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08.03.2012
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Krippengipfel

Das sind hohe Anforderungen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

– Herr Minister, ich werde Sie nicht enttäuschen. – Vor fünf Jahren wurde im Bundestag – und damit auf Bundesebene – der Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung für Kinder unter 3 Jahren beschlossen. Am 1. August 2013 tritt dieser Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter 3 Jahren in Kraft. Dann haben alle Eltern einen gesetzlich garantierten Anspruch auf einen Betreuungsplatz für ihre Kinder unter 3 Jahren.

Es bleiben uns also noch 18 Monate Zeit, um die Möglichkeiten auf Wahrung dieses Rechtsanspruchs zu schaffen.

Angesichts der Tatsache, dass das Sozialministerium eine Befragung bei 33 Jugendämtern in Hessen durchgeführt und dass diese Bedarfserhebung ergeben hat, dass noch 13.000 weitere Betreuungsplätze für Kinder unter 3 Jahren fehlen und wir nur noch 18 Monate Zeit haben, können wir mit Fug und Recht davon sprechen, dass das wahrlich eine dramatische Situation der Betreuungspolitik ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minister, nach Ihren eigenen Angaben hat Hessen im Moment 45000 Betreuungsplätze für Kinder unter 3 Jahren. Da sind die Plätze für Tagespflege schon eingerechnet. Um den Bedarf zu decken, fehlen also, wie schon gesagt, weitere 13000 Plätze. Das sind eigene Zahlen des Hessischen Sozialministeriums, herausgegeben in dieser wunderschönen Broschüre.

Als Nebeneffekt zur Erhebung des Fachkräftebedarfs wurde natürlich als Grundlage zunächst einmal ermittelt, wie hoch eigentlich der Bedarf für die Kinderbetreuung als solche ist. Dabei kam heraus: 13000 Plätze fehlen gegenüber dem Sollzustand.

Wenn ich sage, das ist dramatisch, dann will ich Ihnen das mit Zahlen belegen. Die bisherige Ausbauquote, also das Anwachsen von Betreuungsplätzen bei Kindern unter 3 Jahren, betrug in den letzten Jahren zwischen 1,9 Prozent und 3,5 Prozent. Legt man also die höchste Zahl zugrunde, wird man wissen, dass bei momentan 45000 Plätzen in 18 Monaten diese 13000 Plätze nicht erreicht werden können. Ich wiederhole: Für uns GRÜNE, die Kinderbetreuung in diesem Land sehr ernst nehmen, ist das eine dramatische Situation.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was folgt daraus? Daraus folgt, dass die Rahmenbedingungen schleunigst geschaffen werden müssen, dass alle Stellschrauben, die im Bereich des Möglichen liegen, so gestellt werden, dass die Umsetzung des Rechtsanspruchs tatsächlich verwirklicht werden kann.

Genau das tut die Landesregierung nicht.

Noch am 30. Januar spricht Herr Grüttner in einer Pressekonferenz von seinem politischen Ziel, 52000 Plätze zu erreichen und also nur noch 4.800 weitere Plätze zu schaffen. Das aber ist nur etwa ein Drittel der dringend benötigten Betreuungsplätze. 4800 statt 13000 Plätze – das ist ein falsches politisches Ziel. Es ist eine Resignation vor der tatsächlichen Aufgabe, den Rechtsanspruch in Hessen umzusetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie die Quote schon rechts reinschieben – dazu komme ich gerne –, wenn der Herr Minister – Sie haben es schon dazwischengerufen – von einer vor fünf Jahren vereinbarten, bundesweiten durchschnittlichen Betreuungsquote von 35 Prozent spricht und sich versteckt, wenn wir ihn im Sozialpolitischen Ausschuss damit konfrontieren und sagen: „Herr Minister, das reicht doch aber nicht – dass die Kommunen und die Gemeinden vor Ort tatsächlich allen Eltern, die das wünschen, einen Betreuungsplatz für Kinder unter 3 Jahren anbieten“, dann genügt es auch nicht, gebetsmühlenartig zu sagen: „Aber wir haben vor fünf Jahren doch einmal eine Quote über den dicken Daumen vereinbart“. Das nützt nichts. Es gibt einen individuellen Rechtsanspruch für alle Eltern. Und wenn diese keinen Betreuungsplatz vorfinden, dann werden sie die Kommunen verklagen – und dann fällt ein Gutteil der Schuld auf diese Landesregierung zurück. Sie ducken sich weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Herr Kollege Rock, entscheidend ist der reale Bedarf. Spätestens seit dem Dezember 2011 kann man sich nicht mehr dahinter verstecken. Das Sozialministerium hat diese Zahlen selbst erhoben. Jetzt liegen sie vor. Jetzt aber kommt die Ansage: Was interessieren mich meine selbst erhobenen Daten? Ich habe irgendwann einmal von einer Quote gesprochen. Die Quote gefällt mir jetzt besser. Denn ich weiß genau, ich schaffe diese Zahlen nicht mehr, weil ich das Thema verpennt habe.

Das will ich Ihnen jetzt nachweisen. Nachher wird Frau Wiesmann wieder tapfer die Rede halten, dass schon viel geschehen ist und damals, im Jahr 1999 war das alles – natürlich, selbstverständlich – alles viel schlimmer.

Ich habe mir einmal den Spaß gemacht und nachgeschaut, wie viele Millionen unter Walter Wallmann verausgabt wurden. Damals waren es noch 50 Millionen Euro – das war etwa halb so viel, wie Rot-Grün veranschlagt hat. Ich darf hinzufügen: Damals mussten wir Sie noch von den familienpolitischen Bäumen herunterholen, denn unter Walter Wallmann haben wir in diesem Land noch ganz andere politische Bedarfe gehabt. Das darf man auch noch einmal erwähnen: Da galten für Sie noch die drei „Ks“, Kinder, Kirche und – überhaupt. Liebe Freunde, meine Damen und Herren, bleiben Sie zu Hause.

(Heiterkeit des Abg. Clemens Reif (CDU))

Wenn Sie über Rot-Grün 1999 reden und mit Walter Wallmann anfangen, dann wollte ich noch schauen, wie hoch eigentlich die Kinderbetreuungsausgaben beim Fürsten von Hessen-Nassau waren. Aber da fiel uns die Umrechnung schwer, denn dort wurde noch in anderer Währung gerechnet. Deswegen schlage ich vor: Wir schauen uns an, was das Land Hessen tun könnte. Dann sehen wir, dass das Land Hessen laut dem Bundesamt für Statistik beim Platzangebot für Kinder unter 3 Jahren nur auf Platz 10 liegt. Platz 10. Wo ist eigentlich das Familienland Nummer eins?

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Platz 10. Bei dem Vergleich „Um wie viel ist eigentlich die Zahl der Betreuungsplätze für Kinder unter 3 Jahren im Vergleich zum Vorjahr gestiegen?“ lediglich auf Platz 8. Wo sind Sie eigentlich mit dem Familienland Nummer eins? Wo sind Sie denn gelandet? Sie sind auf Platz 8 und Platz 10 gelandet. Wenn Sie den Vergleich nicht scheuen, dann müssen Sie sich die realen Zahlen anschauen. Sie werden zugeben: Das Bundesamt für Statistik ist nicht sonderlich grün. Die sind recht neutral. Und die sagen: Sie sind nicht Nummer eins, Sie sind weit hintendran. Das werden auch die Kommunen spüren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wäre zu tun? Jetzt bekommen wir Schreiben von den Kommunen, und zwar zu der Inaussichtstellung der Investitionskosten für dieses Jahr. Der Main-Kinzig-Kreis hat uns einen freundlichen Brief geschrieben, in dem es lautet: Wir bekommen dieses Jahr nur 300 000 Euro zur Verfügung gestellt.

Darüber waren wir etwas überrascht, denn das reicht nur für 300 Plätze. Das ist für einen ganzen Kreis für U 3 relativ wenig. Wir haben uns in Darmstadt erkundigt, da ist es ähnlich. Der Main-Kinzig-Kreis bekommt noch 10 Prozent der Investitionskosten des Vorjahres, Darmstadt bekommt nur noch 25 Prozent und Frankfurt nur noch 30 Prozent.

Wenn Sie sich das anschauen, beträgt die Summe der in dem Schreiben in Aussicht gestellten Investitionskosten für das Jahr 2012  11 Millionen Euro. Das sind, umgerechnet nach den Zahlen des Ministers – –

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

– Herr Minister, da gebe ich Ihnen recht, ich finde das auch unglaublich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Der Redner hält ein Schreiben hoch)

Hier ist Ihr eigenes Schreiben, ich kann es Ihnen gerne zur Verfügung stellen. Die Überschrift lautet: Investitionsprogramm Kinderbetreuung, in Aussicht gestellte Mittel: 11 Millionen Euro. – Wenn ich Sie daran erinnern darf, wie hoch die Investitionskosten im Jahr 2010 waren: Es waren 70 Millionen Euro. – Das steht in Ihrem eigenen Schreiben.

Wenn Sie von 70 Millionen Euro im Jahr 2010 – das waren die Bundesmittel – in diesem Jahr auf 11 Millionen Euro herunterkrachen und nur noch 1400 Plätze schaffen können, dann versuchen Sie bitte nicht zu vergessen, dass wir in diesem Jahr noch 13000 Plätze brauchen.

Wenn wir in dem entscheidenden Jahr 2012 nur noch 18 Monate Zeit haben und nur noch 1400 Plätze vom Land investiv bezuschusst werden, dann ist das eine Bankrotterklärung für die Kinderbetreuungspolitik dieser Landesregierung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wenn Sie dann kommen und sagen: Wir haben aber doch 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt –, dann kann ich nur erwidern, das haben Sie nicht, Sie haben sie nur in Aussicht gestellt.

Sie versprechen etwas für das nächste Jahr, was Sie nicht halten können. Denn es wird auch nicht reichen, Sie haben die Zahlen genannt. Es handelt sich etwa um 7800 Euro pro Kinderbetreuungsplatz, das können Sie durch die 30 Millionen Euro dividieren. Sie werden dann feststellen, dass Sie dabei auch nicht auf die Zahl von 13000 Betreuungsplätzen kommen werden. Sie werden mit Ihren Investitionskosten weder in diesem Jahr noch im nächsten Jahr die 13000 erreichen. Schlimmer noch, Sie haben die Ausbaugeschwindigkeit massiv blockiert, weil Sie in diesem Jahr nur 11 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das, obwohl die Opposition von SPD und GRÜNEN Anträge für den Haushalt 2012 eingebracht hat, um die Investitionsmittel zu erhöhen.

Im Dezember hat die Landesregierung das abgelehnt, um dann im Januar festzustellen, dass die eigenen Landesmittel fehlen. Deswegen haben Sie noch schnell ein Versprechen rausgehauen, im nächsten Jahr noch 30 Millionen Euro hinterher zu schieben. Keine Kommune in diesem Land kann sich auf dieses Versprechen verlassen, noch darf sie es,

(Zuruf des Abg. Leif Blum (FDP))

– Herr Blum, in diesem Brief, den kennen Sie auch, steht: Diese Aussage für 2013 steht unter Vorbehalt des Haushalts.

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Herr Kollege, Sie müssten zum Schluss kommen.

Marcus Bocklet:

Wenn ich Kommune wäre und man mir im Kommunalen Finanzausgleich 340 Millionen Euro vorenthalten hat, ich bei der Mindestverordnung übers Ohr gehauen wurde und ich dann dieses Versprechen bekomme, würde ich Ihnen nicht glauben. Wer Ihnen die Hand reicht, muss anschließend die Finger zählen, um zu wissen, ob sie noch dran sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Oh!)

Ich komme zum Schluss. In diesem Land fehlen eindeutig die Investitionsmittel. Ich muss sogar den Punkt auslassen, dass Sie beim Fachkräftemangel gnadenlos versagen. Sie haben vorhin es selbst bestätigt, dass über 3500 Plätze für Erzieherinnen und Erzieher in diesem Land fehlen. Selbst Kommunen, die das Geld erhalten, sind die Hände gebunden, weil Sie ihre freien Plätze nicht besetzen können. Das ist ein kinderbetreuungspolitischer Skandal. Herr Minister, dafür tragen Sie die Verantwortung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vizepräsident Heinrich Heidel:

Vielen Dank, Herr Bocklet.

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