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06.10.2011
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Wegsperren von Kindern ist keine Lösung

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, wenn wir hier über Freiheitsentzug reden – und das ist es –, dann brauchen wir eine gewisse Ernsthaftigkeit. Wir wissen, dass der Freiheitsentzug für alle Bürger ein schwerer Eingriff in die Bürgerrechte ist. Dementsprechend ist es auch ein schwerer Eingriff in die Rechte der Kinder. Er darf nur das letzte, das wirklich letzte Mittel der Jugendhilfepolitik sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen bin ich und ist auch meine Fraktion, anders als andere Teile dieses Hauses, nicht der Meinung, dass eine geschlossene Unterbringung grundsätzlich abzulehnen, sondern als allerletztes Mittel denkbar ist. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland, wie schon geschildert, knapp 300 Plätze in über 15 Einrichtungen. Es gibt also ein Angebot, das bewusst sehr knapp gehalten wird, um keine weiteren Bedarfe und Wünsche zu wecken. Aber dieses ist ausreichend. Das hat sich auch bewahrheitet.

Wer im Jugendhilfeausschuss im Juni 2011 die Zahlen genau gesehen hat und nicht darüber fabuliert, welche möglichen Bedarfe bei Jugendlichen bestehen – ich will darauf hinweisen, es handelt sich nicht um Jugendliche, sondern um Kinder von zehn bis 14 Jahren –, zukünftige Bedarfe, die Sie abgefragt haben, Herr Minister, sondern wir uns die realen Zahlen der letzten 15 Jahre direkt und faktisch anschauen, dann ist es, wie es Frau Schott zu Recht bemerkte, ein Kind pro Jahr, das in eine geschlossene Unterbringung gebracht wurde. Wer den Verdacht ausschließen will, dass er nicht aus ordnungspolitischen Gründen mehr Bedarfe wecken will, der muss vorher nachweisen, dass er tatsächlich alles andere getan hat, um eine geschlossene Unterbringung zu vermeiden, Herr Minister. Dafür stehen wir ein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir nehmen das sehr ernst. Ich habe im Sozialausschuss erlebt, welcher Kritik wir ausgesetzt waren: „Sie wollen sich wegducken, Sie nehmen das Wohl des Kindes nicht ernst.“ Ich glaube, dass umgekehrt ein Schuh daraus wird.

In Niedersachsen hat 2010 die CDU-FDP-Regierung ein neues geschlossenes Kinderheim eröffnet. Schauen Sie sich das einmal an – bereits in einem Jahr 15 Vorkommnisse. Wir nehmen das wirklich sehr ernst. Wir haben große Probleme damit. Wir können uns vorstellen, dass das am Ende einer längeren Kette von pädagogischen Maßnahmen stehen muss. Es gehört auch zur Wahrheit zu sagen, wenn ein zehnjähriges Kind weggesperrt werden muss, dann ist zehn Jahre vorher in der Jugendhilfepolitik etwas schief gelaufen. Wie weit ist es da gekommen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist es nicht eine Schönwetterankündigung, sondern man muss genau prüfen, was in der Prävention gelaufen ist. Jetzt möchte ich Ihnen sagen, was mich richtig ärgerlich macht. Es gibt zwei Sachen. Die eine Sache ist Ihr Schönwetter-Wording. Herr Bartelt, Sie tun sich besonders dabei hervor. Sie schildern es ja gerade als ein Kurerholungsheim. Dieses Gebäude hat eine Mauer, Entschuldigung. Es ist nicht geschützt. Es gibt keine geschützte Unterbringung. Das BGB beschreibt klipp und klar, dass eine geschlossene Unterbringung eine freiheitsentziehende Maßnahme ist. Und um nichts anderes geht es.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und des Abg. Ernst-Ewald Roth (SPD))

Das zeigt, dass es ein schwerwiegender Eingriff ist. Da sagt das BGB zu Recht – –

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

– Ja, da wacht auch der Kollege Rentsch auf, guten Morgen. – § 1631b: Eine Unterbringung des Kindes ist dann möglich, wenn auch nicht durch andere öffentliche Hilfen dem anders begegnet werden kann. – Jetzt kommt der Herr Minister Grüttner. Seit zwölf Jahren drücken Sie sich in dieser Landesregierung herum.

(Zuruf des Ministers Axel Wintermeyer – Weitere Zurufe von der CDU)

Dann werden Sie wissen, dass es so wie folgt war. Schauen wir uns einmal an, was Sie im Jahre 2004 gemacht haben.

(Fortgesetzte lebhafte Zurufe von der CDU)

Sozialpädagogische Maßnahmen für straffällige Jugendliche. Zitat: Erstens. Sozialpädagogische Maßnahmen für straffällige Jugendliche um 230.000 € auf null, die dringend – –

(Fortgesetzte Zurufe)

– Hören Sie genau zu.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Kollege Bocklet, da die Aufregung hier hochgeht, darf ich Sie noch einmal darauf hinweisen, im Rahmen der parlamentarischen Ausdrücke zu bleiben. Herzlichen Dank.

Marcus Bocklet:

Vielen Dank, Frau Präsidentin, ich gebe mir allergrößte Mühe. – Die sozialpädagogischen Maßnahmen für straffällige Jugendliche hat diese Landesregierung von 230.000 auf null Euro gekürzt, die dringend notwendige Erziehungsberatung genau für diese Jugendlichen von 3,9 Millionen Euro auf null gekürzt, für Ausländerkinder und Aussiedlerkinder – wir wissen um die Probleme von russlanddeutschen Jugendlichen – von 700.000 Euro auf null gekürzt, die Jugendhilfe – Achtung! – in Brennpunkten von 1 Million Euro um 840.000 und damit um über 80 Prozent gekürzt. Das ist die landespolitische Kürzungsorgie in der Prävention.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wer weiß, dass die Kommunen dringend die Mittel brauchen, ihnen 340 Millionen Euro aus dem Kommunalen Finanzausgleich klaut und weiß, sie haben große Probleme in der präventiven Jugendhilfe

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Kollege Bocklet, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Marcus Bocklet:

– ja, komme ich –, diese sozialen Netzwerke vor Ort bereitzustellen, und sie dicht zu machen, Herr Irmer, der kann nicht auf der anderen Seite sagen: Prävention ist mir wurst, aber wegsperren, dafür schaffe ich hier ein Leuchtturm in diesem Land. – Das ist unglaubwürdig und nimmt das Wohl der Kinder nicht ernst. Dafür sind wir nicht zu haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank.

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