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25.04.2013
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Kinder- und Jugendhilfegesetz

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss zugeben, dass dieser Wortbeitrag von Herrn Müller mich wirklich betroffen gemacht hat und meine Lust, über das Thema zu reden, relativ stark gesunken ist. Ich finde, das war eine einmalige Entgleisung, wie ein Amokläufer auf den Redner loszugehen.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich bin der Meinung, man kann anderer Meinung sein und eine andere politische Meinung vertreten. Aber sich an einem Lebenslauf abzuarbeiten – ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, Herr Müller und sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Wenn die Nerven so blank liegen, wie tief müssen Sie gesunken sein, was muss Ihnen da widerfahren sein? Du liebe Güte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU)

130.000 Menschen haben in diesem Land eine Petition unterschrieben.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

130.000 Menschen, das ist die größte Protestaktion seit Startbahn West vor 30 Jahren. 5.000 Menschen waren es in Frankfurt. 5.000 Menschen haben in Wiesbaden demonstriert. Wir haben eine siebenstündige Anhörung gehabt, in der Sie sechs Stunden und 55 Minuten die Leviten gelesen bekommen haben. Für fünf Minuten war ein Verband dabei, der gesagt hat: Grundsätzlich finden wir das Gesetz gut. – Er hat dann aber 13 Seiten Änderungsvorschläge eingebracht. Sehr geehrte Damen und Herren von CDU und FDP, dieses KiföG war falsch, ist falsch und bleibt falsch. Und Sie haben nichts dazugelernt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Sie haben – es fällt mir in so einer Atmosphäre schwer, das tatsächlich zu sagen – einen der größten Unfuge, den Sie darin formuliert haben, nämlich das fachfremde Personal, tatsächlich nach massiven Protesten zurückgezogen. Das war richtig. Auch das fällt mir angesichts dieser Atmosphäre hier schwer zu sagen. Aber es ist richtig. Aber Sie haben auch neue stümperhafte Fehler hineingebaut und gehen dann wieder auf den politischen Gegner los – nach dem Motto: Wir machen die Fehler, und die Opposition ist daran schuld. So läuft das nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Jetzt kommen wir einmal zum Thema Mittagessen. In der ersten Lesung haben Sie einen Satz eingebracht, in dem steht, dass ein Kindergarten, der eine Betreuung von mehr als sechs Stunden anbietet, nur dann eine Betriebserlaubnis bekommt, wenn er ein Mittagessen anbietet. In der zweiten Lesung sind Sie dann um die Ecke gekommen – – Ja, Herr Minister, da würde ich auch unruhig auf dem Sessel hin und her rutschen.

Dann haben Sie das Wort „muss“ durch das Wort „soll“ ersetzt. Was heißt das denn? – Das heißt nichts anderes als dass Sie diese Verpflichtung für die Kommunen, Betriebserlaubnisse nur dann auszusprechen, wenn es ein Mittagessen gibt, zurücknehmen. Das ist ein Aufweichen von Qualitätsstandards, wie man es durchgängig in diesem KiföG findet. Genau deshalb ist es falsch.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das ist wie eine rote Linie in diesem KiföG. Das sind Qualitätsstandards. Passen Sie jetzt bitte genau auf. Es besteht die Gefahr, dass diese Qualitätsstandards gesenkt werden können. Niemand von der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN sagt, dass sie abgesenkt werden müssen. Aber wenn Sie ein Gesetz verfassen, in dem steht, dass man Qualitätsstandards absenken kann, dann müssen Sie sehen, dass viele Menschen in diesem Land zu Recht aufstehen und sagen: Nein, wir wollen die Qualitätsstandards nicht absenken. Genau das ist auch der Fall beim Mittagessen. Keine Absenkung der Qualitätsstandards – das ist das Motto für uns GRÜNE.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Lieber Kollege Bellino, liebe Frau Kollegin Wiesmann, ich wäre ein schlechter Abgeordneter, wenn ich mir nicht diesen Ausnahmefall des japanischen Kindergartens in Frankfurt angeschaut hätte. Dann hätte ich meine Hausaufgaben für heute nicht gemacht. Dieser japanische Kindergarten ist oh Wunder gar keine Ganztageseinrichtung. Montags schließt er beispielsweise um 12:30 Uhr. Er hat eine alte Betriebserlaubnis, die schon weit über mehrere Jahrzehnte alt ist. Er schließt häufig nach nur fünf bis sechs Stunden. Es gibt eine Formulierung in diesem Gesetz, die lautet: Eine Einrichtung, die mehr als sechs Stunden öffnet und Betreuung anbietet, muss ein Mittagessen vorhalten.

Ich frage Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wer möchte in diesem Land eine Kindereinrichtung haben, die länger als sechs Stunden geöffnet ist und kein Mittagessen anbietet? – Wir wollen so einen Standard nicht haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben von der ersten zur zweiten Lesung nichts verstanden. Wir haben Ihnen erklärt: Wir haben immer noch 8.000 Plätze, die für Kinder unter drei Jahren fehlen. Wir haben immer noch 3.500 Erzieherinnen und Erzieher, die als Fachkräfte fehlen. Wir haben immer noch eine mangelhafte Hortbetreuung.

Nur 400 von 1.200 Grundschulen haben überhaupt eine Ganztagsbetreuung. Wer in dieser Stunde an diesem KiföG festhält, welches die entscheidenden Antworten zu den Herausforderungen der Kinderbetreuung schuldig bleibt, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht und auch nicht verstanden, worauf es in den nächsten Jahren bei der frühkindlichen Bildung ankommt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich die Jungen Liberalen erwähnen. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber in der FAZ stand zu lesen, dass so, wie CDU und FDP dieses KiföG behandelt hätten, sie sich anstellen würden wie der dumme August. – In bestimmten Punkten haben manchmal auf Junge Liberale recht. Was Sie hier abgeliefert haben, war für die Ansprüche heutiger Kinderbetreuung tatsächlich nicht mehr genügend.

Wir haben auch über die Inklusion geredet. Bei den gefühlten Hunderten von Veranstaltungen, auf denen wir uns treffen – Frau Wiesmann, Herr Merz, Frau Schott –, arbeiten wir immer wieder an der Frage, wie wir in diesem Land zukünftig mit behinderten Kindern umgehen. Der Verweis der CDU und der FDP, es könne doch eine Vereinbarung zwischen dem Hessischen Städtetag bzw. den Hessischen Spitzenverbänden und den freien Trägern geben, ist durchaus eine Antwort. Allerdings ist es eine Antwort, die sich davor drückt, eine landesrechtliche Regelung zu erarbeiten, in der genau diese Frage beantwortet wird.

Wenn dann noch Verbände und Träger auf uns zukommen und fragen: Was passiert denn mit den behinderten Kindern in unserer Einrichtung, wo bisher nur 20 Kinder in der Gruppe waren, damit man die zwei behinderten Kinder tatsächlich besser betreuen kann und wo jetzt, um die volle Subvention zu bekommen, auf 25 aufgestockt werden muss? Können die beiden behinderten Kinder dann tatsächlich noch umfangreich und ausführlich betreut werden? Davor haben sie Sorge. Deswegen sagen sie uns auch, das bei den Förderungen, wie Sie sie vorsehen, auch die 800 Euro pro Kopf nichts nutzen, die Sie noch hinterherwerfen. Es wird dem Finanziellen nicht guttun, dort behinderte Kinder zu betreuen.

Wenn Träger dann sagen, sie bräuchten andere Regelungen, weil es eine Menschenrechts- und eine Bürgerrechtsfrage ist, dass wir die Inklusion vorantreiben, nicht wegdiskutieren und uns nicht in die Büsche machen, sondern dass wir sie in einem KiföG regeln, dann haben sie recht. Dann muss man sie auch nicht beschimpfen, sondern seinen Gesetzentwurf ändern, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Nein, Sie wollen mit demselben Kopf zum zweiten Mal durch dieselbe Wand. Ich kann Ihnen prognostizieren – dazu muss man wahrlich kein Prophet sein –, dass Sie damit kaum Erfolg haben werden. Wenn Sie sich die Umfragen von FAZ und FFH zu den wichtigsten Themen ansehen – Herr Kollege Wagner hat es schon gesagt: Das wichtigste war die Schulpolitik, das zweitwichtigste die Kinder- und Familienpolitik – und tatsächlich glauben, mit diesem Gesetz eine Antwort darauf zu geben, sind Sie auf einem falschen Weg. Ich will es mit den Worten eines Teilnehmers aus Kassel formulieren: Das Beste an diesem Gesetz ist, dass es nicht unbedingt angewendet werden muss, mit all den Qualitätsvorschlägen, die dort gemacht werden.

Ein KiföG im Jahr 2013, das bis 2019 Bestand haben soll, das die Antworten der Kinderbetreuung für Hortkinder und behinderte Kinder nicht beantwortet, das Unsicherheiten in den Qualitätsstandards bis hin zum Mittagessen in Einrichtungen schafft, hat schlicht und ergreifend seinen Namen nicht verdient, weil nicht verstanden wurde, worum es in Zukunft geht. Alles schreit danach, dass dieses Land einen Wechsel braucht, auch in der Kinderbetreuung. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

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