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09.05.2012
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Kita-Plätze statt „Herdprämie“

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat schon vor vier Wochen zu diesem Thema ihren Setzpunkt eingebracht. Vor vier Wochen habe ich gesagt, dass wir die „Herdprämie“ oder die „Fernhalteprämie“ oder das „Betreuungsgeld“ – wie immer das diskutiert wird – familienpolitisch, finanzpolitisch, frauenpolitisch, beschäftigungspolitisch: ganz grundsätzlich für falsch halten. Deswegen lehnen wir es ab.

Wir würden uns wünschen, dass diese Landesregierung ihren Einfluss geltend macht, damit diese Bundesregierung diese politische Geisterfahrt ein für alle Mal beendet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Beim letzten Mal musste ich als Erster reden. Jetzt habe ich die Möglichkeit, einmal auf Sie zu antworten. Deshalb möchte ich jetzt Ihre beiden Kernargumente aufgreifen. Das eine ist die Wahlfreiheit, das andere ist die sogenannte Anerkennung für Familien. Ich möchte gerne Ihre Argumente ernst nehmen und meine, wir sollten die ganze Prosa, die Sie vorweggeschickt haben – dass wir Familien doch ernst nehmen wollen, dass wir sie alle gleich lieb haben –, einmal mit der Realität abgleichen, wie sie draußen im Lande besteht.

Anerkennung. Ja, zur Anerkennung von Familien gibt es jetzt unterschiedlichste Transferleistungen, unterschiedlichste steuerliche Erleichterungen für Familien. Um nur eine zu nennen, ganz konkret: das Kindergeld für alle.

Insofern sind wir der Meinung, kann man jetzt schon sagen, dass dieser Staat mit den Transferzahlungen und den steuerlichen Erleichterungen in dieser Hinsicht eine Anerkennungsleitung erbringt. Deswegen verstehen wir nicht, warum man da noch etwas draufgießen muss – nur wegen dieses Arguments der Anerkennung.

Viel wichtiger finde ich – und dabei begeben Sie sich auf großes Glatteis – die Wahlfreiheit. Frau Wiesmann, Sie angesichts der Situation draußen im Lande sprechen Sie tatsächlich davon, Sie wollen eine Wahlfreiheit für Eltern ermöglichen. Einer Studie des Hessischen Sozialministeriums zufolge brauchen wir in Hessen noch mindestens 16.000 Plätze für Kinder unter 3 Jahren, wir brauchen noch Tausende von Plätzen in Ganztagsbetreuung in Kindergärten, und wir brauchen mit Sicherheit am Ende einer Ausbaustufe noch Zehntausende von Plätzen in der Hortbetreuung oder in der Grundschulbetreuung. Dahinter stehen Zehntausende von Eltern, die keinen Betreuungsplatz finden, obwohl sie ihn dringend benötigen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Da fehlt in Hessen diese Wahlfreiheit, und es ist Hohn, wenn Sie davon sprechen, dass das Betreuungsgeld das leisten soll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kartmann, Sie wissen genau: 2 Milliarden € vom Bund bedeuten für Hessen umgerechnet 140 Millionen Euro pro Jahr. Herr Kartmann, wenn Sie an dieser Debatte so interessiert sind: Wissen Sie, wie viel Geld das Land Hessen im Jahr 2012 für Investitionskosten für U 3 in die Hand nimmt? 11 Millionen Euro.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Im nächsten Jahr wollen Sie stolz 30 Millionen € in die Hand nehmen. Das ist ein Bruchteil dessen, was uns das Betreuungsgeld bringen würde, wenn wir es einsetzen könnten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir haben hier eine Schuldenbremse. Wenn ich mit Frau Wiesmann auf einem Podium sitze und wir darüber reden, dass wir mehr Ausbildungsplätze brauchen, noch weit mehr Ausbildungsplätze für Erzieherinnen, noch mehr Plätze in der Ganztagsbetreuung, eine bessere Betriebskostenförderung, eine bessere Ausstattung der Mindestförderung – was sagen Sie dann, Frau Wiesmann? Sie sagen: Man kann den Euro nur einmal ausgeben. Da sage ich Ihnen: Richtig.

(Zuruf der Abg. Bettina Wiesmann (CDU))

Deswegen muss man die Prioritäten so setzen, dass wir eine Wahlfreiheit für alle Familien in diesem Land gewährleisten. Die brauchen händeringend Kinderbetreuungsplätze. Das ist die Realität in diesem Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Wiesmann, Ihr Vorschlag in allen Ehren. Ich habe das in der „taz“ gelesen – erstaunlich, wo Sie mittlerweile veröffentlichen. Sie sagen in der „taz“: 300 Euro im dritten Jahr.

(Zurufe der Abg. Holger Bellino, Judith Lannert und Bettina Wiesmann (CDU))

Ihren Vorschlag finde ich wirklich nett. Man kann es ja einmal probieren. Aber auf Bundesebene wird leider etwas ganz anderes diskutiert. Dort findet die hessische CDU doch gar nicht statt – außer dass sie eigentlich auf dem Schoß der CSU sitzt und sagt: Bravo, Eltern sollen zu Hause bleiben, das ist für uns das beste Modell.

Da hätte ich mir einmal gewünscht, dass die CDU in Hessen anderswo steht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Bettina Wiesmann und Norbert Kartmann (CDU))

Frau Wiesmann, zu Ihren Vorschlägen, daran herumzudrehen, das möglichst nicht an die Fernhaltepflicht zu koppeln

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

– Herr Bellino, – sage ich: Im Bund ist es momentan Verordnungslage des Bundeskabinetts, dass das Geld nur dann ausgezahlt wird, wenn die Kinder nicht gleichzeitig eine Einrichtung besuchen. Das ist eine Fernhalteprämie.

Frau Wiesmann, bei Ihren Verbesserungsvorschlägen fällt mir nur ein: Wenn das Pferd tot ist, steigt man ab und versucht nicht, es weiter zu reiten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihr Betreuungsgeld ist tot.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Noch einen Satz zur FDP. Meine liebe Güte, was war ich stolz auf die FDP in der Frage, dass sie hartnäckig gegen dieses Betreuungsgeld kämpft.

(Zurufe von der CDU)

– Es gibt so lichte Momente, die muss man auch einmal zur Kenntnis nehmen. Das ist für beide Sachen nicht einfach. Aber in diesem Fall habe ich gedacht: Hallo, die FDP kämpft gegen das Betreuungsgeld. Respekt, Respekt.

Herr Rock und Herr Mick, vor vier Wochen habe ich kein Wort von Ihnen gehört, dass das Betreuungsgeld in die Tonne gehört. Vielleicht machen Sie es heute. Nutzen Sie doch Ihren Einfluss, die rechte CDU Hessen davon abzubringen, dass sie das auch noch fördert. Tun Sie das, das erwarte ich von der FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Vielen Dank, Papa! – Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe es selten erlebt, dass es einen familienpolitischen Vorschlag in der politischen Diskussion gibt, der so von Widerstand begleitet worden ist wie die Einführung dieses Betreuungsgeldes – Verbände aller Art, Wirtschaftsinstitute, Eltern,

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Institutionen aller Art und selbst 23 Abgeordnete in der CDU-Fraktion wollen nicht zustimmen. Sie begeben sich auf eine unglaublich politische Geisterfahrt.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Sie begründen es krude mit einer Wahlfreiheit, die in Hessen überhaupt nicht existent ist. Sie begründen das mit einer Anerkennung, die Sie überhaupt nicht finanzieren können. Es ist eine krude Begründung. Deshalb bitte ich noch einmal nachhaltig darum, dass von diesem Landtag ein Signal ausgeht, wie es hoffentlich in Berlin auch irgendwann einmal ankommt, dass dieses Betreuungsgeld finanzpolitisch Quatsch ist und bildungspolitisch und geschlechterpolitisch fatal ist.

Deswegen sage ich es noch einmal: Hauen Sie es in die Tonne. Wir können es uns wahrlich nicht leisten, diese Wahlfreiheit weiter zu verhindern. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank

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