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26.06.2013
Portraitfoto von Marcus Bocklet vor grauem Hintergrund.

Marcus Bocklet: Hessen braucht eine verlässliche Bildungs- und Betreuungsgarantie an Grundschulen

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Habermann, ich finde es schon beachtlich, dass es die Oppositionsparteien der SPD und auch wir als GRÜNE es sind, die an dieses Pult treten, um das Thema Ganztagsschulen voranzutreiben. Dass sich CDU und FDP offensichtlich noch nicht zu Wort gemeldet haben, zeigt auch eine geringe Wertschätzung dieses Themas, wenn ich das einmal so sagen darf.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Diejenigen, die Zielvorgaben, ein höheres Tempo und echte Ganztagsschulen fordern, sind SPD und GRÜNE. Wir werden gleich noch über die Unterschiede bei den Konzepten reden. Aber das Trauerbild, was CDU und FDP abgeben, die sich hinter den mickrigen Zahlen verkriechen, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde, ist beschämend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU)

Nein, der Sonntagsreden von CDU und FDP sind es wahrlich genug. Lassen Sie uns konkret zu den Zahlen und zur Situation in Hessen Stellung nehmen. Sehen wir sie uns genau an; Frau Habermann hat es schon zu Recht getan.

Ich will es noch einmal sagen: Von rund 1.700 allgemeinbildenden Schulen haben etwa 800 kein Ganztagsangebot.

(Zuruf des Abg. Hugo Klein (Freigericht) (CDU))

– Herr Klein, zu 1990: Mittlerweile gibt es Farb- und Tonfilm sowie Computer. In welcher Zeit sind Sie eigentlich stecken geblieben? Wie armselig ist es, wenn Sie noch immer in den Neunzigerjahren verhakt sind?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Widerspruch des Abg. Hugo Klein (Freigericht) (CDU))

– Ja, das tut weh. Aber Schmerz muss man aushalten, wenn man bereit ist, die Landesregierung zu stellen.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

– Herr Irmer, ich freue mich, dass auch Sie an der Debatte teilnehmen. Vielleicht kommen Sie gleich auch ans Pult.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Schauen wir uns einmal das Ausbautempo der Ganztagsschulen während der letzten Jahre an. Im Schnitt sind das 60 Schulen pro Jahr gewesen.

(Zuruf der Ministerin Nicola Beer)

So geht es aus der Kleinen Anfrage, Drucks. 18/5113, hervor; ich kann sie mittlerweile auswendig. Bei diesem Tempo würde es noch 13 weitere Jahre dauern, bis wir an jeder allgemeinbildenden Schule überhaupt ein Ganztagsangebot haben.

Ich frage Sie: Wer will ein solches Schneckentempo? Wir GRÜNEN nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Fakt, den Frau Habermann ebenfalls schon angesprochen hat: Davon ist nur ein Bruchteil eine echte Ganztagsschulform. Wir reden von dem berühmt-berüchtigten „Dimido“, also dienstags, mittwochs und donnerstags bis 14:30 Uhr. Ja, ohne Frage ist pädagogische Mittagsbetreuung besser als gar nichts. Aber welcher Lebensrealität entspricht es, an drei Tagen bis 14:30 Uhr zu arbeiten? Das entspricht nicht den Lebensrealitäten der meisten Eltern in diesem Land, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN).

Ich zitiere nur die Zahlen der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage, Drucks. 18/5113. Fokussieren wir uns nur auf die rund 1.200 Grundschulen, so waren von diesen im Schuljahr 2012 nur etwa 300 – und davon 90 Prozent mit diesem Dünnbrett-Notangebot – überhaupt mit einem Angebot versorgt. Das heißt, Hessen hat gerade einmal ein Viertel der Grundschulen im – wie CDU und FDP das nennen – sogenannten Ganztagsschulprogramm.

Dies geht an den Lebenswirklichkeiten der Eltern vorbei; denn das größte Betreuungsproblem entsteht doch gerade beim Übergang vom Kindergarten zur Grundschule. Genau dann bricht das mühsam getroffene Betreuungsengagement zusammen, weil Eltern nach Krippe und Kindergarten in der Fortsetzung ihrer Betreuungsprobleme nämlich keinen Anschluss mehr finden. Lassen Sie mich hinzufügen: Deswegen ist es beschämend, dass wir immer noch nur ein Viertel der Grundschulen in diesem Ganztagsschulprogramm haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Aber es wäre auch pädagogisch sinnvoll, bei den Grundschulen einen Schwerpunkt auf das Ganztagsschulprogramm zu legen, wie wir als GRÜNE es auch schon seit Jahr und Tag fordern. Alle Bildungsexperten sind sich darüber einig: Auf dem Anfang kommt es an. Es kommt auf eine möglichst frühe Förderung der Schülerinnen und Schüler an. Es kommt darauf an, möglichst früh alle Talente abzuholen, zu entdecken und möglichst früh zu fördern, denn die Talente muss man fördern. Probleme, die man nicht früh erkennt, wird man später nur ganz schwer korrigieren können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb wäre es nicht nur gut, sondern notwendig, dass wir einen Schwerpunkt des Ganztagsschulprogramms bei den Grundschulen legen. Es würde das Betreuungsproblem der Eltern lösen und es wäre auch pädagogisch richtig, weil wir die Ressourcen und die Förderung am Anfang brauchen.

Ein letzter Punkt. Angesichts der Tatsache, dass im Kinderförderungsgesetz der zukünftige Ausbau von Horten nicht mehr vorgesehen ist, ist es von fundamentaler Bedeutung, darauf zu achten, wie es bei dem Grundschulprogramm weiter läuft. Wenn der Herr Minister sagt, man wolle nichts mit der Hortförderung zu tun haben, das mache das Kultusministerium, dann frage ich Sie: Ist Ihr Ausbautempo tatsächlich zielführend? Ich frage sogar: Mit welcher Zielvorgabe arbeitet die Landesregierung eigentlich? Wohin will sie eigentlich? Was wünschen Sie sich denn angesichts der Not vieler Eltern, außer dem bisherigen Dahingeplätscher? Frau Habermann, Sie haben es gesagt: Tausende von Eltern stehen immer wieder vor diesem Problem. Ich sammle mittlerweile wöchentlich die Emails zumeist von Frauen, die ankündigen, dass sie ihren Job kündigen müssen, wenn sie nicht bald einen Hortplatz oder eine Grundschule mit Ganztagsangebot bekommen.

Deshalb sagen wir GRÜNEN: Wir brauchen einen Politikwechsel. Wir haben auch einen Vorschlag unterbreitet, der recht simpel ist und auf drei Füßen basiert. Wir brauchen ein flächendeckendes Angebot an allen Grundschulen. Es muss ein bedarfsgerechtes und freiwilliges Angebot sein. Es muss an allen fünf Tagen von 7:30 bis 17:00 Uhr und in den Ferien geschaffen werden. Wir wollen das auch als ein vernetztes Angebot, weil wir uns wünschen, dass die Schulgemeinden dort mit den Kommunen ein pädagogisches Konzept erarbeiten, wodurch die lokalen Bildungs- und Betreuungsangebote miteinander vernetzt und eingebunden werden.

Diese Parameter braucht es für Hessen an Grundschulen. Wir haben es Bildungs- und Betreuungsgarantie genannt. Wir wollen, dass Ende der nächsten Legislaturperiode unter grüner Regierungsbeteiligung ein solches Angebot besteht. Lassen Sie mich hinzufügen: Wir als GRÜNE wollen, dass dieses Schwarzer-Peter-Spiel ein für allemal endet, indem die Kommunen auf das Land deuten und sagen, Grundschulkinderbetreuung sei Landessache, während das Land auf die Kommunen deutet und sagt, Kinderbetreuung sei kommunale Angelegenheit. – Nein, dieses Spiel wollen wir beenden, indem wir gemeinsam mit den Kommunen dieses Angebot von 7:30 bis 17:00 Uhr in ganz Hessen und an allen Schulen nach fünf Jahren einrichten wollen. Das ist nach unserer Meinung der richtige Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir stehen zu dem Konzept der Ganztagsschule. Wir haben das schon jahrelang gefordert. Ganztagsschule bedeutet, dass sich Phasen der Anspannung und Phasen der Erholung abwechseln, dass wir es den Schülerinnen und Schülern so leichter machen, zu lernen, dass wir mehr Zeit zur Förderung haben, mehr Zeit, um individuell auf Schülerinnen und Schüler einzugehen. Die Idee der Ganztagsschule ist richtig. Wir brauchen das, gerade mit den vernetzten lokalen und kommunalen Bildungslandschaften, die es teilweise gibt.

Ich habe es schon gesagt: Uns nützt es nichts, meine sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der CDU – ich habe Ihre Reden nachgelesen –, immer wieder die Zahlen aus dem Jahr 1999 und früher zu hören. Es nützt Ihnen auch nichts, in der Schuldzuweisung in der Bildungspolitik der Neunzigerjahre zu verharren. Sie brauchen Antworten für alle Grundschulen. Sie brauchen Antworten und Zielvorgaben, engagierte, ehrgeizige Zielvorgaben für ein Ganztagsschulprogramm in Hessen. Das bleiben Sie schuldig, und deswegen glauben wir GRÜNE, der Politikwechsel ist nötiger denn je.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Lassen Sie mich noch einen Satz zu der, sagen wir einmal, konstruktiven Konkurrenz der Opposition sagen. Wir machen kein Geheimnis daraus, dass wir von einem Konzept, das nach fünf Jahren nur 500 Schulen, also nur die Hälfte aller Grundschulen, bedienen kann und meist mit einem verpflichtenden Angebot für alle einhergeht und das somit die Hälfte der Grundschulen leer ausgehen lässt, bisher nur wenig begeistert sind. Aber so ist es manchmal in der Opposition. Wir ringen um die besten Wege. Wir ringen um die gemeinsamen Ziele.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Ich kann Ihnen versichern, bevor Sie lachen – das wird Ihnen bestimmt bald vergehen –, dass alles, was wir auf dieser Seite des Saales von SPD und GRÜNEN vorschlagen, besser ist als die Situation, wie sie jetzt ist. Deswegen brauchen wir uns nicht darum zu sorgen, wenn wir um den besseren Weg ringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Landesregierung plätschert vor sich hin, sie ist fertig, sie hat keine Ziele mehr.

(Lachen bei der CDU und der FDP)

Ich wünsche diesem Land einen Politikwechsel in der Bildungspolitik und eine bessere Landesregierung, die dieses Thema wirklich wieder ernst nimmt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Bocklet.

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