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18.05.2016
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Situation der Alleinerziehenden in Hessen

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin Özgüven – sie spricht gerade, ich möchte nur ganz kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten –, ich möchte Ihnen danken, dass Sie zu diesem Thema gesprochen haben. Ich möchte Ihnen danken, dass Sie diesen Tagesordnungspunkt heute hier ins Plenum gebracht haben – genauso der SPD mit ihrer Großen Anfrage, die das Thema noch einmal in den Fokus rückt, wie die Situation von Alleinerziehenden in Hessen ist. Natürlich schließe ich in meinen Dank die Antwort der Landesregierung und eine mühevolle Zusammenstellung vielfältigster Informationen ein. Ich glaube, das gibt noch einmal einen guten Blick auf die Situation von Alleinerziehenden.
Sie haben es angesprochen, Frau Kollegin. Wir haben rund 190.000 Alleinerziehende. Wir wissen, dass es rund 40.000 Leistungsberechtigte gibt, erwerbsfähige Leistungsberechtigte, und zusätzlich dazu 13.000 alleinerziehende Arbeitslose.
Die Situation von Alleinerziehenden – ich finde, Sie haben das zutreffend beschrieben – ist eine schwere. Deswegen haben wir auch schon im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir noch einmal den Fokus darauf richten und einen besonderen Schwerpunkt auf die Integration in den Arbeitsmarkt legen. Deswegen finde ich Ihre Kritik nicht ganz berechtigt. Wir haben auf der einen Seite die Situation von Alleinerziehenden, die dadurch geprägt ist, dass sich diese Frauen – 90 Prozent sind Frauen und etwa 10 oder 12 Prozent sind Männer, also kann man sagen, dass die meisten Frauen sind – in einer Situation befinden, dass sie sich einerseits um ihr Kind kümmern wollen und andererseits natürlich zum Erwerb ihres Einkommens beitragen wollen. In diesem Dilemma stecken sie. Wenn sich die Frauen dann entscheiden, dass sie mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen wollen, also etwa nur Teilzeit arbeiten, haben sie in dem Moment natürlich auch ein Einkommensproblem.
Gehen sie ganztags arbeiten, haben sie ein schlechtes Gewissen – das haben Sie schon beschrieben –, werden aber ganz sicher keine Aufstocker mehr sein. Aber genau in dem Dilemma der Vereinbarkeit von Beruf und Familie befinden sich die Alleinerziehenden in einem größeren Maße, weil ihnen eben der zweite Lebenspartner zur Erziehung des Kindes fehlt. Wenn sie sich dafür entscheiden, sich mehr um das Kind zu kümmern, kommen genau die Zahlen aus dem Bericht dabei heraus, die Sie korrekt wiedergegeben haben. Sie werden dann nämlich Aufstocker oder erhalten zusätzliche Sozialhilfe oder Wohngeld.
Deswegen müssen wir aber auch, um bei der Wahrheit zu bleiben, darüber sprechen, dass es Angebote gibt. Wir können niemanden verpflichten, Angebote anzunehmen und damit aus der Einkommensfalle herauszukommen. Es ist zuvorderst die Entscheidung einer Alleinerziehenden, zu sagen, nach welchem Modell sie leben will und wie viel Einkommen und Arbeitszeit sie annehmen will. Was der Staat und das Land tun müssen, ist, ausreichend Angebote zur Verfügung zu stellen. Da muss ich schon sagen, dass Sie heute im Jahr 2016 als Alleinerziehende – es mag noch ländliche Räume geben, wo das anders ist – in der Regel ein Kinderbetreuungsangebot finden, um Ihrer Arbeit nachgehen zu können.
(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))
Wenn Sie zu Recht beschreiben, dass das eine kommunale Aufgabe ist, dann kann ich Ihnen nur sagen: Es ist natürlich richtig, dass das eine kommunale Aufgabe ist, aber dass das Land trotzdem über 460 Millionen aus Landesmitteln bereit stellt, um die Kinderbetreuung sicherzustellen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
Ich finde, das ist lobenswert, obwohl es eine kommunale Aufgabe ist. Aber es ist ein wichtiger Punkt, um Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicherzustellen.
Schauen Sie sich den nächsten Schwerpunkt an. Wir haben mitbekommen, dass viele Alleinerziehende, aber auch Familien insgesamt ein großes Betreuungsproblem haben, wenn ihre Kinder in die Grundschule kommen. Deswegen haben wir das Betreuungsprogramm für die Grundschulen ausgeweitet und arbeiten daran, dass bis zum Ende der Legislaturperiode tatsächlich in jeder Gemeinde ein Angebot besteht, dass Kinder bis 17 Uhr betreut werden können.
Deswegen ist diese Kritik, wie ich finde, nicht ganz berechtigt. Es gibt in allen Bereichen noch viel Arbeit zu tun. Es gilt auch im Kinderbetreuungsbereich die Angebote weiter auszuweiten. Deswegen haben wir auch die Diskussion darüber geführt, welche Prioritäten wir setzen. Wir wollen nämlich zunächst einmal keine gebührenfreien Kitas, sondern wir wollen zunächst einmal Ausbau von Quantität und Qualität, um dann erst in einem zweiten Schritt mittelfristig die Kita gebührenfrei zu machen. Das war der letzte Streit. Aber Sie sehen, dass unser Engagement genau darauf abzielt, dass wir den Beruf ermöglichen wollen.
Wir haben auch schon in der letzten Legislaturperiode sehr viel über folgenden Punkt diskutiert: Man weiß, wie lange die Verweildauer der arbeitslosen Alleinerziehenden ist. Das können Sie dort nachlesen, dass die Verweildauer bis zu 48 Monate bei denen liegt, die sich in SGB II befinden. Das ist ein Handlungsfeld. Da muss es darum gehen: Was ist die bestmögliche Wiedereingliederungsmöglichkeit, um Alleinerziehenden den Einstieg in den Beruf wieder zu ermöglichen. Dort gibt es umfangreichste Programme. Sie hätten sie auch zitieren können. Sie sind dort in dem Bericht auf Seite 4 und 5 abgebildet. Da steht, wie viele Möglichkeiten es gibt, geförderte Einstiege in die Arbeitswelt zu bekommen.
Der dritte Punkt ist: Sie sagen auch zu Recht, dass wir ein Problem mit der Berufsausbildung der Alleinerziehenden haben. Es hat mich besonders erschreckt, dass von diesen Alleinerziehenden 5.000 keinen Hauptschulabschluss haben. Es gibt eine große Quote von alleinerziehenden Frauen, die noch überhaupt keine Ausbildung haben. Das sind ganz junge, auch Schülerinnen und Studentinnen. Deswegen kommt es darauf an, es hinzubekommen, denen eine Ausbildung oder Teilzeitausbildungslehrgänge anzubieten, sodass ihnen tatsächlich überhaupt erst einmal der Einstieg in die Arbeitswelt gelingt. Auch dafür gibt es eine Fülle von Programmen.
Deswegen verstehe ich Ihre Kritik in der Tat nicht. Wir können in Einigkeit feststellen: Über 190.000 Alleinerziehende gibt es. Das ist zunächst einmal eine Beschreibung des Istzustandes. Wir können darüber hinaus sagen, dass es 40.000 leistungsberechtigte und 13.000 arbeitslose Alleinerziehende gibt. Das sind 13.000 zu viel. Wir müssen alles dafür tun, dass dort die Berufsausbildung nachgeholt wird und dass dort tatsächlich Angebote der Arbeit nachgeholt werden. Es gibt eine Fülle von Angeboten. Ich würde jetzt sagen: Wir sollten es uns nicht schöner reden als es ist. Jede Alleinerziehende und jeder Alleinerziehende in Hessen ist einer zu viel. Jede Alleinerziehende ohne Ausbildung ist eine zu viel. Daran müssen wir täglich arbeiten.
Aber wenn man wirklich behaupten will, die Landesregierung würde nichts tun, dann erweckt das einen völlig falschen Eindruck. Es gibt wirklich eine Fülle von Angeboten an Kinderbetreuung, Ausbildung und Berufswiedereingliederung. Das sollten wir heute nun auch noch einmal feststellen. Das sind die wesentlichen Punkte, die Sie angeführt haben.
Ich finde diese Antworten sehr aufschlussreich. Sie signalisieren, dass es wahrlich noch eine Menge zu tun gibt. Ich finde es deshalb auch gut, dass Sie das noch einmal auf die Tagesordnung im Landtag gesetzt haben und dass wir noch einmal den Fokus darauf richten, wie die Situation von Alleinerziehenden ist und dass Sie mit dieser Anfrage noch einmal in Erinnerung rufen, dass noch eine Menge zu tun ist. Ich kann aber noch einmal definitiv Ihren Vorwurf zurückweisen: Wer das alles liest und die Anlagen liest, kann doch wahrlich nicht sagen, dass wir hier bei null anfangen. Über Jahre gibt es ein Programm für Wiedereingliederung und Ausbildung und für Kinderbetreuung.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
– Doch, die Kollegin hat versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die Landesregierung sich – Zitat – „aus der Verantwortung stiehlt“ und zu wenig tut.
(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))
Wenn das so ist, haben Sie alle Programme zur Wiedereingliederung, zur Ausbildung und zur Kinderbetreuung ignoriert. Am Ende des Tages müssen die Alleinerziehenden die Angebote natürlich auch annehmen wollen. Ich persönlich respektiere auch diejenigen, die für sich sagen: Ich kümmere mich als Alleinerziehender oder Alleinerziehende zunächst um die Kinderbetreuung. Das müssen wir auch feststellen. Wenn dann das Einkommen eben nicht so ist, dann steht auch dafür der Staat in der Verantwortung, aufstockende Sozialhilfe zu leisten. Aber das ist auch eine gewählte Form in der Frage, wie ich meine Erziehung wahrnehmen will.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)
In diesem Zusammenhang muss abgewogen werden. Zunächst einmal müssen die Bedürfnisse der Alleinerziehenden erfasst werden und es muss all denjenigen, die eine Ausbildung wollen und all denjenigen, die arbeiten wollen, tatsächlich ermöglicht werden, das zu tun. Und wir müssen durch die Kinderbetreuung die Vereinbarkeit herstellen. Aber am Ende des Tages müssen Alleinerziehende das tatsächlich auch wollen. Ich glaube, ich unterstelle nicht wenigen, dass viele auch sagen mindestens die ersten drei Jahre oder vielleicht auch die ersten vier oder fünf Jahre möchte ich mich tatsächlich mehr um mein Kind kümmern und werde auch ergänzende Sozialhilfe brauchen. Dann ist das auch in Ordnung und nicht nur ein Alarmsignal. Aber es will keiner schöner reden als es ist. Wir wissen, dass das keine schöne Situation ist, wenn man keinen Kinderbetreuungsplatz findet und keinen Arbeitsplatz, weil Arbeitgeber eben sagen: Na ja, wenn Sie krank werden, dann müssen wir auf Ihre Arbeit verzichten und das Risiko wollen wir nicht eingehen.
Das beschreibt der Bericht, wie ich finde, auch zu Recht. Da müssen wir auch noch einmal bei den Arbeitgebern werben.
Frau Kollegin Özgüven, jetzt komme ich noch zu einem Punkt, bei dem ich mit Ihnen hundertprozentig einer Meinung bin; es geht um die Frage des Unterhaltsvorschusses: Es kann mir keiner erklären, warum das Unterhaltsvorschussrecht tatsächlich so funktioniert, dass es nur sechs Jahre lang gilt. Für jeden, der nicht jeden Tag damit befasst ist: Wenn eine Frau sich von ihrem Mann trennt – das Kind ist, nur als Beispiel, vier Jahre alt – und der Mann sich weigert, für das Kind den Unterhalt zu bezahlen, dann bekommt die Frau nur sechs Jahre lang den Unterhalt bezahlt. Was ist denn, wenn das Kind zehn Jahre alt ist? – Dann braucht sie doch immer noch den Kindesunterhalt.
Ich finde, hier gibt es tatsächlich einen Reformbedarf. Ich finde, das ist unzumutbar. Ich finde tatsächlich, dass wir dafür sorgen sollten, dass die Frauen über einen längeren Zeitraum hinweg einen Unterhaltsvorschuss bekommen. Ich füge hinzu: Ich empfinde es auch als unhaltbar, wie gering die Nachholquote ist, also in welchem Ausmaß sich die Männer ihren Kindesunterhaltspflichten entziehen. Eine Rückholquote von nur 15 Prozent ist ein Skandal – das an die Adresse aller Männer, die sich der Pflicht entziehen, Kindesunterhalt zu bezahlen. Das muss man auch einmal festhalten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und bei Abgeordneten der SPD)
Dann komme ich zum Schluss. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Situation vieler Alleinerziehender ist beunruhigend. Wir müssen ihnen helfen. Ich glaube, es gibt eine Fülle von Angeboten. Wir müssen weiter daran arbeiten. Das Unterhaltsvorschussrecht müssen wir reformieren. Darin sollten wir uns auch einig sein. Ich glaube, Hessen ist auf einem guten Weg, dieser Zielgruppe von Alleinerziehenden zu helfen, sich wieder in die Gesellschaft eingliedern zu können, mehr als sie wollen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Ursula Hammann:

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet.

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