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19.11.2009
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Keine Zerschlagung der Jobcenter – keine Verschlechterungen für Arbeitslose durch die schwarz-gelbe Bundesregierung

Ich habe nichts am Kopf, ich habe etwas am Knie. – Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es bei dem Thema Zukunft der Jobcenter mit einer dramatischen Entwicklung zu tun. Es ist ein sehr unscheinbarer Satz der Koalitionsvereinbarung, dessen Auswirkungen nach unseren Begriffen noch nicht wesentlich wahrgenommen wurden, die auf unser Bundesland und auf die 13 betroffenen Jobcenter in Trägerschaft der Arbeitsgemeinschaften zukommen.

Was ist passiert? Im Jahre 2005 haben wir  auf Bundesebene ein Gesetz bekommen, das die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe gemeinsam reformierte und damit geregelt hat, dass wir zukünftig für Langzeitarbeitslose Hilfen aus einer Hand organisieren wollten. Wir wollten, dass diese Menschen in eine Behörde gehen und dort eine Beratung bekommen, dass sie dort Hilfen bekommen, dass sie ihre Grundsicherung bekommen. Wir wollten, dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, durch umfangreiche Eingliederungshilfen wieder auf den ersten Arbeitsmarkt zurückzukommen.

Im Jahre 2007 kam das Bundesverfassungsgericht und sagte: Diese Mischverwaltung der Arbeitsgemeinschaften ist unzulässig. – Daraufhin haben wir uns im Hessischen Landtag Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen könnte. Ich möchte das gerne noch einmal zitieren. Damals gab es unter Zustimmung von CDU und FDP folgenden Beschluss auf Antrag der GRÜNEN, dass der Landtag nur solche Modelle einer künftigen Trägerschaft für geeignet hält, die Leistungen für die Betroffenen aus einer Hand und einem Guss, die dezentrale Entscheidungsstrukturen vor Ort und individuelle, passgenaue Betreuung einschließlich der Verknüpfung von SGB-II-Leistungen mit anderen Sozialhilfen beinhalten.

Was müssen wir 2009 zur Kenntnis nehmen? – Die Bundesregierung beschließt, die Koalition von CDU und FDP in Berlin beschließt, die Bundesagentur für Arbeit und die Kommunen sollen in Zukunft in getrennter Aufgabenwahrnehmung die Betreuung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen durchführen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die faktische Zerschlagung der Jobcenter der Arbeitsgemeinschaften.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Was bedeutet diese Zerschlagung? Wir haben in Hessen 13 Arbeitsgemeinschaften. In diesen 13 Arbeitsgemeinschaften der Jobcenter sind 2.500 Beschäftigte organisiert. Sie arbeiten dort. Über 180.000 Langzeitarbeitslose gehen in diese Gebäude hinein und stellen einen Antrag. Für all diese Menschen wird es zukünftig zwei Behörden geben, zwei Anträge, zwei Behördenbescheide, zwei Leistungsprüfungen, zwei Widersprüche und unter Umständen zwei Verfahren vor Gerichten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der absurdeste Irrsinn, der in der Arbeitsmarktpolitik passieren kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das genaue Gegenteil von dem, was wir wünschen: dass es Hilfen aus einer Hand gibt, also nicht die Kosten der Unterkunft einerseits beim Sozialamt und die Eingliederungshilfen beim Arbeitsamt oder bei der Arbeitsagentur in zwei Gebäuden mit zwei Anträgen.

Jetzt kommt noch hinzu, dass alle bestehenden Akten kopiert werden müssen. Potsdam hat ausgerechnet, dass sie allein vier Monate brauchen, um ihre 25.000 Akten zu verdoppeln. Ich rechne das einmal für Frankfurt aus. Dort haben wir 50.000 bis 60.000 ALG-II-Empfänger. Es wird Monate dauern, allein diese Akten zu kopieren.

Die Beschäftigten werden in zwei Gebäude ziehen. Wir werden doppelte Raummieten haben, wir werden doppelte Verwaltungskosten haben. Die Kommunen werden zusätzlich mit Millionenbeträgen belastet werden, weil die Sachbearbeitung der KdU wieder in die kommunale Verantwortung fällt. Das ist eine absolute Geisterfahrt. Wie kann man das ernsthaft wollen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Aber mit der getrennten Trägerschaft ist noch ein Phänomen zu beobachten, und das hat gravierende Folgen. Deswegen spreche ich gezielt zur FDP. Mit der getrennten Trägerschaft wird es so sein, dass die Bundesagentur für Arbeit die alleinige Zuständigkeit für die arbeitsmarktpolitischen Instrumente hat. Da muss ich der FDP tief in die Augen gucken. Sie wollten die Bundesagentur für Arbeit abschaffen. Sie wollten ihre Kompetenzen einschränken. Aber das Gegenteil wird jetzt der Fall sein. Noch nie war die Bundesagentur für Arbeit so bedeutsam, wie sie es unter einer FDP-Regierung sein wird. Herzlichen Glückwunsch, liebe FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Dabei waren wir uns in diesem Hause doch einig, dass wir die lokalen Strukturen stärken wollten. Wir wollten das Fallmanagement stärken und entwickeln. Nicht alles, was geglänzt hat, war Gold. Aber wir haben mühevoll in vier, fünf Jahren eine Organisationseinheit geschaffen, die Arbeitsgemeinschaften. Dass dort nicht alles toll war, das wissen wir auch. Dass wir viel Prügel eingesteckt haben, das nehmen wir auch zur Kenntnis. Aber wir haben in mühevoller Kleinarbeit diese eine Einheit hinbekommen. Wir wollten, dass dort das Fallmanagement verbessert wird, dass man sich unter Einbeziehung von Familien und Berücksichtigung des Sozialraums um Langzeitarbeitslose intensiv kümmert. Wir wollten eine lokale Verankerung, gerade auch mit lokalen Trägern vor Ort, die sich auskennen mit dem, was unsere Menschen in der Region brauchen. Das Ganze wollten wir mit vielen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten.

All das setzen Sie aufs Spiel, weil Sie in Berlin nicht den Mut entwickeln für eine kluge Grundgesetzänderung. Sie sind politisch feige und riskieren damit auf dem Rücken der Langzeitarbeitslosen eine gute Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe es gesagt: 180.000 Menschen werden wir durchs Land jagen. Wir werden die Beschäftigten mit einem Chaos ungeahnter Größe konfrontieren. Das beginnt schon bald und nicht am 31.12.2010. Das beginnt jetzt schon. Offenbach und Frankfurt fangen jetzt schon mit ihren Planungen an, mit Kopieren, Raummieten und allem. Die Leidtragenden werden diejenigen sein, die Hilfe suchen werden. Das wird Fakt sein.

Ich kann nur sagen, jeder, der sich damit beschäftigt hat, auch die Arbeitsgemeinschaft der Argen, sagt: Es ist ein absoluter Irrsinn, was auf uns zukommt. – Jetzt frage ich Sie von CDU und FDP noch einmal. Sie wollten das alles nicht. Sie wollten Hilfen aus einer Hand. Sie haben nicht gesagt, dass Sie eine freiwillige Zusammenarbeit wollten. Sie wollten nicht den Scholz-Vorschlag vom letzten Jahr zu kooperativen Jobcentern, in denen nur auf freiwilliger Basis zusammengearbeitet wird. Sie wollten garantieren, dass es Hilfen aus einer Hand gibt.

Was ist passiert auf dem Weg in die Regierung, dass Sie all das vergessen haben? Leiden Sie unter politischer Demenz? Das kann wohl nicht wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie könnten sagen, die Grundgesetzänderung war nicht möglich, weil die SPD nicht mitgemacht hat.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Umgekehrt wird die SPD sagen, die CDU hat sich vor der Bundestagswahl verweigert. Die Große Koalition hätte es möglich machen können. Ich frage Sie: Warum gehen Sie dann nicht auf die Lösung, die Möglichkeit einzuräumen, dass mehr Kommunen optieren? Aber Sie schreiben in Ihren Koalitionsvertrag nur, dass bestehende Optionskommunen Bestandsschutz bekommen sollen. Warum sagen Sie nicht: Liebe Leute von den Argen, wir haben nicht die Kraft zu einer Grundgesetzänderung, aber wir werden wenigstens die Optionsklausel öffnen?

Aber auch das haben Sie nicht gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich frage Sie, auch Herrn Koch, der die Optionskommunen wie ein Mantra vor sich hergetragen hat, ich frage CDU und FDP: Wo bleibt Ihre Vision in dieser Frage? Sie resignieren und fallen hinter das zurück, was wir 2005 einmal hatten. Das ist eine Katastrophe für die Arbeitslosen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir appellieren noch einmal, dass wir im Hessischen Landtag zur Beschlussfassung des letzten Jahres zurückkehren. Retten wir die Hilfen aus einer Hand, fassen wir den Mut, die Grundgesetzänderung nochmals zu fordern. Fordern wir die Landesregierung auf, im Bundesrat nicht für diese Gesetzesänderung zu stimmen. Darauf wird es ankommen. Diese Landesregierung kann im Bundesrat gegen die gesetzlichen Änderungen, gegen eine getrennte Trägerschaft stimmen. Sie kann dagegen vorgehen. Sie muss die Hand nicht heben. Wenn das alles so ist, wie wir es 2008 im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte beschlossen haben, dann kann es nicht sein, dass CDU und FDP wenige Tage nach der Regierungsübernahme umfallen und genau das Gegenteil auf dem Rücken der Arbeitslosen machen. Das ist unverantwortlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen fordern wir Sie auf: Stoppen Sie diese Geisterfahrt, diesen arbeitsmarktpolitischen Amoklauf im Interesse der Beschäftigten in Hessen, im Interesse der Langzeitarbeitslosen, im Interesse all derjenigen, die darauf angewiesen sind, dass sie Hilfen aus einer Hand bekommen, z. B. kluge Integrationshilfen und Fort- und Weiterbildung, und hören Sie auf mit der Zerschlagung der Jobcenter. Das ist der absolute Irrweg. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Bocklet.

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