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15.10.2014
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Jedem jungen Menschen eine Berufsausbildung ermöglichen

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hessische Landesregierung und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich viel Mühe gemacht und eine Broschüre herausgegeben, die „Berufsausbildung in Hessen 2014“ heißt. Wenn wir uns diese Broschüre vor einer solchen Debatte anschauen würden, könnten wir uns den groben Streit über Zahlen schenken. Das wäre wenigstens eine Basis, auf der man operieren kann.

(Zurufe von der SPD)

Frau Gnadl und alle weiteren Antragsteller der SPD, ich zitiere – es steht auf Seite 59; Sie können es mitlesen, wenn Sie wollen –:

Trotz absehbarer Fachkraftengpässe hat erneut eine hohe Zahl ausbildungsinteressierter Jugendlicher nicht den gewünschten Ausbildungsplatz gefunden.

1.400 Jugendliche sind demnach unversorgt, weitere 6.100 befinden sich in sogenannten Alternativen, beispielsweise im Übergangsbereich. Alles in allem sind 7.500 Bewerber ohne eine konkrete Perspektive.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wenn man die insgesamt rund 23.900 Jugendlichen im Übergangssystem als Problem hinzunimmt, kann man in diesem Haus nicht daran zweifeln, dass der Handlungsbedarf groß ist. Niemand – auch SCHWARZ-GRÜN nicht – bestreitet dieses Problem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Deshalb wurde, übrigens schon im Dezember, im Koalitionsvertrag festgestellt – das möchte ich gern zitieren; auch da finden wir schnell eine Basis –:

Unser Ziel ist es,

– so heißt es dort auf Seite 32 ff –

jedem Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen, bevorzugt im bewährten dualen System oder – falls das nicht gelingt – durch eine geförderte, möglichst praxisnahe vollqualifizierende Berufsausbildung.

Ich kann nur sagen: Diese Regierung hat das Problem erkannt und es sich zum Ziel gesetzt, es zu lösen. Ich glaube, wir haben hier eine gemeinsame Basis. Wir sollten da an einem Strang ziehen. Ich finde, das ist gut so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Dass die SPD nun einen Antrag mit einem nahezu gleichlautenden Titel vorlegt, ist natürlich purer Zufall, zeigt aber, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, nicht ganz falsch sein kann. Wir freuen uns darauf, in der Kooperation mit Ihnen nicht nur bestimmte Titel zu formulieren und Probleme festzustellen, sondern auch über die Frage zu diskutieren: Wie genau wollen wir es verändern? Was sind die Konzepte?

Ich glaube, der ins Leben gerufene Bildungsgipfel mit seiner Arbeitsgruppe unter der Leitung von Tarek Al-Wazir wird sich genau damit befassen. Ihr Antrag umfasst 13 Punkte. Bei den Punkten 10 und 10 handelt es sich um nichts anderes als um Zielformulierungen. Auch Sie vermeiden konkrete Vorschläge. Sie formulieren Ziele und Wünsche.

Aber die spannende Frage ist doch: Wie genau setzen wir sie um? Wie erarbeiten wir die Veränderungen gemeinsam mit den Akteuren, die sich auf diesem Feld tummeln, mit den vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Kommunen, Trägern und Weiterbildungsinstitutionen? Das Entscheidende wird doch die Frage sein, wie wir das gemeinsam schaffen. Dafür gibt es eine Arbeitsgruppe, und das ist richtig.

Was die Fragen betrifft, die Sie stellen: Wir laden Sie dazu ein, mit uns darüber zu diskutieren. Machen Sie selbst Vorschläge, statt nur etwas zu postulieren. Dann wären wir auch in dieser Frage einen Schritt weiter.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Aber zur Fairness und zur Wahrheit gehört auch, anzuerkennen, dass schon eine ganze Menge passiert. Nicht alles ist, wie wir festgestellt haben, hinreichend. Frau Gnadl, Sie beschreiben das – zu Recht – aus einer persönlichen Sicht, nämlich anhand des Beispiels von Marvin, wie Sie ihn nennen.

Ich selbst habe lange Jahre bei einem Träger der Berufsbildung gearbeitet, und ich kann Ihnen sagen: Mir geht es ähnlich wie Ihnen. Ich finde, bei jedem einzelnen Jugendlichen handelt es sich um ein persönliches Schicksal. Das braucht man nicht zu dramatisieren, und da braucht man auch nicht pathetisch zu werden. Aber es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass jeder Einzelne dieser Tausenden von Jugendlichen, die wir hier erwähnt haben, das Gefühl hat, dass er nicht dazugehört, dass er am gesellschaftlichen Leben nicht wird teilhaben können und dass er kein ausreichendes eigenes Einkommen erwirtschaften wird, sodass er an all die schönen Dinge, die es in diesem Leben gibt, nicht herankommt. Das ist ein ganz übles Gefühl von Ausgrenzung. Wir müssen um jeden Jugendlichen kämpfen. Deswegen steht im Koalitionsvertrag auch: „Kein Kind zurücklassen“.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Ich finde, es gibt eine Fülle von Maßnahmen – Herr Kollege Klein hat schon versucht, sie aufzuzeigen –, sie alle zu benennen, dafür würde die Zeit aber überhaupt nicht reichen. Lassen Sie mich aber wenigstens versuchen, anhand der Chronologie einer Biografie eines solchen Jugendlichen klarzumachen, was es zu tun gilt.

Erstens. Wenn so ein Jugendlicher, meist bildungsfern, in der Schule ist, wissen wir um die Problematik, dass er oder sie oft schlecht lesen, schreiben oder rechnen kann. Wir müssen also viel früher ansetzen, damit sich die Qualität des Unterrichts tatsächlich so verbessert, dass am Ende ein Abschluss erzielt werden kann. Das passiert auch; und das muss man verstärken. Auch das hat diese Regierung in den Koalitionsvertrag geschrieben.

Zweitens. Wenn man feststellt, dass es eben nicht nur die schulischen Leistungen von bildungsfernen Jugendlichen sind, die sie daran hindern, einen Abschluss zu erzielen, und wenn man weiß, dass viele soziale Kompetenzen fehlen, dann ist es, finde ich, genau der richtige Ansatz, den unter anderem das Projekt SchuB und die Fortführung des Projektes SchuB beinhalten, nämlich dass am Ende alle Schülerinnen und Schüler einen Schulabschluss haben.

Das wollen wir. Dafür wird Richtiges geleistet, und ich glaube, das ist sozusagen die Frage: Wie gehen wir in den Hauptschulen oder hauptschulnahen Zweigen damit um, dass der Unterricht besser wird und dass er direkt und konkret zu einem Abschluss führt. Ich finde, es gibt richtige Ansätze; diese müssen noch konsequenter sein und zugespitzt werden. Ihr Antrag spricht von der achten Klasse, unser Koalitionsvertrag von der siebten Klasse. Wir wollen das schon früher. Wir sind in einem Ideenwettbewerb, in einem konzeptionellen Umsetzungswettbewerb. Ich finde das auch richtig. Das wird die Debatte befruchten, denn wir alle haben das Ziel: keinen Jugendlichen ohne Abschluss. Da sind wir in einem Boot.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Zu dem zweiten Bereich. Wenn nun ein Schüler oder eine Schülerin ohne Abschluss die Schule verlässt, dann wird es um die Frage gehen: In was fällt er oder sie hinein? – Und dann sprechen Sie von 30.000, 29.000 oder 23.000 Jugendlichen. Es sind zu viele Jugendliche, die in einem Übergangssystem, in Warteschleifen hängen. Darin sind wir uns einig. Wir werden konsequent daran arbeiten müssen, alle Maßnahmen genau daraufhin durchzubürsten: Führen sie zu einem Abschluss? Führen sie dazu, dass ein Jugendlicher am Ende des Tages tatsächlich eine anerkannte Ausbildung hat, sodass er überhaupt die Möglichkeit hat, in den Berufsalltag einzusteigen? Auch dabei sind wir auf dem richtigen Weg, Punkt zwei.

Drittens. Oft ist die Situation nun so – ich als Sozialarbeiter kann das durchaus bestätigen –, dass die Jugendlichen zwar ihren Abschluss, begleitet von vielen Anstrengungen, geschafft haben und in die Ausbildung gehen, wir aber unglaublich viele – es ist einfach eine eklatant hohe Zahl – Ausbildungsabbrecherinnen und -abbrecher haben . Sie beenden die Ausbildung erfolglos. Daher finde ich den dritten Schwerpunkt, den wir auch vereinbart haben, sehr wichtig, dass es ausbildungsbegleitende Hilfen gibt, Begleiter, die darauf achten, dass die Jugendlichen nicht so schnell zusammenbrechen, dass sie durchhalten und eine Lehre tatsächlich beenden können und später vermittelbar sind. Auch hierzu gibt es gute Programme, aber auch hier brauchen wir eine Verstärkung. Ich wiederhole noch einmal: Diese drei Schwerpunkte – Hilfen in der Schule, kurz nach der Schule und ausbildungsbegleitend – sind richtig. Wir haben sie als Problemstellung erkannt; wir haben Zielideen; diese wollen wir in einer Arbeitsgruppe mit den Beteiligten konkret formulieren. Ich finde, das ist eine gute Ausgangsposition, ich finde, die Landesregierung ist da gut aufgestellt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Ich will damit sagen: Lassen Sie uns ein bisschen weniger darüber streiten, wie die Zahlen nun genau sind. Ich glaube, ob es nun 5,6 oder 5,7 % sind, wird den Problemlagen der Jugendlichen nicht gerecht. Wir wissen, dass jeder Jugendliche in der Arbeitslosigkeit, in Perspektivlosigkeit einer zu viel ist. Wir haben die Ziele hier gemeinsam gesteckt. Es gibt die Einladung der Landesregierung über den Bildungsgipfel an dieser Diskussion konstruktiv teilzunehmen. Ich glaube, so wie wir momentan aufgestellt sind und wie wir uns die Arbeit vorgenommen haben, sind die schwarz-grüne Landesregierung und der Hessische Landtag gut beraten, das Thema anzugehen. Wir wollen all unseren Jugendlichen eine Zukunft bieten. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Heike Habermann:

Danke schön.

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