forderung nach einer Ausbildungsumlage für Betriebe, die sich nachhaltig weigern, auszubilden, eine Umlage, mit der Betriebe gefördert werden, die ausbilden. Das kann man machen. Wir brauchen zweitens ein Schulsystem, in dem die schwachen Schüler besser gefördert werden und einen direkten Weg in den ersten Ausbildungsmarkt finden. Wir brauchen drittens einen Arbeitsminister, der dieses Thema zur Chefsache macht, denn wir dürfen den Streit nicht auf dem Rücken der Jugendlichen austragen und zulassen, dass im Herbst Ausbildungsplätze fehlen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Zu einer Kurzintervention hat Herr Kollege Schaus das Wort.

Hermann Schaus (DIE LINKE):

Herr Kollege Bocklet, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, ich weiß, dass Sie sich besonders gern an uns abarbeiten. Wenn Sie nichts finden, dann erfinden Sie etwas. Das war ein solcher Beitrag. Da fordern wir einmal etwas Realistisches – sonst sagen Sie immer, wir fordern Unrealistisches, zumindest nach Ihrer Lesart –, und auch das passt Ihnen nicht.

(Heiterkeit und Beifall)

Ich darf Sie daran erinnern, dass wir zum Thema Ausbildungsplätze eine Kleine Anfrage eingebracht haben. Weil Sie die Zahl der Beamtenanwärterinnen und Beamtenanwärter angesprochen haben – da hat es in der Tat eine Steigerung gegeben –, will ich daran erinnern, dass diese Steigerung im Wesentlichen auf Probleme, insbesondere im Polizeidienst, zurückzuführen ist, wo zusätzliche Anwärterinnen und Anwärter eingestellt wurden. – Der Minister bejaht das. Das ist eine Steigerung, die es in den vergangenen Jahren nicht gegeben hat.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir hatten ja den Antrag eingebracht, die Zahl der Stellen für Polizeianwärterinnen und -anwärter von 550 auf 600 zu erhöhen, damit am Ende mindestens 550 Stellen herauskommen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, und kommen Sie auf eine sachliche Ebene zurück. Man muss sich nicht immer an uns abarbeiten, auch wenn es Ihnen schwerfällt, das nicht zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank. – Herr Kollege Bocklet antwortet.

Marcus Bocklet:

Herr Kollege Schaus, mein Bedürfnis, mich an der LINKEN abzuarbeiten, ist relativ gering. Das können Sie mir glauben. Ich will aber gerne den Satz zitieren, der in Ihrem Antrag steht: Die Ausbildungsquote des Landes ist auf mindestens 7 Prozent zu erhöhen. – Normalerweise bekommt man viel Geld für Polit-Coaching. Wenn Sie etwas Realistisches fordern wollen, brauchen Sie nicht gleich weniger zu fordern. Sie können durchaus etwas Neues und mehr fordern.

An der Stelle haben Sie es aber einfach versemmelt. Nehmen Sie das doch einmal hin. Beim nächsten Mal schauen Sie sich die Stellenpläne an, schauen Sie sich an, in welchem Umfang das Land ausbildet, und schon haben Sie eine Zahl, auf die man sich einigen kann.

(Lebhafte Zurufe von der LINKEN)

Ich finde, dass die LINKE auch bei ihren politischen Forderungen – –

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

– Frau Wissler, ich verstehe Sie akustisch nicht. – Ich bin der Meinung, dass die LINKE, wie alle Parteien, in einer Konkurrenz steht, sich den Anforderungen und Qualitätsstandards stellen und sich daran messen lassen muss. Das bedeutet, dass Sie das, was Sie fordern, vorher einmal gerechnet oder geprüft haben, dass Sie nicht einfach nur sagen, wer weiter werfen kann, der gewinnt das Rennen. Das haben Sie an der Stelle einfach versägt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank.

Kontakt