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26.11.2015
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Solidarität mit Flüchtlingen – Maßnahmen umsetzen

Danke schön, Frau Präsidentin. – Da soll noch einmal jemand sagen, ein FDP-Antrag sei zu nichts gut. Ich kann das heute nicht bestätigen. Er hat das Haus von der CDU bis zur Linkspartei vereint.
(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)
Dieser Versuch, den Sie unternommen haben, eine Antwort zu geben, war erbärmlich, meine lieben Kollegen von der FDP.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Ich bin froh, dass wir im Hessischen Landtag versuchen, uns den tatsächlichen Problemen der Flüchtlingszuwanderung und der Krise, die sie mit ausgelöst hat, tatsächlich zu stellen.
Ich bin froh, dass im Aktionsplan, den die hessische Landesregierung vorgelegt hat, tatsächlich eine Haltung zum Ausdruck kommt, die klar beschreibt, wo die Probleme sind. Die Probleme liegen darin, dass wir Fluchtursachen in Syrien, im Irak, in Afghanistan und in Eritrea haben. Das sind die Hauptländer, aus denen Menschen zu uns flüchten.
Wir alle wissen, dass eine tatsächliche Lösung und eine Verringerung der Fluchtursachen und damit auch eine Verringerung der Flüchtlingszahlen nur dann zustande kommen, wenn es uns wirklich gelingt, diese Krisenherde zu befrieden. Das ist die ehrliche Antwort.
Nur wenn es uns gelingt, in Syrien einen Friedensplan zu bekommen, den Herr Steinmeier zu verhandeln begonnen hat, der einen Waffenstillstand in sechs Monaten und Neuwahlen in 18 Monaten umfasst, dann haben wir aus meiner Sicht eine große Chance, dass sich die Flüchtlingszahlen aus Syrien verringern.
Nur wenn es uns gelingt, im Irak tatsächlich eine zivile Lösung hinzubekommen, und wenn es uns gelingt, in Afghanistan die Situation so zu stabilisieren, dass die Menschen dort bleiben und nicht vor Taliban oder anderen Rädelsführern flüchten müssen, verringern sich die Zahlen.
Aber sie gehen nicht durch solche Anträge zurück, die der Bundesregierung vorwerfen – Ich finde Ihre Wortwahl wirklich übel; das muss ich sagen.
(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))
– Der Bundesregierung und der Kanzlerin Chaos vorzuwerfen, Herr Kollege Rentsch, als Tausende von Menschen vor der ungarischen Grenzen standen und die Bundeskanzlerin Mut hatte und Rückgrat bewiesen hat, diesen Menschen zu helfen, finde ich erbärmlich, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Es war kein Chaos, das ausgelöst wurde, sondern es war eine humanitäre Notlösung. Dagegen kann man nicht ernsthaft sein. Dass daraus eine Folge von Problemen entstanden ist, ist doch unstreitig. Die Frage ist jetzt nur: Wie gehen wir damit um? Ich finde, auch da hat die Bundesregierung, die wahrlich nicht von uns gestellt wird, eine Menge richtiger Ansätze geliefert. Sie hat gesagt: Natürlich brauchen wir jetzt eine EU-weite Verteilquote für die Flüchtlinge, die ankommen. Es kann nicht sein, dass Schweden, Deutschland und Österreich die drei Länder sind, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen, dass insgesamt nur 10 von 27 EU-Ländern überhaupt bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Das ist eine Lösung von Problemen: Wir müssen sie gerechter verteilen.
Dann gibt es ein drittes Problem. Wir müssen uns um die Menschen kümmern, die hier ankommen: die Flüchtlinge. Damit haben wir eine große Hausaufgabe. Wir müssen gucken: Wie werden sie erstversorgt? Wie werden sie schnell registriert? Wie bekommen sie ein schnelles und gerechtes Verfahren? Wie werden sie ärztlich, medizinisch versorgt? Wie ist das mit Psychotraumatabehandlung? Wie ist es später bei der Zuweisung? Wie bekommen sie die frühkindliche Sprachförderung, die schulische Sprachförderung, im Übergang von Schule und Beruf ihre Sprachförderung? Wie bekommen die Erwachsenen ihre Sprachförderung? Wie gelingt es, diese Menschen in Lohn und Brot zu bekommen?
Wie gelingt es, diese Menschen zu integrieren? Wie gelingt es uns als Gesellschaft, diese Integrationsstruktur zu schaffen, den Wohnungsbau anzukurbeln, die Fachkräfte zu bekommen, die uns fehlen, Sozialarbeiter, Ärzte, Lehrer? Wie gelingt uns das?
Das sind Probleme, denen sich die Landesregierung in Hessen stellt. Das finde ich eine richtige, sachgerechte und adäquate Lösung und nicht das Stolpern von einem schlechten Vorschlag in den anderen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Ich will gar nicht weiter darauf eingehen. Ich habe schon gesagt, dieser Vorschlag – Herr Merz hat es zu Recht wiedergegeben – löst kein einziges Problem wirklich. Der für uns GRÜNE sehr schmerzliche Asylkompromiss hat tatsächlich dazu geführt, dass die Verfahren beschleunigt werden. Dieser Kompromiss ist für alle Seiten, die daran beteiligt sind, wahrlich kein freudiges Ereignis gewesen.
Aber wir müssen feststellen: Jeder Mensch, der hier ankommt, bekommt ein rechtsstaatliches Verfahren. Er wird registriert und hat ein Recht darauf, sein Asylgesuch, sein Schutzgesuch zu stellen. Danach bekommt er es entweder, oder wenn er es nicht bekommt, hat er ein Klagerecht oder ein Widerspruchsrecht. Wenn auch das negativ beschieden worden ist, dann hat er die Möglichkeit, prüfen zu lassen, ob es Abschiebehemmnisse gibt. – Dieses Verfahren bleibt, und zwar für alle, die nach Deutschland kommen. Ich sage: Das ist auch gut so. Es wird beschleunigt, aber das ist der Kompromiss. Es ist gut, dass es dieses Verfahren mit der Einzelfallprüfung so gibt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)
Deshalb komme ich zu dem Antrag der LINKEN. Sie haben einen eigenen Antrag eingebracht, der das noch einmal beschreibt. Zu allen Themen dieser Flüchtlinge, zu allen Fluchtursachen und zu allen Ländern haben wir gesagt: Wir wollen eine sorgfältige Einzelfallprüfung für alle Flüchtlinge, und das gilt selbstverständlich auch für Afghanistan. Das gilt auch für alle Lagen, ob Winter oder gar Epidemien. Darüber haben wir auch schon diskutiert. Das gilt auch für alle Länder.
Ich wiederhole es gerne noch einmal: Wir wollen, dass jeder Einzelfall nach gesetzlichen Maßstäben sorgfältig und sensibel dahin gehend geprüft wird,
ob der Abschiebung oder freiwilligen Ausreise tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen, nach denen eine zeitliche Aussetzung der Abschiebung entsprechend der Entwicklung der Sicherheitslage geboten erscheint.
Dazu gehört auch, dass wir die Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes oder des Bundesministeriums der Verteidigung zu den Sicherheitslagen in den betroffenen Ländern in der Einzelfallprüfung beachten.
Ich komme zu dem letzten Absatz. Was sagt das Auswärtige Amt? Man hat eine Studie des Auswärtigen Amtes, und in dieser vertraulichen Analyse zur abschieberelevanten Lage vom 6. November – das ist noch nicht so lange her – wird gesagt, dass es in Afghanistan eine stark unterschiedliche Situation gibt, die sehr volatil ist. Die größte Bedrohung für die Bürger Afghanistans geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Personen kaum Einfluss und kann sie nur begrenzt kontrollieren oder diese Taten verurteilen. Besonders negativ wird in der Analyse die Lage von Frauen und Kindern beurteilt. Traditionell diskriminierende Praktiken, Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen, abgelegenen Regionen, Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden vor allem in Familien statt usw. usf.
An einer weiteren Stelle heißt es, Rückführungen von Afghanen seien wegen der schwierigen Sicherheitslage deshalb derzeit kaum möglich. Die Gefahr für Leib und Leben sei in jedem zweiten afghanischen Distrikt hoch oder extrem. Selbst in Landesteilen, die bisher als relativ sicher gegolten hätten, wüchsen die Bedrohungen rasant. Die afghanischen Sicherheitskräfte hätten inzwischen zwar landesweit die Sicherheitsverantwortung übernommen, hätten die Lage jedoch bisher nicht überall unter Kontrolle bringen können.
Wenn Sie all das zur Frage von Abschiebehemmnissen in Betracht ziehen, dann halte ich es für relativ unwahrscheinlich, dass es noch möglich ist, dass Menschen in diese Situation abgeschoben werden.
(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))
Aber es bleibt bei einer Einzelfallprüfung, weil es dennoch ein rechtsstaatliches Verfahren ist,
(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))
dass jeder Mensch, der hier ein Schutzgesuch stellt, dieses Verfahren bekommt. Sowohl in die eine Richtung wie in die andere Richtung wird sorgfältig geprüft. Ich finde, da haben wir eine sehr gute Lösung in Hessen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
An die Adresse der Linkspartei sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass, wenn Sie in der Opposition solche Anträge stellen, Sie sich auch die Frage gefallen lassen müssen: Was macht die Linkspartei, wenn sie regiert? Auch da möchte ich für alle hier im Saal zur Kenntnis geben, dass wir in Thüringen, wo Sie den Ministerpräsidenten stellen, nachgefragt haben. Mit Stand von heute gibt es keinen generellen Abschiebestopp in Thüringen, aus gutem Grund. Das gibt es bundesweit nirgendwo, in Hessen auch nicht. Aber in Hessen werden wir besonders sorgfältig prüfen. Diese Zusage geben wir allen hier im Lande.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Ich will es noch einmal sagen: Für uns ist es wichtig, gerade im Hessischen Landtag die Fragen zu behandeln, die sich hier stellen für die Flüchtlinge, für die Tausenden Ehrenamtlichen, für die Bürgerinnen und Bürger, die Sorge haben, wie wir mit der großen Anzahl von Menschen, von neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern umgehen. Wir haben einen großen Berg von Hausaufgaben zu erledigen. Wir haben einen Aktionsplan vorgelegt, strukturiert, ganzheitlich, wie wir gedenken, damit umzugehen, von der gesundheitlichen Versorgung, von der sozialen Versorgung, von der Wohnungsversorgung, von der beruflichen Qualifizierung. Wir haben einen hessischen Plan, und wir haben Eckpunkte formuliert. Wir wollen uns um die Probleme der Flüchtlinge kümmern, wir wollen uns vor allem um die Lösung dieser Probleme kümmern. Wir wollen viele Menschen dabei einbeziehen. Wir haben Finanzmittel dafür bereitgestellt.
Wir in Hessen sind handlungsbereit. Ich kann nur sagen: Wir sind auf einem richtigen Weg und sollten nicht jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf treiben, wie die FDP das aus populistischen Gründen machen will. – Ich danke Ihnen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
 
Vizepräsidentin Ursula Hammann:
Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet.

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